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Gesundheit: Geschaffen für Geometrie

Vor 150 Jahren starb Carl Friedrich Gauß – vielleicht das größte mathematische Genie aller Zeiten

Carl Friedrich Gauß, der geborene Mathematiker. Der von sich selbst behauptete, er habe als Kind eher rechnen als reden können. Der als Dreijähriger anfing zu schreien, als er einen Fehler in der Lohnabrechnung seines Vaters fand. Der am Ende seines Lebens sagte: Ja, rechnen, das konnte ich wirklich – hätte ich es gescheit angestellt, ich hätte es damit zu einiger Größe bringen können.

Fast wäre er untergegangen, im Einstein-Jahr, im Schiller-Jahr. Dabei ist 2005 auch Gauß-Jahr: 1855, vor 150 Jahren, starb Gauß in Göttingen, der Stadt, die der Mathematiker vor allem wegen ihrer Bibliothek liebte und nur verließ, wenn es unbedingt nötig war – und dann mit allergrößtem Widerwillen. Gauß starb 100 Jahre vor Albert Einstein, mit dem ihn mehr verbindet als bloß diese Zahl: Schon Gauß ahnte, dass der Raum gekrümmt war, und revolutionierte damit die herkömmliche Geometrie.

Nur am mathematischen Genie gemessen, würden viele Experten Gauß wohl als den größten Mathematiker aller Zeiten betrachten, spekuliert der US-Sozialwissenschaftler Charles Murray in seinem Buch „Human Accomplishment“, in dem er eine Rangfolge der Geistesgrößen aus Wissenschaft und Kunst aufstellt. Er steht danach noch vor Archimedes, Newton und Leonhard Euler. Gauß aber war zurückhaltend, veröffentlichte nur etwa die Hälfte seiner genialen Ideen: „Pauca sed matura – Weniges, aber Reifes, so lautete sein Lebensmotto“, sagte der Mathematiker Jochen Brüning von der Humboldt- Universität am Montag in der Berliner Urania. In einem liebenswürdigen Vortrag ehrte Brüning das Rechengenie, „von dem wir nicht wissen, woher er diese enorme Rechenfähigkeit hatte“.

Vom Vater? Er war ein Gärtner. Gauß mochte ihn nicht. Von der Mutter? Obwohl sie kaum lesen konnte, galt sie, die Tochter eines Steinmetzes, als hochintelligent. Gauß liebte sie über alles. Die letzten 22 Jahre lebte sie in seinem Haus, bis sie im Alter von 97 starb.

Trotz der einfachen Verhältnisse seines Elternhauses fiel Gauß, der 1777 in Braunschweig geboren wurde, schon bald in der Schule auf. Eines Tages, Gauß war acht Jahre alt, konfrontierte der Mathe-Lehrer des Martino-Katharineums in Braunschweig seine Jünglinge mit folgendem Klassiker: Sie möchten doch bitte die Zahlen von 1 bis 100 zusammenzählen. „Für gewöhnlich konnte sich der Lehrer dann zwei Stunden zurücklehnen“, sagte Brüning. Gauß dagegen meldete sich bereits nach fünf Minuten: Er hatte die Antwort, „und wurde daraufhin erstmal in die Strafecke gestellt“, sagte Brüning, weil der Lehrer dachte, der Knabe würde ihn auf den Arm nehmen.

Gauß aber hatte das Problem tatsächlich gelöst: Es war ja schließlich offensichtlich (zumindest für Gauß), dass sich genau 50 Zahlenpaare mit der Summe 101 bilden lassen (1+100, 2+99, ... , 50+51) – was 5050 ergibt.

Nun erkannten sogar seine Lehrer die außergewöhnliche Begabung des Jungen, und er wurde von höchster Stelle gefördert: Herzog Carl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig finanzierte seinen Lebensunterhalt.

Gauß wurde Student. Zwischen 1796 und 1800 brach seine produktivste Zeit an. An vielen Tagen hatte er mehr mathematische Ideen, als er überhaupt niederschreiben konnte. 1801, Gauß war 24, erschien das Resultat: sein Hauptwerk „Disquisitiones arithmeticae“.

Im selben Jahr berechnete Gauß mit Hilfe einer von ihm selbst entwickelten Methode die Bahn des erst kürzlich von Guiseppe Piazzi, einem italienischen Astronomen, entdeckten Kleinplaneten Ceres. Piazzi hatte das Objekt im Januar am Himmel beobachtet – und wieder aus den Augen verloren. Seitdem waren die Astronomen verzweifelt auf der Suche nach Ceres. Auf Grund minimaler Daten sagte Gauß vorher, welchen Kurs Ceres nehmen würde – und im Dezember beobachtete man den Kleinplaneten in genau der von ihm vorhergesagten Position.

Damit wurde Gauß über Nacht weltberühmt.

Von nun an wollten sie ihn alle haben – und Gauß entschied sich für Göttingen, wo er Professor für Astronomie wurde. Dort blieb er, trotz Angeboten aus St. Petersburg, Wien, Leipzig. Wilhelm von Humboldt versuchte, Gauß nach Berlin zu locken. Doch Gauß wollte nicht weg – Reisen unternahm er nur für die Landesvermessung des Königreichs Hannover, obwohl er das Zelten hasste wie die Pest. Doch die Arbeit lohnte sich: Bei den Feldvermessungen wurde Gauß allmählich klar, dass die euklidische Geometrie, die im Klassenzimmer gilt, an ihre Grenzen stößt, wenn man sie auf Räume anwendet, die gekrümmt sind. Damit gab Gauß den Anstoß für eine neue, erweiterte Geometrie, eine, die Einstein später für seine Relativitätstheorie brauchte.

1828 verließ Gauß sein geliebtes Göttingen, um in Berlin den Kongress der deutschen Naturforscher und Ärzte zu besuchen. Gauß war als persönlicher Gast von Alexander von Humboldt eingeladen worden, doch schon auf der Fahrt nach Berlin schimpfte er über die „widerliche Stadt“, wie der Schriftsteller Daniel Kehlmann in seinem Bestseller „Die Vermessung der Welt“ (Rowohlt 2005) schreibt.

Kehlmann hat aus der Begegnung zwischen Gauß und Humboldt einen geistreichen, witzigen Roman gestrickt, in dem er Gauß als schrulligen Professor porträtiert, der regelmäßig zu den Nutten geht und ständig über seinen minderbegabten Sohn Eugen schimpft, diesen Dummkopf und Esel. Tatsächlich riet Gauß, zweimal verheiratet, seinen eigenen Kindern davon ab, in die Wissenschaft zu gehen: Nicht dass die Nachwelt seinen Namen noch mit mittelmäßiger Arbeit in Verbindung bringen würde!

Doch auch Gauß’ Schaffenskraft ließ allmählich nach, obwohl sie nie ganz erlosch. Gauß erfand das Magnetometer, mit dem sich die Stärke des Erdmagnetfeldes messen lässt, und stellte die erste Telegrafenverbindung der Welt her. In seinen letzten Jahren begutachtete er die Doktorarbeit von Bernhard Riemann – dessen Mathematik Einstein zehn Jahre lang büffeln musste, bevor er die allgemeine Relativitätstheorie formulieren konnte.

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