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Gesundheit: Lesen mit Lust

Was an Deutschlands Grundschulen gut läuft

Nachdem bekannt geworden ist, dass deutsche Grundschüler in der „Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung“ (Iglu) offenbar gut abgeschnitten haben (wir berichteten), diskutieren Experten bereits mögliche Ursachen und Konsequenzen. Die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Eva-Maria Stange, sagte: „Als Schule für alle Kinder ist die Grundschule dem Auslesesystem nach Klasse 4 überlegen.“ Der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Peter Heesen, nannte Stanges Schlussfolgerung „albern“: „Die Debatte um die Schulstruktur ist von vorgestern.“ Wenn die Grundschüler im internationalen Vergleich besser dastünden als die Oberschüler liege das nicht an der Schulform, sondern an der Schulkultur. Zu viele Oberschullehrer beachteten noch nicht, dass „fordern auch etwas mit fördern zu tun hat.“

Die Iglu-Studie, deren Ergebnisse offiziell erst am 8. April vorgestellt werden, untersucht die Lesefertigkeiten von Viertklässlern in 35 Ländern. Sie ist von der Wissenschaftlerorganisation International Association for the Evaluation of Achievement (IEA) als Anschlussuntersuchung zu Pisa konzipiert. Unterdessen wurde bekannt, dass Deutschland dabei den 11. Platz belegt. Das Mittelfeld befinde sich aber in relativ großem Abstand zu den drei Ländern, in denen die Schüler am besten abschnitten, berichtet die „Welt“: Schweden, Großbritannien und den Niederlanden. Auch sei die Spitzengruppe in Deutschland vergleichsweise klein. Die Studie zeige ferner, dass Kinder, deren Eltern im Ausland geboren seien, durchschnittlich einen Lernrückstand von einem Jahr hätten.

Der Essener Forscher Klaus Klemm, der dem Wissenschaftlichen Beirat der Iglu-Studie angehört, führte die passablen deutschen Ergebnisse darauf zurück, dass die Grundschullehrer daran gewöhnt seien, heterogene Schülerschaften zu unterrichten. Außerdem seien in den letzten 30 Jahren entscheidende Reformen auf den Weg gebracht worden. Wolfgang Einsiedler, ebenfalls im Wissenschaftlichen Beirat bei Iglu und Grundschulforscher an der Universität Erlangen-Nürnberg, sagte: „Es zahlt sich aus, dass in den letzten 20 Jahren mehr Wert auf Differenzierung gelegt wird.“ Damit ist gemeint, dass leseschwache Schüler einer Klasse andere Aufgaben im Unterricht lösen als leistungsstarke der gleichen Gruppe.

Was aber läuft in Schweden oder England besser? Einsiedler verweist auf unterschiedliche Lerntraditionen. „Die deutschen Schüler sollten mehr Zeit bekommen, für sich selbst zu lesen, anstatt immer die Textanalyse zum Ziel zu haben.“ Denn womöglich vergeht bei Interpretationen und Analysen vielen Schülern die Lust am Lesen. Bei der Pisa-Studie hatten in keinem Land so viele Schüler angegeben, nie aus Spaß zu lesen wie in Deutschland. Einsiedler schlägt vor, die Schüler mit Lesenächten zu motivieren oder sie dazu zu animieren, Lesetagebücher zu führen, in denen sie über ihre Lektüre berichten. Gitta-Juliane Zielke, Pädagogik-Professorin in Paderborn, sagte, die Jugendlichen würden bis ins Erwachsenenalter durch den Deutschunterricht „geschädigt“: „In der Schule werden noch immer die alten Ladenhüter durchgekaut. Die Schüler müssen mitbestimmen können.“

Die Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaften, Ingrid Gogolin, die ebenfalls im Beirat bei Iglu sitzt, glaubt, dass englische Schüler schon deshalb besser im Lesen abschneiden, weil die Vorschule dort anders als in Deutschland „kognitive Kompetenzen“ vermittle und höher qualifiziertes Personal habe. Auch sei es in der deutschen Halbtagsschule schwierig, Schüler zum selbstständigen Lesen anzuregen.

Lassen die vorab an die Öffentlichkeit gelangten Informationen über die Leseleistungen der Schüler auch Rückschlüsse auf deren mathematisch-naturwissenschaftliche Fähigkeiten zu, die in zwölf deutschen Bundesländern ebenfalls getestet wurden? Der Essener Forscher Klaus Klemm, der dem Wissenschaftlichen Beirat der Iglu-Studie angehört, geht davon aus, dass auch hier die Grundschüler im internationalen Vergleich besser dastehen als die 15-Jährigen bei Pisa. Die Pädagogik-Professorin Zielke sieht das skeptischer: Im Mathematik-Unterricht habe sich kreatives „entdeckendes“ Lernen noch nicht so durchgesetzt wie im Deutschunterricht. Der Schulforscher Einsiedler, der die Sachkunde-Lehrpläne sämtlicher Bundesländer untersucht hat, verweist darauf, dass nur zehn bis zwanzig Prozent des Lernstoffes im Fach Sachkunde tatsächlich den Naturwissenschaften entstammen. Der überwiegende Teil komme aus der Sozialkunde: „Die Naturwissenschaften müssen verstärkt werden.“

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