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Gesundheit: Die Philosophie der Rindssuppe

Im Berliner Verein wappnen sich Studenten für den Berufseinstieg. Das jüngste Projekt: "Philosophische Essen"Anja Kühne Philosophieren ist Luxus, gut essen auch.

Im Berliner Verein wappnen sich Studenten für den Berufseinstieg. Das jüngste Projekt: "Philosophische Essen"Anja Kühne

Philosophieren ist Luxus, gut essen auch. Gleich beidem war der Abend gewidmet, den Mitglieder der Initiative "Kopfwerk" im Kreuzberger Restaurant "Austria" veranstalteten. Bei ihrem "First Philosophical Dinner" schwelgten die fünfzehn Teilnehmer, überwiegend philosophische Laien, zugleich in einem opulenten Vier-Gänge-Menü und in Gedanken über das Leben, nämlich darüber, was es heißt, "seine Zeit sinnvoll zu verbringen". Stunde um Stunde diskutierten die Esser und Denker im Hinterzimmer des Restaurants zwischen "Rindssuppe mit Frittaten" und "Kalbsmedaillons in Kräuterobersoß". Erst um Mitternacht, als die meisten Augen schon glasig und die Zungen schwer geworden waren, verließ die Runde das Thema, damit die Gedanken sich bei Mocca oder Melange setzen konnten.

Das Essen ist der neueste Versuchsballon von "Kopfwerk", einem eingetragenen Berliner Verein, in dem sich fortgeschrittene Studierende und junge Absolventen zusammengeschlossen haben, um sich den Einstieg ins Berufsleben zu erleichtern: Die Mitglieder erproben und üben mit eigenen Projekten ihre organisatorischen Fähigkeiten und knüpfen unter Umständen neue nützliche Kontakte. "Es geht immer auch darum zu sehen, ob man das überhaupt auf die Beine stellen kann", sagt der Mathematikstudent Jens Rademacher, der auch das "Philosophical Dinner" mitorganisierte und einen Workshop "Mathematik für Anfänger" veranstaltete. Für Examenskandidaten kann das schlicht bedeuten, im Verein die eigene Abschlussarbeit vorzustellen.

Vor allem aber engagieren sich die Mitglieder, darunter Informatiker oder Geisteswissenschaftler, Zahntechniker oder Juristen sowie nicht studierte Berufstätige als Dozenten in der Weiterbildung. "Kopfwerk" kooperiert mit einer Reihe von Organisationen. Kann kein "Kopfwerker" die Nachfrage mit seinem Wissen decken, sucht der Verein Hilfe von außen. Zur Zeit erarbeiten zwei Mitglieder ein Konzept für eine Unternehmensberatung. Noch vier Jahre nach seiner Gründung durch den Berliner Philosophie-Dozenten Horst Gronke zählt "Kopfwerk" nur 25 Mitglieder. "Wir setzen nicht auf Masse, sondern auf aktive Teilnehmer, mit solidarischer und sozialer Einstellung", sagt Gronke. Egoisten sind nicht willkommen.

Auch das erste "Philosophical Dinner" entspringt im Grunde den Kopfwerk-typischen Vernetzungsanstrengungen. Auf einer Konferenz in Oxford begegnete ein Mitglied der amerikanischen Wissenschaftlerin und Expertin für "Business Ethics", Gale Prawda. Sie ist seit Jahren maßgeblich an der Pariser Philosophie-Szene für Laien beteiligt, denen sie mit regelmäßigen "Philosophischen Cafés" und "Dinners" ein Forum bietet. Die Teilnehmer kommen aus sämtlichen Berufssparten und genießen die Gelegenheit, in einer Gruppe mit bis zu 25 Teilnehmern in entspannter Atmosphäre Gedanken zu Lebensfragen auszutauschen, wie etwa "Gut und Böse" oder "Was ist Freundschaft?". In Frankreich gibt es etwa hundert "philo cafés". Gale Prawda war schließlich auch bereit, das Berliner Essen zu moderieren.

"Say whatever is on your mind", ermunterte sie die Berliner Teilnehmer im "Austria", darunter größtenteils "Kopfwerker", aber auch eine niederländische Lehrerin und ein japanischer Philosophie-Dozent, und lenkte das englischsprachige Gespräch zunächst auf das Thema Zeit. Hat der Mensch überhaupt die Freiheit, seine Zeit zu verbringen oder vergeht sie einfach so? Gibt es einen Unterschied zwischen aktivem und bewussten "Zeitverbrauch" und passivem weniger bewussten? "Nur ein Roboter kann seine Zeit passiv verbrauchen", meinte ein Teilnehmer. "Ein Roboter verbraucht keine Zeit, sondern Energie", konterte es über den Tisch. Das veranlasste den Philosophie-Dozenten Horst Gronke auszusprechen, was wohl mancher dachte: "Eben war ich einen Moment lang in der Zeit nicht wirklich aktiv, sondern habe einen Augenblick lang nur an meine Suppe gedacht."

Trotz aller Ablenkungen hatte die Runde das Problem am Schluss zumindest eingekreist: Sinnvoll Zeit zu verbringen könnte vor allem bedeuten, dass man sich selbst "gut dabei fühlt". In einem tieferen Sinn "sinnvoll" wird verbrachte Zeit aber nur, wenn sie in Eintracht mit bestimmten moralischen Normen der Gesellschaft verbracht wird. Und noch eine Einsicht stand am Ende: Zeit muss strukturiert werden, sonst verläuft sie. Horst Gronke will das nächste "Philosophische Dinner" auf drei Stunden begrenzen. Das nächste Philosophische Dinner zum Thema "Gute Tage, schlechte Tage" findet in deutscher Sprache im "Austria" am 31. Mai statt. Das Menü wird etwa zwischen 80 und 100 Mark kosten. Teilnehmen kann jede/r nach Anmeldung bei "Kopfwerk". "Kopfwerk" im Internet

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