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Gesundheit: Kleinste Kapseln mit großer Zukunft

Die Nanoforschung bietet auch der Medizin neue Anwendungsmöglichkeiten

Von Catarina Pietschmann

Überall in der Natur wird verkapselt, was wertvoll und schützenswert ist. Lavendelblätter zum Beispiel speichern ätherische Öle in winzigen kürbisförmigen Vorratskammern. Simple Moose schützen ihre Sporen durch feste Kapseln vor Feuchtigkeit. Letztlich ist jede einzelne Zelle nichts anderes als eine poröse Kapsel. Ließe sich dieses Prinzip etwa auch für Arzneimittel nutzen?

Das Problem: Die meisten Wirkstoffe sind schlecht wasserlöslich oder instabil. Enzyme, Salze und Säuren setzen ihnen auf ihrem Weg durch den Organismus mächtig zu. Schon die Passage durch die Leber überstehen oft nur 40 Prozent eines Medikamentes, denn dieses große Blutfilterorgan ist schließlich eine wahre Chemiefabrik. Damit noch eine genügende Menge der Substanz am Ziel ankommt, muss sie in Überdosierung eingenommen werden.

Die Lösung: Winzigste Kapseln, die den Wirkstoff vor sinnloser Zersetzung schützen und gleichzeitig – durch eine polare Oberfläche – für eine gute Verteilung sorgen.

Helmuth Möhwald vom Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Golm hat mit seinen Mitarbeitern derartige Nanokapseln entwickelt. Sie sind so winzig, dass drei Millionen davon in einem Stecknadelkopf Platz fänden. Die trendige Vorsilbe „nano“ verwendet der Biophysiker nur ungern, denn „in der Grenzflächenforschung ist die Arbeit im Nanobereich etwas Alltägliches".

An konkrete Anwendungen dachte er allerdings nicht. Möhwald ging es um physikalische Grundlagenforschung: Grenzflächenphänomene an ultradünnen Polymerschichten. Mit einem Trick – dem mittlerweile patentierten „Layer-by-Layer-Verfahren“ – lassen sich die so genannten Polyelektrolyt-Hohlkapseln herstellen. Mikroskopisch kleine Kalkkerne werden Schicht für Schicht mit elektrochemisch vielfach geladenen Makromolekülen, den Polyelektrolyten, umhüllt.

Das Prinzip ist simpel: Entgegengesetzte Ladungen ziehen sich an, gleichartige stoßen sich ab. Ein negativ geladener Kern zieht positiv geladene Polymere an. Gibt man nun negativ geladene Polymere dazu, werden diese an der Oberfläche adsorbiert. Durch Wiederholung lassen sich Kugeln mit beliebig dicker Hülle kontrolliert aufbauen. Die einzelne Schicht ist nur etwa ein bis zwei Nanometer (millionstel Millimeter) dick. Dünne Polymerfilme enthalten Poren, durch die kleine Moleküle eindringen können. So lässt sich der Kalkkern durch Zugabe von wenig Säure herauslösen. Eine Hohlkugel entsteht, bereit für die Aufnahme von Wirkstoffen jeglicher Art.

Nach Maß geschneidert

„Hunderte synthetischer und natürlicher Polymere kommen als Kapselbausteine in Frage“, erläutert Möhwald, „darunter Eiweiße wie Gelatine und Kollagen oder große Zuckermoleküle wie Pektine und Alginate.“ Je nach Material entstehen harte oder weiche Kugeln. Vor zwei Jahren gründete sich unter Beteiligung der Max-Planck-Gesellschaft die Capsulution NanoScience AG. Heute entwickeln 16 Mitarbeiter im Auftrag der Pharmaindustrie Konzepte für ganz individuelle Kapsellösungen. Die Kapseln – kurz „Shells“ genannt – lassen sich nach Maß schneidern. Von zehn Nanometer bis 20 Mikrometer Größe ist alles möglich, und in jede einzelne Schicht lassen sich Zusatzfunktionen einbauen. An der Oberfläche können Farbpigmente, hochempfindliche Wirkstoffe, wie kleine Enzyme oder magnetische Partikel, chemisch verankert und durch die nächste Schicht wieder maskiert werden.

Antikörper ermöglichen es, hochtoxische Zytostatika gut verpackt bis an die Krebszelle heranzubringen. Andreas Voigt, einer der Firmengründer, sieht noch ganz andere Anwendungsbereiche. „Parfümöle und Wirkstoffe für die Kosmetik, Pflanzenschutz- und Düngemittel oder Farbstoffe lassen sich ebenso einkapseln, wie Enzyme für die Biotechnologie oder Katalysatorpartikel.“

Schicht für Schicht lässt sich fast alles verkapseln – bis hin zu roten Blutkörperchen, die sich, so „getarnt“, am Immunsystem unerkannt vorbeimogeln können. Die wichtigste Funktion dieser Zellen ist der Sauerstofftransport mit Hilfe des Hämoglobins. Künstliche rote Blutzellen könnten im Notfall eingesetzt werden, falls nicht genügend Blut der passenden Gruppe zur Verfügung steht.

Hans Bäumler und seine Mitarbeiter am Institut für Transfusionsmedizin der Charité nutzen einerseits nur die verkapselte Form der Zellen als elastische „Container“, um sie mit Hämoglobin zu füllen. Er probiert aber auch den umgekehrten Weg: reines Hämoglobin, das in freier Form toxisch ist, mit Polyelektrolyten zu beschichten.

Die Forscher in Golm gehen derweil schon ganz andere Wege. Wie war das? Letztlich ist jede Zelle eine Kapsel. Umgekehrt wird die Kapsel hier zur „künstlichen Zelle“. Eine Lipid-Doppelschicht um die Hohlkapsel macht das möglich. Das Bundesforschungsministerium fördert diese Arbeiten, an denen auch die Capsulution NanoScience AG sowie Biophysiker der Uni Leipzig beteiligt sind, über das Rahmenprogramm „Nanobiotechnologie“.

„Biologische Systeme sind natürlich viel komplexer“, räumt Helmuth Möhwald ein, „aber die einfachen Modellsysteme erlauben es, Zellprozesse isoliert zu betrachten.“ Beispielsweise Enzym-Rezeptorwechselwirkungen oder die Funktionsweise von Ionenkanälen. Dazu werden die entsprechenden Proteine wie Bausteine in die Membran eingesetzt. Am Ende steht immer der Vergleich mit dem Original – der echten Zelle.

Transporter für Erbinformationen

Und wieder ist die Anwendung nicht weit entfernt. Künstliche Zellen könnten in der Gentherapie als DNS-Shuttles dienen. Sie wären ideal als mobile „Nanofabriken“, denn sie könnten Wirkstoffe genau dort im Körper erzeugen, wo sie gebraucht werden. In der Biotechnologie wären sie eine immunverträglichere Alternative zu lebenden Wirkstoffproduzenten wie dem Bakterium E. Coli.

Und als Sensor für Labormedizin oder Umweltanalytik? Hochempfindlich. „Trifft nur ein Molekül auf die Kapselwand, genügt das, um sie zu öffnen und schlagartig eine Milliarde Farbstoffmoleküle freizusetzen.“ Die Physiker in Golm nennen das den „Super-Nova-Effekt“. Kleine Kapsel – große Wirkung.

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