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Gesundheit: Null Bock auf null Bock

Die deutsche Jugend ist unpolitisch, aber optimistisch und bereit, das Leben in die Hand zu nehmen

Von Anja Kühne

„Toll aussehen“, Karriere und Technik rangieren in der Werteskala der deutschen Jugend ganz oben, politisches Engagement – gemeinsam mit Drogen! – ganz unten (siehe Grafik). Wächst eine Generation von Materialisten heran, die sich auch einem Diktator anvertrauen würde, wenn er nur für Markenklamotten sorgt? In diesem Sinne wollen die Sozialforscher, die am Montag die 14. Shell-Jugendstudie vorstellten, auf keinen Fall verstanden werden. „Der Ich-Bezug der Jugendlichen ist sehr stark. Aber sie sind trotzdem nicht darauf aus, ihre Interessen gegen das Gemeinwesen durchzusetzen“, sagte der Autor der Studie, Klaus Hurrelmann, Professor für Sozialwissenschaften an der Universität Bielefeld. Dort, wo Jugendliche die Früchte ihres Engagements im eigenen Umfeld sehen können und auch unmittelbar etwas für sie selbst herausspringt, packen sie noch immer gern mit an. Der Familienministerin Christine Bergmann fielen bei der Vorstellung der Studie die vielen Jugendlichen ein, die das Fernsehen beim Stopfen der Deiche an der Elbe zeigt.

Umweltschutz nicht mehr so wichtig

Für die große Politik interessieren sich nur noch 34 Prozent, darunter besonders viele Gymnasiasten und Studenten. 1984 sagten noch 55 Prozent aller Jugendlichen, politisch interessiert zu sein. Hurrelmann und der Co-Autor der Studie, der Bielefelder Sozialforscher Mathias Albert, glauben, dass diese Haltung auch auf den Rest der Gesellschaft übergreifen wird: „Die Jugendlichen sind Trendsetter.“ Die meisten Jugendlichen stehen den beiden großen Volksparteien nahe. 25 Prozent ordnen sich der SPD zu, 26 Prozent der CDU. Die Grünen, die bis Mitte der achtziger Jahre noch große Sympathie genossen (23 Prozent), sind nur noch bei wenigen beliebt (9 Prozent). Rechte Parteien würde nur ein Prozent wählen. 37 Prozent der Jugendlichen trauen keiner Partei zu, die Probleme zu lösen. 56 Prozent der ostdeutschen und 46 Prozent der westdeutschen Jugendlichen sind gegen den weiteren Zuzug von Ausländern. 15 Prozent würden es „nicht so gut“ finden, wenn in die Nachbarwohnung ein homosexuelles Paar zieht.

Übergreifende politische und gesellschaftliche Ziele halten die Jugendlichen für nicht mehr so bedeutend. In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre fanden noch 83 Prozent „umweltbewusstes Verhalten“ wichtig. Inzwischen sind es nur noch 59 Prozent. Die Forscher stellen fest, die Mentalität der Jugend habe sich insgesamt von der Gesellschaftskritik in „Richtung der gesellschaftlichen Mitte verschoben“. Das gelte auch für die traditionell besonders kritisch eingestellten Studenten, deren Einstellung sich dem „gesellschaftlichen Mainstream deutlich annähert“. Die meisten Jugendlichen denken unideologisch. Sie wollen in einer Welt mit vielen Risiken (Terroranschläge, Wirtschaftsflaute) ihre Ziele erreichen: einen angemessenen Lebensstandard und ein harmonisches Sozialleben. Die politischen und wirtschaftlichen Unsicherheiten haben nicht etwa zu einer verweigernden „Null-Bock“- Haltung geführt, sondern zu Leistungsbereitschaft. Die Jugendlichen neigen sogar zu Opportunismus. Während in den achtziger Jahren 62 Prozent sagten, sie fänden „Fleiß und Ehrgeiz“ wichtig, sind es heute 75 Prozent.

Frauen mögen Bioläden

Ehrgeiz gepaart mit dem Streben nach Sicherheit: Dieser Wertewandel in der Jugend spiegelt sich besonders bei den Mädchen und jungen Frauen. „Karriere machen“, „sich selbstständig machen“ und „Verantwortung übernehmen“ ist für sie genauso wichtig wie für männliche Jugendliche. Frauen nutzen die Chancen von Bildung inzwischen besser als Männer, zeigt die Studie. Sie legen häufiger das Abitur ab und das mit besseren Noten. Das Rollenverhalten hat sich aber nicht radikal geändert. Nach wie vor sind Mädchen emotionaler, toleranter, umweltbewusster und sozial hilfsbereiter als Jungen. Ihr Verhältnis zur Technik ist immer noch zurückhaltender, „Treue“, „Heiraten“ und „Bioläden“ sind für sie mehr „in“ als für männliche Jugendliche.

Besonders viele Frauen, nämlich 60 Prozent, gehören der Gruppe der „pragmatischen Idealisten“ an, der die Forscher etwa ein Viertel der deutschen Jugendlichen zuteilen. Sie stammen vor allem aus bildungsbürgerlichen Schichten und engagieren sich besonders für soziale und politische Ziele. Materielles Streben ist für sie weniger wichtig. Die zweite Gruppe von optimistischen Jugendlichen, die Hurrelmann zur gesellschaftlichen „Elite“ zählt, sind die „selbstbewussten Macher“. „Ihr Gesellschaftsbild dreht sich darum, inwieweit die sozialen Bedingungen dem Leistungsgedanken gerecht werden“, schreiben die Forscher. Am wichtigsten ist ihnen der eigene Erfolg.

Die potenziellen Verlierer der Gesellschaft finden sich zu einem weiteren Viertel in der Gruppe der „zögerlich Unauffälligen“, die mit den Leistungsanforderungen in der Schule oder der Ausbildung nicht gut zurecht kommen, aber nur mit Resignation reagieren. Anders dagegen die „robusten Materialisten“. In dieser Gruppe gibt es besonders viele junge Männer mit schlechtem sozialen Hintergrund, die nicht aufgeben und zumindest äußerliche Stärke demonstrieren. Robuste Materialisten sind häufig „diffus unzufrieden“ mit Gesellschaft und Politik. „Ein kleiner Teil neigt zu politischem Radikalismus“, stellen die Forscher fest und empfehlen der Gesellschaft eine harte Gangart, „weil diese besonders gewalterfahrene Gruppe“ keine andere Sprache „versteht oder verstehen will“. Um die unauffälligen Resignierten müsse die Gesellschaft sich mehr kümmern, indem sie sie „im Bildungssystem besser abholt als bisher“.

Mehr zum Thema im Internet:

www.shell-jugendstudie.de

Die 14. Shell-Jugendstudie ist im Fischer Taschenbuch Verlag unter dem Titel „Jugend 2002 – Zwischen pragmatischem Idealismus und robustem Materialismus“ erschienen und kostet 12 Euro 90.

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