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Gesundheit: Erdbeben: Häuser brechen ein, der Boden wird zu Sirup

Die folgenschweren Erdbeben in Indien und in El Salvador kamen ohne jede Vorwarnung. Weder dort noch in den USA oder in Japan ist es Forschern je gelungen, eine nahende Katastrophe vorherzusehen.

Die folgenschweren Erdbeben in Indien und in El Salvador kamen ohne jede Vorwarnung. Weder dort noch in den USA oder in Japan ist es Forschern je gelungen, eine nahende Katastrophe vorherzusehen. Das Beben in Kalifornien vor sieben Jahren war ebenso überraschend wie im japanischen Kobe 1995. Und das, obwohl man in beiden Regionen ständig mit dem Schlimmsten rechnen musste und Seismologen an ihren Messstationen in steter Bereitschaft waren.

Solange wir die Vorboten von Erdbeben nicht kennen, müssen wir uns auf Erfahrungen stützen: auf historische Aufzeichnungen und seismologische Studien. Mit ihrer Hilfe können wir abschätzen, wie groß die Bebengefahr in jedem Teil der Erde ist.

Diese Kenntnis ist heute wichtiger denn je. Denn viele Städte in Erdbebenregionen wachsen unaufhörlich. Die Einwohnerzahl Mexiko-Citys etwa stieg von drei auf 17 Millionen innerhalb von nur 40 Jahren. Im nun in Indien in Trümmern liegenden Ahmedabad verzehnfachte sich die Einwohnerzahl im selben Zeitraum auf sechs Millionen Menschen. Stadtviertel entstehen dabei auf zum Teil notdürftig aufgeschüttetem Grund, Häuser mit windigen Skeletten recken sich empor und brechen im Ernstfall, so auch in Ahmedabad, als Erste ein.

Ein Blick auf das Erdbeben in Mexiko 1985 mag dies verdeutlichen. Es hatte seinen Ursprung mehr als 300 Kilometer von der Hauptstadt entfernt, südlich von Acapulco. Trotzdem gab es die meisten Opfer nicht in Acapulco, sondern in einem Viertel in Mexiko-Stadt. Dieses Hochhausviertel stand im Gegensatz zu den anderen, intakt gebliebenen Stadtteilen nicht auf festem Grund. Es war auf lockeren Sedimenten errichtet worden, dort, wo man einst zur Vergrößerung der Hauptstadt einen See trockengelegt hatte. Der Boden nahm die Erdbebenschwingungen nicht nur besonders gut auf, er verstärkte sie um das 20fache. Und so brachen in dem Hochhausviertel 1985 fast 800 Bauten in sich zusammen. 7000 weitere Häuser wurden mehr oder weniger stark beschädigt.

Gottfried Grünthal vom Geoforschungszentrum in Potsdam kennt derartige Fälle. Ein Erdbeben in Taiwan vor zwei Jahren warf Häuser um, die auf Wasser-Sand-Gemischen erbaut worden waren. "Während einer Erdbebenschwingung sind solche Gemische nicht mehr tragfähig", sagt er. "Sie verwandeln sich in eine Art Sirup."

Wie ein Haus Erdebenschwingungen aufnimmt, hängt auch von seiner Höhe ab. "In der Regel werden drei- bis siebengeschossige Häuser besonders stark angeregt", sagt Jochen Schwarz, stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Task Force Komitees Erdbeben. Sie gelte es daher in erdbebengefährdeten Gebieten besonders zu schützen.

Dickere Träger und Stützen machen ein Gebäude steifer und widerstandsfähiger. "Die neue Philosophie ist es aber, nicht mehr nach dem Widerstandsprinzip zu bauen, sondern nach dem Ausweichprinzip", sagt Stavros Savidis von der Technischen Universität Berlin. Dafür müssten die Verbindungen zwischen Stütze und Decke so ausgelegt werden, dass sich das Bauwerk verformen kann, ohne zusammenzubrechen. Traditionelle Holzbauten in der Türkei etwa hatten diese Eigenschaft - und hielten dem Beben 1999 besser stand.

Erdbebengerechtes Bauen ist teurer. "Aber mit zum Teil geringen Mehraufwendungen ließe sich schon viel erreichen", sagt Jochen Schwarz von der Bauhaus-Universität in Weimar. Ein gutes Beispiel dafür sei das schwere Erdbeben in Kobe 1995 gewesen: "Jüngere Bauwerke, die nach Norm gebaut worden waren, hatten nach dem Erdbeben keine Schäden." Und selbst bei den damals oft gezeigten eingestürzten Autobahnbrücken war zu sehen: Dort, wo man die Pfeiler bereits erdbebengerecht verstärkt hatte, blieben sie stehen.

Die gewünschten Baunormen werden jedoch nur in wenigen Ländern durchgesetzt und - auch in etlichen südeuropäischen Staaten - nicht überwacht. Obwohl die Risiken bekannt sind. Indien zum Beispiel wird wie von einem Bulldozer Stück um Stück an den asiatischen Kontinent herangeschoben und faltet dabei das Himalaya-Gebirge auf. In der jetzt betroffenen Zone hatte die Erde in jüngerer Vergangenheit schon zweimal gebebt. Ohne eine ausreichende Vorsorge wird es dort und in anderen Erdbebengebieten in Zukunft noch öfter zu Katastrophen kommen.

"Die Gebäude sind gewiss nicht sicherer geworden, und die Menschen wohnen auf immer engerem Raum zusammen", sagt Gerhard Berz, Leiter der Forschungsgruppe Geowissenschaften bei der Münchner Rück. "Die Erdbebenschäden sind daher in den vergangenen 40 Jahren sehr stark gestiegen." Sie seien heute, nach Abzug der Inflation, etwa achtmal höher als noch Anfang der 60er Jahre.

Die Versicherungsbranche macht sich Gedanken darüber, was etwa geschähe, wenn eines Tages Tokio von einem schweren Beben getroffen würde. Ein Beben der Stärke 8 würde Schätzungen zufolge Kosten von zwei bis drei Billionen Dollar verursachen. Das Geld, das nötig wäre, die asiatische Metropole wieder aufzubauen, würde weltweite Finanzbeben nach sich ziehen. "Die Versicherungswirtschaft könnte eine solche Haftung nicht tragen", sagt Berz. Diese wäre auf 50 Milliarden Dollar limitiert, "nicht mehr als eine kleine Starthilfe".

"Die Weltbank hat festgestellt, dass schon heute 20 Prozent der Mittel, die sie gibt, für Reparaturen von Schäden aufgebraucht werden, die durch Naturkatastrophen entstehen", sagt Karl-Otto Zentel, Geschäftsführer des Deutschen Komitees für Katastrophenvorsorge. Bei dem Geld, das jetzt in Indien eingesetzt werde, müsse die Vorsorge daher unbedingt berücksichtigt werden.

Deutsche Hilfsmaßnahmen in Indien konzentrieren sich nun auf ländliche Gebiete. Wie viele Dörfer betroffen sind, ist bislang noch unbekannt. "Vielleicht waren die Menschen dort in ihren Lehmhäusern weniger gefährdet", sagt Zentel. Aber sie bleiben möglicherweise noch tagelang von externer Hilfe völlig abgeschnitten.

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