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Gesundheit: Die Samen haben Schwierigkeiten mit der modernen Zeit

Samische Volkskunst verkauft sich gut in Skandinavien. Auch in Nordfinnland, am abgelegenen Inari-See und in den Touristen- Städten Rovaniemi und Ivalo, bieten die Geschäfte Souvenirs in den typischen rot-blauen Farben an.

Samische Volkskunst verkauft sich gut in Skandinavien. Auch in Nordfinnland, am abgelegenen Inari-See und in den Touristen- Städten Rovaniemi und Ivalo, bieten die Geschäfte Souvenirs in den typischen rot-blauen Farben an. Kaum ein Reiseprospekt kommt ohne die Hochglanz-Fotos von der vermeintlich unberührten Welt dieses alten Normadenvolkes aus. Die Aufnahmen zeigen Männer und Frauen am Lagerfeuer oder auf dem Rentierschlitten in der, wie es heißt, "letzten Wildnis Europas".

Doch diese vermeintliche Idylle kann nicht darüber hinwegtäuschen: Die Samen, die auch mit dem abfälligen Begriff "Lappen" bezeichnet werden, leiden heute unter enormen Identitätskonflikten, unter den Folgen der Umweltverschmutzung und einer schleichenden Diskriminierung im Alltag. "Die finnische Bevölkerung weiß im Grunde sehr wenig über uns", sagt Irja Seurujärvi-Kari, Dozentin für samische Sprachen und Kultur an der Universität von Helsinki. Die Wissenschaftlerin, die gleichzeitig Vizepräsidentin des finnischen Sámi- Parlaments ist, beklagt, dass an den einheimischen Schulen zu wenig Kenntnisse über die Ureinwohner vermittelt werden. "Man hasst uns nicht, aber man kümmert sich auch nicht um uns."

Seit mindestens 2000 Jahren leben Angehörige des Normadenvolkes in der unwirtlichen Gegend am Polarkreis. Gemäß ihrer Tradition ernähren sie sich vor allem von der Rentierzucht. Heute halten sich Samen in Finnland, Norwegen, Schweden und auf der russischen Kola-Halbinsel auf. Ihre Gesamtzahl wird auf knapp 80 000 geschätzt. Erst in den letzten Jahrzehnten kamen Bemühungen um ihre Integration auf die Tagesordnung der drei nordischen Staaten.

"Eine ganze Generation hat ihre Sprache verloren, weil es in den finnischen Schulen nicht üblich war, Samisch zu sprechen", sagt Katri Jefremoff aus dem Dorf Nellim, das am Inari-See liegt. Die alte Dame berichtet, dass die Kinder ihre Muttersprache lange Zeit nur im Elternhaus praktizierten. Um zu retten, was zu retten ist, hat sich Jefremoff inzwischen ganz der Erhaltung ihrer kulturellen Tradition verschrieben. Sie gehört zu einer Arbeitsgruppe, die das Johannes- Evangelium ins Skolt-Samisch übertragen will. Das ist eine der ingesamt sieben Sprachen, die in Nordeuropa verbreitet sind.

Die Dozentin Irja Seurujärvi-Kari erzählt, dass sich viele Ureinwohner durch die touristische Erschließung Nordfinnlands verunsichert fühlen. Wo früher endlose Stille herrschte, brettern jetzt Busse in Richtung Nordkap. Nicht jeder Wirt, der in samischer Tracht seine Gäste empfängt, ist wirklich ein Same. Die Kultur wird schlicht und einfach vermarktet. Zwar gibt es in den drei nordischen Staaten eigenständige Sámi- Parlamente, die Rechte der Ureinwohner auf politischer Ebene einfordern. Doch die nationalen Volksvertretungen in Helsinki, Stockholm und Oslo tun sich schwer damit, die Probleme des Hohen Nordens in ihrer vollen Schärfe wahrzunehmen. Die hohe Arbeitslosigkeit in dieser Gegend treibt seit Jahren vor allem junge Menschen in die südlich gelegenen Großstädte - in Finnland zum Beispiel ins Ballungszentrum rund um die Hauptstadt. Dort entfernen sie sich noch weiter von ihrer Ursprungskultur.

Andere fühlen sich in der heutigen Zeit erst recht hingezogen zur Tradition ihrer Ahnen. "Ich habe eine enorme Verantwortung für die samische Sprache. Jemand, der meine Beiträge hört, könnte meine Wendungen in seinen eigenen Wortschatz aufnehmen", sagt die junge Journalistin Pirita Näkkäläjärvi. Sie arbeitet beim Sámi-Radio in der Stadt Inari. Dieser Sender, der vor zwanzig Jahren gegründet wurde, gehört zur staatlichen Rundfunkgesellschaft. In fünf der sieben verschiedenen samischen Sprachen berichten die Redakteure über das Leben der Ureinwohner und spielen ihre Musik.

Das Reklamefoto eines finnischen Unternehmens zeigt einen Samen, der auf einem elektrisch betriebenen Schlitten sitzt und mit einem Handy telefoniert. Viele Leute können sich nicht vorstellen, dass das Normadenleben heute tatsächlich so aussieht. Doch welche Ursprünglichkeit sollen die Ureinwohner bewahren, während sich ihre Umgebung rasant verändert?

Die Dozentin Seurujärvi-Kari erzählt, das in letzter Zeit eine Diskussion darüber entbrannt ist, wer überhaupt ein Same sei. Die Auseinandersetzung damit, wer zum Personenkreis der Ureinwohner zu zählen ist, ist nicht nur für die Erhaltung der kulturellen Tradition wichtig. Manche Finnen sehen die Samen in einer Art perversen Konkurrenz zu den Arbeitslosen und den politischen Flüchtlingen, die ebenfalls die Sozialleistungen des finnischen Staates in Anspruch nehmen. "Viele Mitarbeiter der Verwaltung finden, dass wir schon genug bekommen haben", sagt die Wissenschaftlerin.

Josefine Janert

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