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Gesundheit: Paläontologie: Dösen unter Schachtelhalmen

"Das ist der Rest", sagt Thomas Martin und öffnet die Tür des weißen Wandschranks im Institut für Paläontologie der Freien Universität Berlin (FU). Durchsichtige Plastiktüten, jede etwa so groß wie ein DIN A 4 Blatt, stapeln sich darin.

"Das ist der Rest", sagt Thomas Martin und öffnet die Tür des weißen Wandschranks im Institut für Paläontologie der Freien Universität Berlin (FU). Durchsichtige Plastiktüten, jede etwa so groß wie ein DIN A 4 Blatt, stapeln sich darin. Etwa 250 mögen es sein. Vielleicht auch mehr. Gezählt hat sie schon lange keiner mehr.

In den Tüten lagern in Zellstoff eingewickelt die letzten noch nicht präparierten Fossilfunde aus einer alten Mine in Portugal. Kohlestücke, ein jedes mit einem farbigen Kringel dort, wo vor Jahren eine Sammlerin Reste eines längst ausgestorbenen Tieres entdeckt hatte. "Die Stücke hier reichen aus, um unsere Präparatorin noch bis in den Ruhestand hinein zu beschäftigen", schätzt Martin. Weitere Sensationen erwartet er kaum mehr. "Die wichtigsten Funde sind gleich zu Anfang präpariert worden." Die Kohlenmine Guimarota bei Leiria, 120 Kilometer nordöstlich von Lissabon, entpuppte sich als paläontologische Schatztruhe.

Ein Blick zurück: Guimarota in den 50er Jahren. Walter Georg Kühne, Gründer des paläontologischen Instituts an der FU, entdeckte auf Kohlehalden Guimarotas Reste von Muscheln und Schnecken aus der Zeit des Jura vor 150 Millionen Jahren. Wenig später stellte die Mine ihren Betrieb ein und wurde geflutet. Nichts erinnerte mehr an den Kohleabbau. Und nichts wies darauf hin, dass in Guimarota bald eines der größten Unternehmen in der Paläontologie in Angriff genommen werden sollte.

Guimarota 1973. Das Wasser ist aus der Mine gepumpt. Die alten Gänge sind gesichert. Ehemalige Minöre bauen - nun im Dienst der Wissenschaft - erneut Kohle ab und transportieren sie in Loren ans Tageslicht. Frauen hauen an Holztischen sitzend die Kohlebrocken entzwei. Täglich eine Tonne. Sie suchen nach Zähnen, Kiefern und alten Knochen. Nach Überresten einer vergangenen Tier- und Pflanzenwelt.

Und sie werden fündig: In zehn Jahren akribischer Arbeit bringen die Männer und Frauen zehntausende von Zähnen, Knochen, und fossilisierten Pflanzenresten zu Tage. Die meisten Fundstücke sind kaum größer als ein Stecknadelkopf, andere erreichen immerhin eine Größe von wenigen Zentimetern. Zum Vorschein kam eine Welt, die zu finden man kaum für möglich gehalten hatte. Ein jurassischer Küstensumpf, in dem sich Reptilien, aber vor allem kleine Säugetiere tummelten, Insekten nachjagten und unter Koniferen, Baumfarnen und riesigen Schachtelhalmen dösten. Am Horizont glitzerte der Protonordatlantik.

Landtiere aus dem Oberen Jura sind in Europa sehr selten zu finden. Die meisten Fossilien stammen aus dem Meer, denn weite Teile des Kontinents waren überflutet. Um so sensationeller sind die Überbleibsel aus der portugiesischen Kohlenmine.

"Guimarota stellt heute die weltweit reichhaltigste Lagerstätte für Säugetierfossilien aus dem Jura dar", erklärt Thomas Martin. Nirgendwo sonst fand man so viele Reste von Säugetieren (Mammalia) aus dieser Zeit. Zwar stieß man hier und da auf Zähne. Ganze Skelette wie in Guimarota waren aber unbekannt. "Bis zur Entdeckung der Grube Guimarota hatten alle Funde von frühen Säugetierfossilien in einem einzigen Schuhkarton Platz", sagt Martin.

Seit mehr als 20 Jahren forschen die Berliner Paläontologen an den Funden. Einige Objekte haben Einzug in die Lehrbücher gehalten. So etwa das Skelett von Henckelotherium, einem mausgroßen Säugetier des Oberen Jura. Wie die meisten Mammalia des Jura ernährte sich dieser Vorfahr heutiger Säugetiere von Insekten. Große Fleischfresser gab es damals noch nicht.

Diesen Platz nahmen zunächst die Dinosaurier ein. Erst als die verschwanden, änderten die Mammalia ihre Nahrungsgewohnheiten, wurden größer und eroberten sich ihre Nischen im Tierreich.

Ganz von der Bildfläche verschwunden ist heute die Gruppe der Docodontier (deutsch "Balkenzähner"). Zu ihnen gehören Säugetiere, die wie Maulwürfe in der Erde lebten. Die Funde aus Guimarota zeigen genau die gleichen verbreiterten Oberarmknochen wie die Wühler der Neuzeit. Offenbar trugen sie auch damals schon die kräftigen Muskelpakete der kleinen Tiere. Für Paläontologen ein Hinweis darauf, dass sich im Jura Tiergruppen bereits stark spezialisiert hatten.

Auch Reste von Dinosauriern fand man in der Kohlenmine. Sie stammen von sehr kleinen Dinos. Martin hält es durchaus für möglich, dass sich die kleinen Saurier vor den großen Verwandten in die Sümpfe geflüchtet haben. Für die war der Boden dort so sumpfig, dass sie nicht folgen konnten. Damit erklärt man sich auch das Fehlen großer Dinosaurier in der Grube Messel bei Darmstadt.

Die Skelette der Säuger aber sind zweifellos die bedeutendsten Fossilien aus Guimarota. Besser als mit fossilen Zähnen kann man mit ihrer Hilfe zurück verfolgen, wie sich die Gelenke und die Bewegungen der frühen Säugetiere entwickelt haben. Aber die Guimarota-Funde sind zu großen Teilen Zähne. Über 10 000 Krokodilzähne, mehr als 600 Dinosaurierzähne und mindestens 7000 Säugetierzähne liegen inzwischen fein säuberlich auf Sand gebettet in den Schubladen des Paläontologischen Instituts der FU. "Wir haben hier die größte Säugetierzahnsammlung weltweit", sagt Thomas Martin.

Der besondere Reiz von Guimarota liegt für ihn aber in der Gesamtheit der Sammlung. Noch nie habe man ein komplettes Ökosystem aus dem Oberen Jura in seiner gesamten Diversität vollständig erfassen können. "Es handelt sich bei diesem Ökosystem um einen Sumpf mit Stillwasserbedingungen, in den nur wenig Sediment von außen hineingetragen wurde. Wir können also davon ausgehen, dass das, was wir dort gefunden haben, auch wirklich da gelebt hat." Und zwar etwa zur gleichen Zeit, denn Guimarota umfasst einige zehntausend Jahre - für Geologen ein verschwindend kleiner Zeitraum. Erst wenn die Paläontologen in Berlin das Material vollständig aufgearbeitet und ausgewertet haben, geht es zurück. In Lissabon wartet bereits ein Museum.

Julia Thurau

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