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Gesundheit: Nach Belgien – des Kindes wegen

Die Präimplantationsdiagnostik ist in Deutschland verboten. Paare, die es sich leisten können, lassen sie im Ausland machen

In Deutschland ist die Präimplantationsdiagnostik (PID) verboten. Sie gilt als unvereinbar mit dem Embryonenschutzgesetz. Das Verfahren erspart Frauen, in deren Familien schwere Erbkrankheiten vorkommen, die „Schwangerschaft auf Probe“. Deshalb kommt es inzwischen zu einem regelrechten „PID-Tourismus“ in andere EU-Länder. Zu diesem Ergebnis kommt ein Gutachten, das Irmgard Nippert, Leiterin der Arbeitsgruppe Frauengesundheitsforschung an der Uni Münster, jetzt im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung erstellte.

Bei der PID, die 1990 erstmals in England angewandt wurde, werden einzelne Zellen von frühen Embryonen etwa drei Tage nach einer eigens zu diesem Zweck angesetzten Reagenzglasbefruchtung (In-vitro-Fertilisation, IVF) und vor ihrer Einpflanzung (Implantation) auf genetische Erkrankungen untersucht.

Ziel ist es, Embryonen für die Einpflanzung auszuwählen, die die krankhafte Veränderung nicht zeigen, also „genetisch gesund“ sind. Hier verbinden sich Methoden der modernen Fortpflanzungsmedizin mit denen der Humangenetik. Während das Thema im öffentlichen Bewusstsein wenig präsent ist, ist es für eine Gruppe von Menschen mit Kinderwunsch unverändert aktuell: Deutsche Paare, die sich trotz ihres familiären Risikos für eine schwere, teilweise nicht mit dem Leben vereinbare Krankheit ein Kind wünschen, gehen heute nicht selten für eine Behandlung ins Ausland.

Viele Frauen haben bereits ein oder mehrere Kinder mit der Erkrankung oder sie haben ein Kind früh verloren. Einige haben auch schon Schwangerschaften abgebrochen, die auf natürlichem Weg zustande gekommen waren, nachdem sie bei der vorgeburtlichen Diagnostik erfahren hatten, dass das Ungeborene die Anlage zu dem erblichen Leiden trug.

Um das nicht (noch einmal) mitzumachen, sind sie bereit, sich der Prozedur einer künstlichen Befruchtung zu unterziehen, obwohl sie eigentlich auf natürlichem Weg schwanger werden könnten. Andere Paare wollen bewusst ein Kind zeugen, das als Stammzellspender für ein krankes Geschwisterkind in Frage kommt. Der Weg ins Ausland wird ihnen dann heute nicht selten bei der humangenetischen Beratung nahegelegt. Die Hälfte der Frauen, die im kleinen Nachbarland Belgien eine PID machen lassen, kommt aus Deutschland oder aus Frankreich, hat Irmgard Nippert festgestellt.

Die Studie, die am Freitag in der Ebert-Stiftung in Berlin vorgestellt wurde, beschäftigt sich ausführlich mit Regelungen zur PID und der tatsächlichen Anwendung der Methode in den drei EU-Mitgliedsstaaten Belgien, Frankreich und Großbritannien. Alle drei verbindet, dass die PID dort erlaubt ist. In welchem Rahmen sie eingesetzt wird, darin unterscheiden die Länder sich jedoch.

In Belgien, das zur Forschung mit Embryonen seit 2003 eines der liberalsten EU-Gesetze hat, wird PID heute an sechs reproduktionsmedizinischen Zentren angeboten, die bis auf eines an Universitätskliniken angesiedelt sind. Auch an der katholischen Universität Leuven wird die PID praktiziert.

In Frankreich ist die PID erst seit 1999 zugelassen und wird nur an drei Zentren angeboten, in Paris, Montpellier und Straßburg. Dort hat der Gesetzgeber die Vorgabe gemacht, dass PID nur eingesetzt werden darf, wenn ein hohes Risiko für eine schwere, unheilbare genetische Erkrankung besteht. Bewusst wird es aber den Zentren überlassen, das im Einzelfall zu entscheiden. Die haben dafür unterschiedliche Maßstäbe. Seit 2005 gibt es eine staatliche Kontrollbehörde. In Frankreich werden pro Jahr etwa 100 solcher Untersuchungen gemacht.

Großbritannien, das Land, in dem 1978 das erste „In-vitro-Kind“ geboren wurde, hat schon früh eine recht freizügige Regelung geschaffen. Eine weitgehend regierungsunabhängige Lizensierungsbehörde, in der überwiegend Laien sitzen und die sich immer wieder durch öffentliche Anhörungsverfahren an der gesellschaftlichen Debatte beteiligt, entscheidet über die Art des Einsatzes der Methode. Die Patientenorganisation „Genetic Interest Group“ befürwortet ausdrücklich die PID.

Welche Folgerungen sind für Deutschland zu ziehen? Es sei vielleicht an der Zeit, das 15 Jahre alte Embryonenschutzgesetz zu überprüfen, meinte auf der Veranstaltung Moderator Wolf-Michael Catenhusen, ehemaliger Wissenschaftsstaatssekretär. Deutschland müsse dabei seinen eigenen Weg gehen, sagte Studienautorin Irmgard Nippert dem Tagesspiegel. Dass auch die Länder, in denen die Präimplantationsdiagnostik angeboten wird, ihre jeweils eigenen, historisch und politisch passenden Wege gefunden haben, um einen verantwortlichen Einsatz der Methode für einzelne betroffene Paare zu realisieren, zeigt die Studie. Sie beweist auch, dass die PID in keinem der Länder zu zweifelhaften Zwecken wie der Wahl des Geschlechts eingesetzt wird.

Die Studie im Internet:

www.fes.de/biotech

Stellungnahme des Ethikrates:

www.ethikrat.org/stellungnahmen

Adelheid Müller-Lissner

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