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Patientenverfügung: Nicht alle Zweifelsfälle lassen sich regeln

Ärzte müssen Patientenverfügungen befolgen – Personen des Vertrauens sollten dennoch Einfluss haben.

Er kann nicht mehr sprechen, lesen, schreiben, nicht mehr verstehen, was um ihn herum geschieht – Walter Jens, einer der Vorkämpfer der aktiven Sterbehilfe in Deutschland, hat schwere Demenz. In seiner Patientenverfügung steht, dass er so, wie er jetzt lebt, niemals leben wollte. Doch seine Frau Inge ist sich inzwischen sicher: Er will nicht sterben. Trotz allem Leid gebe es noch viele Momente, die ihm Freude bereiten.

Über Sinn und Unsinn von Patientenverfügungen wird seit Jahren heftig gestritten. Befürworter meinen, so könne dem Willen des Betroffenen Geltung verschafft werden, auch wenn er diesen selbst nicht mehr äußern könne. Kritiker bemängeln, weit im Voraus verfasste Erklärungen sagten wenig über die Meinung eines Menschen im Angesicht der Krankheit aus. Ende Juni verabschiedete der Bundestag nun ein Gesetz, das die Eigenverantwortung des Einzelnen stärkt: Patientenverfügungen sollen künftig für Ärzte verbindlich sein und müssen vorrangig berücksichtigt werden.

Doch aller moralischen und politischen Debatten zum Trotz: In der Praxis beschäftigen sich die Deutschen nur ungern mit den Themen Tod und Leiden. Vier von fünf Bundesbürgern haben keine Patientenverfügung. Das ergab jüngst eine Umfrage des Nürnberger Marktforschers GfK. Dabei ist es durchaus sinnvoll, für den Ernstfall vorzusorgen, meint der Berliner Notar Ulrich Schellenberg. „In einer Patientenverfügung kann man bestimmen, wie man ärztlich behandelt werden möchte, wenn man nicht mehr in der Lage ist, seinen Willen selbst zu äußern.“ Oft beziehen sich solche Behandlungswünsche auf lebensverlängernde Maßnahmen, etwa die Wiederbelebung oder die Ernährung durch eine Magensonde. Aber auch andere Untersuchungen, Behandlungen oder ärztliche Eingriffe können geregelt werden.

Damit eine Patientenverfügung für Ärzte verbindlich ist, muss sie schriftlich verfasst sein. Weitere Formalitäten, etwa die notarielle Beurkundung, gibt es nicht. Ulrich Schellenberg hält es dennoch für wichtig, sich von einem Anwalt oder Notar beraten zu lassen. Dieser könne vor allem bei den richtigen Formulierungen helfen, da das Schriftstück möglichst klar und eindeutig sein sollte. Auch viele Organisationen beraten zum Thema, etwa Betreuungsvereine, die Bundeszentrale Patientenverfügung, die Deutsche Hospizstiftung oder die Kirchen. Zusätzlich sollte man einen Arzt aufsuchen, der dabei helfen kann, die medizinischen Zusammenhänge zu verstehen.

Vordrucke, die man bloß noch ausfüllen muss und die vielerorts im Internet zu finden sind, erscheinen zwar erst mal praktisch. Oft sind sie jedoch zu allgemein gehalten. Ein Problem, das der Göttinger Palliativ-Mediziner Friedemann Nauck ohnehin bei vielen Patientenverfügungen sieht: Bezüge auf eigene Krankheiten, Glaubens- oder Wertvorstellungen fehlten meist völlig, beklagt er. Dabei seien gerade diese Informationen im Zweifelsfall wichtig, um den wirklichen Willen des Patienten zu ermitteln.

Doch weiß ich heute wirklich schon, was in vielen Jahren richtig für mich ist? Solche Zweifel und Ängste kennt Anna Fischer vom Cura-Betreuungsverein in Berlin aus ihrer Beratungsarbeit nur zu gut. Sie macht aber auch deutlich: „Eine Patientenverfügung ist nicht in Stein gemeißelt. Sie kann jederzeit geändert oder widerrufen werden, auch mündlich oder sogar durch Gesten.“

Außerdem sollte man eine Person seines Vertrauens als Bevollmächtigten benennen, rät Fischer. Dieser kann dann Erklärungen für den Erkrankten abgeben, wenn er dazu selbst nicht mehr in der Lage ist. Eine solche Vorsorgevollmacht sollte immer Teil einer Patientenverfügung sein, empfehlen auch Bundesärzte- und Bundesnotarkammer. Zum einen, weil sonst im Zweifelsfall eine Betreuung angeordnet werden muss. Zum anderen, weil man so auch für unvorhersehbare Fälle vorsorgt. „So kann zum Beispiel geregelt werden, dass der Bevollmächtigte Entscheidungen treffen darf, die in der Patientenverfügung noch nicht bedacht wurden“, sagt Ulrich Schellenberg.

Auch wenn nicht jeder für den Fall der Fälle vorsorgt: Für bestimmte Personengruppen sei dies auf jeden Fall sinnvoll, meint der Jurist. „Das sind zum Beispiel Alleinstehende ohne enge Verwandte oder Freunde.“ Denn bei ihnen könne im Ernstfall niemand wissen, welche Behandlung sie sich wünschen. „Auch für Menschen mit konkreten schweren Krankheiten macht eine Verfügung Sinn“, ergänzt Anna Fischer. Wer zum Beispiel Multiple Sklerose oder ein anderes oft tödlich verlaufendes Leiden habe, wisse genau, was auf ihn zukommt und wie er damit umgehen möchte.

Doch es gibt auch Situationen, wie sie Inge Jens erlebt. In denen der Wille eines Menschen sich im Angesicht des Todes komplett umkehrt. Über die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen ist die 82-Jährige ins Zweifeln geraten. Trotzdem rät sie anderen, ihren Willen für den Ernstfall aufzuschreiben. Denn für die Angehörigen, die letztlich über Leben und Tod zu entscheiden hätten, könne dies eine zusätzliche Hilfe sein.

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