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Gesundheit: Pille für den Mann: Marktchancen hat sie jedoch nicht (Kommentar)

Es gibt tatsächlich Erfindungen, die immer wieder aufs Neue gemacht werden - und jedes Mal wird die Erfolgsmeldung als Triumph der Wissenschaft gefeiert. Am Montag wurde von der Universität Edinburgh ein Durchbruch gemeldet, der bereits seit längerem den Nobelpreis für die am häufigsten gemachte Erfindung verdient hätte: die Pille für den Mann.

Es gibt tatsächlich Erfindungen, die immer wieder aufs Neue gemacht werden - und jedes Mal wird die Erfolgsmeldung als Triumph der Wissenschaft gefeiert. Am Montag wurde von der Universität Edinburgh ein Durchbruch gemeldet, der bereits seit längerem den Nobelpreis für die am häufigsten gemachte Erfindung verdient hätte: die Pille für den Mann.

Die paradoxe Serie von Wiedergeburten des erfinderischen Geistes geht auf die späten achtziger Jahre zurück. Damals bewies eine umfangreiche Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO), dass eine wöchentliche Injektion von Testosteron als Verhütungsmittel für den Mann wirkt. Die WHO jubelte und feierte die Antibaby-Spritze als Meilenstein im Kampf gegen die globale Überbevölkerung: In "drei bis fünf Jahren" werde die Pille für den Mann allgemein zur Verfügung stehen.

Das männliche Sexualhormon wird normalerweise proportional zur Samenproduktion in den Hoden gebildet. Je nach Testosteron-Wert im Blut entsendet die Hirnanhangsdrüse (Hypophyse) Botenhormone, die die Spermienherstellung ankurbeln. Durch das künstlich zugeführte Testosteron erhält die Hypophyse die Falschmeldung, die Hoden würden zu viel Spermien produzieren: Die Ausschüttung der Botenhormone wird gestoppt, die Samenproduktion versiegt.

Nebenwirkungen wurden bei der WHO-Untersuchung nur vereinzelt beobachtet - und die waren keineswegs nur unerwünscht: Neben Akne, Stimmungsschwankungen und Gewichtszunahme wurden vor allem Leistungssteigerung und Zunahme der Libido registriert. Die Zuverlässigkeit der Testosteron-Verhütung lag mit 99 Prozent (eine Schwangerschaft pro Jahr bei 100 Paaren) in derselben Größenordnung wie die der Antibaby-Pille für die Frau (99,5 Prozent). Im Vergleich mit der "Sicherheit" der traditionellen Verhütungsmethoden des Mannes (Kondom 85 bis 97 Prozent, Koitus interruptus 80 bis 95 Prozent) hätte das eine Sensation sein können.

Und trotzdem konnte sich die Testosteron-Methode nicht durchsetzen. Die damals getesteten Dosierungen waren höher als jene, die dem Sprinter Ben Johnson 1988 zum - nachträglich aberkannten - Olympia-Sieg im Hundertmeter-Lauf in Seoul verhalfen. Auch wegen der notwendigen Injektionen und drohender Unterhaltsforderungen bestand seitens der Pharmafirmen kein Interesse an der Vermarktung - so blieb es der männlichen Hälfte der Menschheit vorerst erspart, entweder unangenehme Hormone einnehmen oder unbequeme Diskussionen über Gleichberechtigung führen zu müssen.

Mit der jetzt in Edinburgh vorgestellten Neu-Erfindung der "Pille für den Mann" ist jedoch ein baldiges Ende der Schonzeit für das starke Geschlecht abzusehen. Das Verhütungs-Rezept der schottischen Wissenschaftler erfordert nur noch vierteljährliche Testosteronspritzen, kombiniert mit einer täglichen Tablette Desogestrel - einem künstlichen Hormon, das auch in weiblichen Antibabypillen enthalten ist. Desogestrel stoppt die Spermienproduktion in den Hoden in der gleichen Weise, wie es den Eisprung in den Eierstöcken verhindert.

Da die Kombination den Testosteronspiegel nicht erhöht, hat sie genauso wenig Nebenwirkungen wie die Pille. Nach Absetzen der Medikation setzt die Spermienproduktion uneingeschränkt wieder ein, spätestens nach drei Monaten ist die Spermienzahl wieder so hoch wie vorher. Aufgrund positiver Erfahrungen mit ähnlichen Kombinationen ist abzusehen, dass das Präparat in Kürze zur oralen Verabreichung verfügbar sein wird - Der "kleine Unterschied" in Sachen Verhütung ist dann so winzig geworden, dass sich mit ihm die hormonelle Familienplanung nicht mehr als biologisches Schicksal der Frau begründen lässt.

Dem Tag, an dem die Zeugungsfähigkeit durch künstliche Sexualhormone ausgeschaltet wird, sehen offenbar auch die - mehrheitlich männlichen - Pharmamanager mit gemischten Gefühlen entgegen. Täglich eine Pille schlucken, die Gewichtszunahme und Stimmungsschwankungen verursachen kann, lässt sich wohl kaum als Männersache vermarkten - gegen latente Kastrationsangst aus der Tiefe des männlichen Unterbewusstseins sind die Werbestrategen der Pharmakonzerne machtlos. Da die Frauen das Risiko einer ungewollten Schwangerschaft ohnehin tragen, so wird argumentiert, wollen sie auch die Verantwortung für die Verhütung selbst übernehmen.

Ob die schottische Pille zur Marktreife entwickelt wird, ist daher noch vollkommen ungewiss. Viel besser sind die Absatzchancen für Sexualhormone als Leistungssteigerer und Potenzmittel: Prototypen neu entwickelter Testosteron-Pflaster werden unter Pharma-Managern bereits eifrig herumgereicht.

Der Autor ist Technologieberater und Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie an der Universität Halle.

Alexander S. Kekulé

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