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Gesundheit: Genom von Millionen

Ob das Projekt, das er gerade vorstellt, eigentlich ein nationales Prestige-Objekt sei, wird Valdis Pirags gefragt. Ohne Zögern antwortet der Professor aus Riga, Leiter des lettischen Projekts für eine Genomdatenbank: "Ja, deshalb sind wir ja hier!

Ob das Projekt, das er gerade vorstellt, eigentlich ein nationales Prestige-Objekt sei, wird Valdis Pirags gefragt. Ohne Zögern antwortet der Professor aus Riga, Leiter des lettischen Projekts für eine Genomdatenbank: "Ja, deshalb sind wir ja hier!" Hier, das ist in Berlin, beim von der Charité organisierten Workshop über "Genome Data Basis", wo allerdings zuerst das entsprechende Projekt der baltischen Republik Estland vorgestellt wurde, das schon viel weiter gediehen ist.

Mindestens eine Million der 1,43 Millionen Esten sollen dafür gewonnen werden, beim Hausarzt einen ausführlichen Fragebogen auszufüllen und sich ein wenig Blut abnehmen zu lassen: An der DNS, die daraus im Labor gewonnen werden soll, interessieren besonders die "Single Nucleotide Polymorphisms", kurz SNPs, in denen sich kleinste genetische Unterschiede spiegeln.

Die Initiatoren des estnischen Projekts haben, wie der Molekularmediziner Andres Metspalu von der Universität Tartu berichtete, bei der Vorbereitung des nationalen Großunternehmens von ihren Vorläufern gelernt. Die Sammlung de Genomdaten in Island war dort in die Kritik geraten, weil die private Firma deCode verantwortlich war.

Die estnischen Daten gehören dagegen der Öffentlichkeit, eine Non-Profit-Foundation verwaltet sie und entscheidet auch über mögliche wirtschaftliche Nutzung. Ein Gesetz, das im letzten Jahr in Kraft trat, legt die Rechte der Teilnehmer fest: Nur wer schriftlich seine Zustimmung gibt, wird auch getestet.

Die Daten werden anonymisiert und vertraulich behandelt. Der Einzelne kann auf Wunsch eines Tages erfahren, was bei dem Check herauskam - er darf aber nicht dazu gezwungen werden, es zur Kenntnis zu nehmen. Jeder kann außerdem jederzeit bestimmen, dass seine Daten gelöscht werden.

Bisher sind Pilotprojekte in drei Modellregionen angelaufen. 43 Prozent derjenigen, die über das Projekt persönlich informiert wurden, waren sofortzum Mitmachen bereit; 36 Prozent wollen erst noch mehr wissen, können sich die Zustimmung jedoch prinzipiell vorstellen. Am größten ist die Zustimmung, wie Metspalu sagte, in der Gruppe der 25- bis 49-Jährigen.

Mit aufklärenden Fernsehsendungen zur besten Sendezeit wird dafür auch eine Menge getan. "Weil der Nutzen der Datenbank für die Bevölkerung nicht gleich sichtbar war, haben wir viel Wert auf Aufklärungsarbeit gelegt", sagt der estnische Bildungsminister Tönis Lukas. Charité-Kardiologe Friedrich Köhler, der im Zuge des Projekts "Partnership for the Heart" schon mehrmals in Estland war, findet es bemerkenswert, wie groß dort insgesamt das Interesse der Bevölkerung für wissenschaftliche Neuerungen ist. Das telemedizinische Gemeinschaftsprojekt zwischen Charité-Medizinern und Herzspezialisten der Universität Tartu, an dem Köhler mitwirkt, war im vorigen Jahr feierlich von den Staatspräsidenten beider Länder eingeweiht worden.

An der Charité sind gleich mehrere Forschergruppen mit der Erforschung der genetischen Ursachen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen befasst. Typischerweise sind sie "multifaktoriell": Veranlagung und Lebensumstände wirken zusammen, zudem sind mehrere Gene in die Entstehung der Krankheit verwickelt.

Maßgeschneiderte Medikamente

Wenn es gelingt, genetische Besonderheiten dingfest zu machen, die die Anfälligkeit für Herz-Kreislauf-Leiden erhöhen, so kann die Vorbeugung individueller gestaltet werden, wie Ivar Roots vom Institut für Klinische Pharmakologie erläuterte. Man könnte dann zum Beispiel präziser festlegen, welche Menschen von einer Senkung des Blutdrucks oder der Blutfettwerte besonders profitieren.

Genetische Besonderheiten können allerdings auch auf den verschiedensten Ebenen dafür sorgen, dass Medikamente langsamer oder schneller transportiert werden. Sind solche individuellen Gegebenheiten bekannt, dann ist es leichter, etwa aus einer Palette von blutdrucksenkenden Medikamenten das passende zu finden - und es "maßgeschneidert" zu dosieren. Das ist das besondere Ziel der "Pharmakogenetik". An der Franz-Volhard-Klinik in Buch gelang es der Arbeitsgruppe von Friedrich Luft anhand von Familien-Studien, Gene zu identifizieren, die für Unterschiede in den Blutfettwerten "zuständig" sind.

Valdis Pirags ist überzeugt, dass der Vergleich der Daten aus Deutschland und den baltischen Staaten sehr interessant werden kann: "Unsere Gene sind gleich, doch die Lebensbedingungen sind noch sehr verschieden."

Zudem gibt es in den kleinen Ländern hervorragende Krankheitsregister und die strategischen Vorteile der Zentralisierung. Nicht zuletzt aber könnte der Elan befruchtend wirken, mit dem vor allem Estland sich dem Ziel "innovationsbasiertes Wirtschaftswachstum" zuwendet - und dabei zugleich dem alten Erbe der politischen Bevormundung eine deutliche Absage erteilt.

Individuelles Erbgut und Arzneimittel-Wirkung

Pharmakogenetik erforscht den Zusammenhang zwischen der Wirkung von Medikamenten und der genetischen Veranlagung des Patienten.

SNPs (Single Nucleotide Polymorphisms) sind die kleinen Variationen, die durchschnittlich in einem von tausend Basenpaaren des menschlichen Genoms vorkommen. In die Erforschung der SNPs werden große Hoffnungen gesetzt. Sie können - allein oder zu mehreren - dieAnfälligkeit für bestimmte Krankheiten, aber auch über die Wirkung von Arzneimitteln beeinflussen. Die Medikamente der Zukunft könnten auf das individuelle SNP-"Profil" maßgeschneidert sein.

In den meisten Fällen gehen Erkrankungen auf viele Faktoren zurück. Zur genetischen Prädisposition kommen Einflüsse aus Lebensstil und Umwelt. Zudem ist für die "Veranlagung" meist nicht ein einzelnes Gen zuständig. Mehrere Gene können sich in ihrer Wirkung addieren, potenzieren oder auch abschwächen.

Adelheid Müller-Lissner

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