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Gesundheit: Juri Gagarin: Der Mensch fiel vom Himmel

Es war 10 Uhr 55 Moskauer Zeit, als der Mann im knallorangeroten Raumanzug und einem weißen Helm mit der Aufschrift CCCP an einem Fallschirm aus dem Nichts auftauchte und auf einem Feld des Kolchos "Der Weg Lenins" landete. Eine alte Frau, die gerade Kartoffeln pflanzte, begrüßte ihn als Erste.

Es war 10 Uhr 55 Moskauer Zeit, als der Mann im knallorangeroten Raumanzug und einem weißen Helm mit der Aufschrift CCCP an einem Fallschirm aus dem Nichts auftauchte und auf einem Feld des Kolchos "Der Weg Lenins" landete. Eine alte Frau, die gerade Kartoffeln pflanzte, begrüßte ihn als Erste. Ein Traktorist lief los, um zur Verstärkung ein paar Genossen herbeizuholen. Sie stürzten auf den Fremden zu und hießen ihn unter Küssen willkommen. "Ich bin der erste Raumfahrer der Welt, Juri Alexejewitsch Gagarin", stellte der sich vor.

Genosse Fliegermajor Juri Alexejewitsch Gagarin hatte am 12. April 1961 als erster Mensch in seinem Raumschiff "Wostok" die Erdatmosphäre verlassen und in einem 108-minütigen Flug die Erde einmal umrundet. Da man nicht genau wusste, wo er landen würde, hatte man die Landung in ein möglichst gering bevölkertes Gebiet verlegt.

Die Radiomeldung der staatlichen Nachrichtenagentur Tass war erst 25 Minuten nach gelungenem Start herausgegangen, gerade rechtzeitig, damit westliche Beobachter den Flug noch selbst verfolgen konnten. Sofort erfasste ein Freudentaumel die ganze Sowjetunion. Als die Bergungsmannschaften mit Flugzeugen, Hubschraubern und Fallschirmspringern eintrafen, war der Kosmonaut schon von mehreren hundert Menschen umringt und gab Autogramme.

Offenbar war weder die Parteiführung unter Chruschtschow noch die Leitung des Kosmodroms in Baikonur auf so viel öffentliches Interesse vorbereitet. Sie hatten den Flug bis zu seinem Gelingen geheim gehalten. Im Falle eines tragischen Scheiterns hätte die Sache vertuscht werden können.

Der Bericht, den Gagarin am 13. April der staatlichen Kommission erstattet hat, wurde erst 1987 unter Gorbatschow auszugweise veröffentlicht. Erst seitdem ist bekannt, dass es kurz vor der Landung fast zu einer Katastrophe gekommen wäre: Da sich die Gerätesektion nicht ordnungsgemäß von der Landekapsel gelöst hatte, geriet diese beträchtlich ins Trudeln.

Held der Sowjetunion

Am 14. April fand der offizielle Empfang in Moskau statt. Auf dem Regierungsflughafen Wnukowo schritt Gagarin unter den Klängen eines eigens komponierten Liedes auf die Ehrentribüne des Staats- und Parteivorsitzenden Chrutschow zu, um ihm persönlich von seinem Weltraumflug zu berichten. Der Präsidiumsvorsitzende des Obersten Sowjet, Leonid Breshnew, verlieh ihm den Lenin-Orden und den Stern des "Helden der Sowjetunion".

Die erste internationale Pressekonferenz war erst für den 15. April angesetzt worden. Der Kosmonaut lernte auf unangenehme Fragen ausweichend zu antworten, denn die Landung am Fallschirm durfte nicht bekannt werden. Der Flug wäre sonst nicht als erster bemannter Raumflug anerkannt worden, da die Satzungen der FAI, der Internationalen Raumfahrtbehörde in Paris, eine Landung im gleichen Gerät vorschrieben, in dem gestartet worden war. Der Westen reagierte bestürzt. Wie hatte es zu dieser Überlegenheit der Sowjetunion im Weltraum kommen können? Die Amerikaner hatten schließlich nach Kriegsende nicht nur die namhaftesten deutschen Raketenspezialisten um Wernher von Braun für sich gewonnen, sondern verfügten auch über beträchtliche wirtschaftliche Ressourcen.

Die amerikanischen Präsidenten Dwight D. Eisenhower und John F. Kennedy waren nicht sonderlich an der Raumfahrt interessiert. Vor der relativ späten Gründung der Nasa, die erst eine Reaktion auf den Sputnikschock war, waren eine Vielzahl von Institutionen und Instituten mit Raketentechnik befasst und arbeiteten häufig schlecht koordiniert oder schlimmstenfalls gegeneinander. Dies führte zu vielen wertvollen Einzelergebnissen, aber eben nicht zu spektakulären Pionierleistungen.

Schubstarke Raketen

In der Sowjetunion hatte man früh den Wert der Raketentechnik für zukünftige Kriege erkannt. Schon 1954, kurz nach Chrutschows Machtübernahme, gab es eine unmissverständliche Richtlinie aus dem Verteidigungsministerium an die Adresse der Konstrukteure. Eine neue Fernrakete sollte einen Sprengkopf von mindestens 4,5 Tonnen Masse transportieren können und eine Reichweite von mindestens 10 000 Kilometern haben.

So entstand unter Chefkonstrukteur Sergej Koroljow, der die sowjetische Raumfahrt von 1933 bis 1966 maßgeblich geprägt hat, die Trägerrakete R-7. Koroljow hatte sich hierbei von Anfang an für eine Maximal-Oberstufe entschieden, die auch wesentlich schwerere Nutzlasten in eine mittlere Erdumlaufbahn bringen konnte.

Mit Hilfe dieser schubstarken Trägerrakete, die dann sehr variabel einsetzbar war, konnte die Sowjetunion schon am 4. Oktober 1957 mit "Sputnik I" den ersten künstlichen Erdsatelliten starten. Am 3. November des gleichen Jahres folgte "Sputnik ll" mit der Hündin Laika an Bord. Auch Gagarins Raumschiff "Wostok" wurde von einer modifizierten R-7 angetrieben.

Koroljow hatte sich mit seiner Entscheidung für maximale Schubkraft vieler technischer Probleme entledigt, an denen die Amerikaner lange tüfteln mussten. Sie hatten sich für den umgekehrten Weg entschieden, nämlich die Nutzlasten zu minimieren, was dann allerdings zu ihrer technischen Überlegenheit auf dem Gebiet der Mikroelektronik geführt hat.

Die Raumfahrtgeschichte der ehemaligen Sowjetunion ging vor wenigen Wochen mit dem kontrollierten Absturz der Mir zu Ende. Der erste Kosmonaut, Juri Gagarin, hat den Zerfall der Sowjetunion unbeschadet überstanden und genießt heute noch ungetrübte Verehrung. Nicht zuletzt durch seinen frühen Tod - 1968 bei einem Flugzeugabsturz - wurde er zu einer der Pop-Ikonen des 20. Jahrhunderts.

Ruth Bombosch

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