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Gesundheit: Leben über Kreuz

An der Berliner Charité spendeten zwei Ehepaare sich gegenseitig Nieren

Vor einem Jahr kannten sie sich noch nicht, das Ehepaar P. und das Ehepaar M. Jetzt liegen sie im 15. Stock des Bettenhochhauses der Berliner Charité, Station 129, Urologie – und werden für den Rest ihres Lebens organisch miteinander verbunden sein.

Was sie verbindet sind ihre Nieren. „Meine Frau hatte mir ihre Niere angeboten, aber es haperte an der Blutgruppe“, sagt der Mann von Ehepaar P., müde, erschöpft. Er liegt im Krankenhausbett, ein Pflaster auf der Hand, seine Frau liegt neben ihm. Die beiden wohnen in Oderberg, 50 Kilometer von Berlin entfernt. Draußen ziehen dunkle Wolken vorbei, der Sturm „Kyrill“ kommt näher.

Über ein Transplantationszentrum erfuhren die Eheleute, dass es ein Berliner Paar mit dem gleichen Problem gibt: Auch hier der Mann krank, und die Frau kommt als Spenderin nicht in Frage, weil das Gewebe nicht mit dem ihres Mannes „kompatibel“ ist. Im Klartext: Es würde zu einer Abstoßung kommen.

Also fassten die beiden Paare vor einem Jahr eine Operation ins Auge, die in Deutschland äußerst selten ist: eine Überkreuz– Nierentransplantation. Das heißt in diesem Fall: Die beiden Männer bekommen die Niere der jeweils anderen Ehefrau (also über Kreuz) gespendet. Ein Arrangement, das nicht ganz unproblematisch ist. Einerseits rettet es Leben, klar. Andererseits befürchtet man, „Deals“ wie diese könnten zum heimlichen Hintertreppchen für den Organhandel werden. Beispielsweise besteht die Gefahr, dass ein reiches Ehepaar einem armen Paar eine ordentliche Summe auf den Tisch legt, um sie zu einer Transplantation zu bewegen.

Deshalb müssen sich die Paare auf jeden Fall gut kennen. Und so trafen sich die Ehepaare vor einem Jahr erstmals „zum Kaffee“ und danach regelmäßig wieder, und man kam sich näher. Im Sommer wurden alle eine Woche lang auf Herz und vor allem Nieren untersucht. Eine Ethikkommission, bestehend aus einer Ärztin, einer Richterin und einem Psychologen, prüfte darüber hinaus, ob das Paar sich freundschaftlich verbunden und keinerlei Zwängen ausgesetzt war, denn sonst verbietet das Transplantationsgesetz einen solchen Eingriff.

Dann gab es grünes Licht. Am Mittwoch um halb acht Uhr morgens war es so weit: Zwei Chirurgenteams der Charité trafen die letzten Vorbereitungen. „Wichtig ist, dass beide Operationen gleichzeitig stattfinden“, sagt der Chirurg Markus Giessing, 42. „Es könnte ja passieren, dass eine Partei doch noch aussteigen möchte.“

Fünf vor 11 bekam Giessing die linke Niere von Frau M., spülte sie durch, präparierte sie und pflanzte sie Herrn P. ein, während ein zweites Team die linke Niere von Frau P. erhielt und sie bei Herrn M. einsetzte. Um 16 Uhr 30 war der ganze Eingriff vorbei. In Deutschland ist das erst der fünfte Fall einer Überkreuz-Nierentransplantation.

Dabei mangelt es nicht an Bedürftigen. Gut 9000 Nierenpatienten gibt es hierzulande, die auf eine Niere hoffen. Im Schnitt warten sie fünf, sechs, sieben Jahre, bis es eine Niere für sie gibt. Für manche kommt jede Hilfe zu spät. Viele sterben, weil sie nicht rechtzeitig eine Niere bekommen. Alle anderen müssen Jahre lang zur Dialyse. „Das heißt, dreimal die Woche für vier Stunden ins Krankenhaus“, sagt Giessing.

Organe sind knapp, und besonders knapp sind sie in Deutschland. Eines der Hauptprobleme: Wir sind von der Rechtslage her grundsätzlich keine Organspender – es sei denn, wir stimmen dem ausdrücklich zu. In anderen Ländern, wie Österreich oder Spanien, ist es umgekehrt. Jeder ist ein Organspender, es sei denn, er lehnt es ausdrücklich ab. „Deshalb fehlt es bei uns so sehr an Organen“, sagt Giessing. An der Charité Campus Mitte hat man voriges Jahr 83 Nieren verpflanzt, „wir würden gern mehr machen“, sagt Giessing. Wenn es Organe gäbe.

Die aber sind extreme Mangelware, was zu einem regelrechten Organhandel und „Organtourismus“ führt. So ist es inzwischen keine Seltenheit mehr, dass Deutsche, um nur ein Beispiel zu nennen, mit kranken Nieren nach Indien fliegen und mit neuen zurückkehren.

Die Überkreuz-Transplantation ist eine von mehreren Möglichkeiten, die Organspende zu erweitern. Zumindest technisch und finanziell steht ihr nichts im Wege: „Der Eingriff selbst ist Routine“, sagt Giessing. Und er wird von der Kasse bezahlt. Eine Transplantation ist sogar weit günstiger als eine Dialyse, die pro Patient bis zu 50 000 Euro im Jahr kostet.

Frau P. und Frau M., die beiden Spenderinnen, sind nur ein paar Stunden nach der OP schon wieder fit und wandern zusammen über den Flur des Bettenhochhauses. Ihre Männer müssen noch zwei, drei Wochen liegen bleiben und bekommen ihr Leben lang immunhemmende Medikamente, so dass es möglichst nicht zu einer Abstoßung kommt. „Ich bin froh“, sagt Herr P. „Ich wünschte, man wäre in Deutschland in dieser Hinsicht nicht so rückständig. Ich wäre für eine solche Sache nie ins Ausland gegangen.“

Giessing, der Chirurg, lächelt. Er spricht von einem „kleinen Wunder“. Dann verschwindet er hastig. Zur nächsten OP.

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