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Gesundheit: Künstliches Innenohr ebnet den Weg aus der Isolation - Europäischer Kongress in Berlin

"Hören" ist ein komplizierter Vorgang. Er verlangt, dass im Innenohr Hörzellen den Schall, der durch das Außen- und Mittelohr dorthin gelangt, in eine Erregung der Hörnerven umsetzen.

"Hören" ist ein komplizierter Vorgang. Er verlangt, dass im Innenohr Hörzellen den Schall, der durch das Außen- und Mittelohr dorthin gelangt, in eine Erregung der Hörnerven umsetzen. Diese Nervenerregung durchläuft auf der Hörbahn im Hirnstamm weitere Etappen der Aufarbeitung. Im Hörzentrum des Großhirns werden die eingehenden Informationen schließlich zur eigentlichen Hörwahrnehmung zusammengefügt. Hörgeräte verstärken und verändern den Input, der ins Innenohr gelangt.

Für eine große Gruppe von Schwerhörigen oder Tauben reicht das nicht. Bei ihnen versagen von Geburt an oder infolge einer schweren Erkrankung, zum Beispiel einer Hirnhautentzündung, die Haarzellen im Innenohr ihren Dienst. Sie können also keine oder zu wenig akustische Informationen aufnehmen und in Form elektrischer Signale weiterleiten. Schon vor 30 Jahren begannen die Forschungen zum künstlichen Innenohr, deren Ergebnisse mittlerweile weltweit die Lebensqualität von 30 000 Menschen deutlich verbessern, wie auf dem Kongress deutscher und europäischer Experten für Hals-Nasen-Ohren-Krankheiten im ICC zu erfahren war.

In Deutschland war die Universitätsklinik Freiburg bei der Entwicklung eines Implantats führend, das mit Hilfe winziger Elektroden die Funktion der Hörzellen übernimmt und den Hörnerv direkt stimuliert. Das Cochlear-Implant (künstliches Innenohr) wird während einer Operation hinter dem Ohr unter der Kopfhaut aufgesetzt. Ein feines Kabel zieht von dort aus in das Innenohr. Außerhalb des Körpers wird ein digitaler Sprachprozessor getragen, der mit einem Mikrofon verbunden ist. Dieses Mikrofon, das den Schall aufzeichnet, der das Ohr erreicht, erinnert ein wenig an ein übliches Hörgerät. Doch nützlich ist es in diesem Fall nur zusammen mit dem Sprachprozessor, der das Angekommene in einen digitalen Code übersetzt. Auf der Kopfhaut, direkt über dem Implantat, wird eine Sendespule befestigt, die die Informationen drahtlos in das Innenohr überträgt.

Auch wenn die Klangqualität oft als verwaschen bezeichnet wird, können manche Schwerhörige und Gehörlose nach intensivem Training mit der Prothese sogar telefonieren. Die Ärzte mahnen allerdings, die Hoffnungen auf ein realistisches Maß einzuschränken. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass Träger der Innenohr-Prothese ihr Hören und das Lippen lesen kombinieren.

Für den Erfolg bei gehörlos geborenen Kindern ist der frühzeitige Einsatz entscheidend, weil die Hörbahn reifen muss, um das Sprechenlernen zu ermöglichen. Doch Schwerhörigkeit wird heute in Deutschland oft zu spät entdeckt, wie die Experten auf dem Kongress monierten. Im Schnitt bekommen betroffene Kinder erst mit zweieinhalb Jahren eine Hörhilfe angepasst. Roland Laszik, Ärztlicher Direktor der Freiburger Universitätsklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, fordert deshalb ein Screening-Programm zur Früherkennung von Hörschäden.

Einer kleinen Gruppe von Patienten mit Schwerhörigkeit oder völligem Gehörverlust kann auch das Innenohr-Implantat nicht helfen: Bei ihnen kann der Hörnerv die vom Innenohr kommenden Informationen nicht weiterleiten. Meist ist eine Neurofibromatose der Grund. Bei dieser erblichen Krankheit entwickeln sich gutartige Tumoren des Zentralnervensystems. Die Geschwulst selbst oder die erforderliche Operation führen oft zur Zerstörung der Übertragungsfunktion des Hörnervs.

Eine Prothese mit dem leider etwas missverständlichen Namen "Hirnstamm-Implantat" kann helfen, sie teilweise zu ersetzen. Die Apparaturen sind ähnlich wie bei der Innenohr-Prothese, doch die Impulse werden direkt zu einer Gruppe von Nervenzellen im Hirnstamm geleitet. Seit ein Team um den Freiburger Roland Laszig und den Braunschweiger Wolf-Peter Sollmann im Jahr 1992 erstmalig eine solche Neuroprothese einpflanzte, wurde die Methode auch in anderen Ländern übernommen. Inzwischen sind weltweit etwa 200 Patienten damit versorgt.

Auf dem Kongress wurden neben technischen Weiterentwicklungen auch erste Langzeituntersuchungen vorgestellt. Wenige Träger des Hirnstamm-Implantats gelangen demnach zu einem Sprachverstehen, das nicht durch andere Hilfsmittel gestützt wird. "Doch alle Patienten können sich viel besser verständigen, wenn sie Implantat und Lippen lesen kombinieren" resümierte Laszig, der in Freiburg bisher 20 Patienten ein Implantat einsetzte. 85 Prozent der meist mehrfach behinderten Implantat-Träger würden sich erneut für die Operation entscheiden. Wichtig ist danach vor allem die Eingewöhnungszeit. Die Anpassungsleistungen des Gehirns sind dabei beträchtlich. "Unser Illusionsorgan zwischen den Ohren leistet hier hervorragende Arbeit" freute sich Laszik.

Adelheid Müller-Lissner

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