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Gesundheit: Gebremste Reform

Charité: Experten empfehlen, Modellstudiengang Medizin massiv auszubauen. Unileitung ist skeptisch

Wird die Charité ein „Leuchtturm der Lehre“ – oder beginnt ihr Stern zu sinken? „Höchste Anerkennung“ zollte eine internationale Expertenkommission jetzt dem Berliner Reformstudiengang Medizin als einem Modell für die moderne Ärzteausbildung – und mahnte gleichzeitig weitere Verbesserungen an. Es drohe eine Verwässerung der Ausbildung, die international als vorbildlich gilt.

63 Studenten belegen derzeit pro Jahr den Reformstudiengang Medizin an der Charité, 537 den Regelstudiengang. Im Reformstudiengang lernen sie in kleinen Gruppen. Sie trainieren früh den Umgang mit Kranken und üben klinische Fertigkeiten auch an Phantomen und Simulationspatienten ein. Der bisher in Einzelfächer zersplitterte Lernstoff wird in integrierten Seminaren gelehrt.

Die Lehre der Charité könne auf der Basis des Reformstudiengangs zum Vorbild für das Medizinstudium im 21. Jahrhundert werden. Dazu müsse sie aus dem Reformstudiengang die Regel machen, empfehlen die Experten – alle Berliner Medizinstudenten müssten nach den neuen Methoden lernen.

Hierfür seien die Voraussetzungen aber vorläufig noch nicht gegeben, urteilt das Gremium. Die Experten fordern eine Weiterentwicklung des Reformstudiengangs, der trotz aller Innovationen noch nicht konsequent genug sei. Zum Beispiel dominieren die Dozenten noch zu sehr. Das aktive und selbständige Lernen müsse noch stärker gefördert werden. Das Gutachten enthält zahlreiche Detailvorschläge zur Verbesserung des Reformstudiengangs, dessen erste beide Jahrgänge jetzt erfolgreich abgeschlossen haben. Ohne die Verbesserungen drohe das Niveau der Lehre zu sinken, wenn der Reformstudiengang auf die gesamte Charité ausgedehnt werde. „Es wird von höchster Wichtigkeit sein, zu gewährleisten, dass die innovativen Aspekte des Reformstudiengangs in der Ehe mit dem konventionellen Ausbildungssystem nicht verloren gehen", heißt es in dem Gutachten.

Die Experten fordern, alle Dozenten der Charité mit den Innovationen vertraut zu machen. Dazu gehören Hospitationen in ausländischen Reformfakultäten. Die Charité müsse mehr Zeit und Geld einplanen, um neue, effektive Formen des Unterrichts zu entwickeln und einzuführen. Notwendig sei – wie im Ausland seit langem bewährt – ein Zentrum für medizinische Ausbildung. Auch sollte die Ausbildungsforschung fest in der Fakultät etabliert werden, die zu ermitteln hätte, auf welche Aufgaben die künftigen Ärzte eigentlich vorzubereiten sind.

Die nötigen finanziellen Ressourcen sind nach Überzeugung der Experten mit Hilfe von Bund, Land und den bisher so großzügigen Sponsoren aufzubringen. Allerdings droht der Klinik bis zum Jahr 2010 eine Finanzlücke von 266 Millionen Euro im Budget. Die konsequente Weiterentwicklung des Reformstudienganges halten Experten dennoch für wichtig, weil es in der konventionellen Medizinerausbildung noch immer viele Mängel gibt. Auch wird der Ärztemangel immer gravierender. In der Ödnis der deutschen Ausbildungslandschaft könnte Berlin „ein Leuchtturm der Lehre“ werden, würde die Charité die Reformhindernisse überwinden, sagt Eckhard Hahn, der Vorsitzende der „Gesellschaft für medizinische Ausbildung“.

Noch ist fraglich, ob die Hindernisse tatsächlich überwunden werden. Manfred Gross, Prodekan für Studium und Lehre, bekräftigt zwar den Anspruch der Charité auf eine Führungsposition in der Lehre. Er erklärt aber eine Ausdehnung des Reformstudiums auf alle Studenten wegen des Aufwands für unmöglich. Geplant sei nur eine „Synthese“: eine Übernahme von Reformelementen in den Regelstudiengang. Bereits bis 2008 will man beide Curricula vereinigen. Walter Burger, Leiter der „Arbeitsgruppe Reformstudiengang“ warnt sogar vor einer so raschen Synthese. Einige Elemente ließen sich zwar schnell übernehmen. Nicht aber das Kernstück der Reform, das problemorientierte Lernen in Kleingruppen, weil es bei weitem nicht genügend dafür ausgebildete Dozenten gebe. „Wir versuchen ein Konzept für den Regelstudiengang zu entwerfen“ – aber es sei noch viel Entwicklungsarbeit in der Fakultät zu leisten, wo die Diskussion noch nicht einmal richtig begonnen habe. Bis zur Fusion der beiden Studiengänge könne es auch länger dauern als bis 2008.

Zunächst soll die Lehre einen höheren Stellenwert bekommen, auch, wie international üblich, bei Berufungen. „Wir haben in der Vergangenheit zu viel Wert auf die Forschung und zu wenig auf die Lehre gelegt“, sagt Charité-Dekan Martin Paul. Wie in der Forschung sollen künftig auch in der Lehre besondere Leistungen durch Zuwendung von Mitteln honoriert werden. Wahrscheinlich würden Forschungsgelder für die Lehre umgewidmet werden.

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