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Stammzellenforschung: Die Chimäre in uns

Wir empfinden Mischwesen intuitiv als widernatürlich – aber lässt sich das auch vernünftig begründen?

Als letzte Woche das britische Parlament die Schaffung von Tier-Mensch-Embryonen erlaubte, war die Empörung groß, nicht zuletzt in Deutschland. Von der Politik über die Kirchen bis hin zur Bundesärztekammer hieß es unisono, die Bildung solcher „Chimären“ sei „unethisch“, „pervers“, ja „monströs“. Man verurteilte die Forschung als „Frankenstein-Wissenschaft“, und die „FAZ“ bildete, um den Frankenstein-Faktor zu unterstreichen, die Illustration eines Kentauren, einer Mischung aus Pferd und Mensch, auf ihrer ersten Seite ab.

Sicher, die Reaktion war so heftig, weil hier in den Augen vieler die Lizenz erteilt wurde, an schutzlosen Embryonen zu experimentieren und „Gott im Labor“ zu spielen.

In diesem Fall jedoch kommt noch etwas Entscheidendes, Spezielles hinzu: Es ist die Idee einer Vermischung von Tier und Mensch, die uns intuitiv abstößt. Da soll im Reagenzglas zusammenwachsen, was nicht zusammengehört.

Was hat es mit dieser unserer intuitiven Ablehnung auf sich? Woher kommt sie – und ist sie gerechtfertigt?

Zunächst: Zielsetzung des britischen Vorstoßes ist nicht die Bildung von Chimären. Es geht bei den Versuchen um Stammzellforschung. Man erhofft sich neue Erkenntnisse über die Entwicklung von Zellen und neue Therapieansätze für Krankheiten wie Diabetes. Ob es je zu diesen Therapien kommen wird, ist, wie so oft bei wissenschaftlichen und medizinischen Projekten, nicht sicher. Es ist möglich, dass nichts dabei herauskommt. Möglich ist auch, dass die Versuche zu einer Medizin führen, die Millionen von Menschen das Leben erleichtert oder sogar rettet.

Wozu aber die Tierzellen? Für die Stammzellforschung braucht man Eizellen. Die Entnahme von Eizellen ist für Frauen eine unangenehme Prozedur. Und es besteht die Gefahr, dass dabei Frauen gegen Geld ihren Körper als „Rohstoffquelle“ zur Verfügung stellen. Weil man dies verhindern will, dürfen die britischen Wissenschaftler auf die Eizellen von Tieren, beispielsweise verstorbenen Kühen, ausweichen.

Aus den Eizellen entfernen die Forscher das Haupterbgut, das sich im Zellkern befindet. Anschließend schleusen sie ein menschliches Genom in die Eizelle. Das Erbgut der Eizelle besteht nun fast ganz aus menschlichem Erbgut.

Nur ein kleiner Rest des Gesamterbguts in der Zelle ist noch tierisch. Aus der Eizelle hat man zwar das Haupterbgut im Zellkern entfernt. Im Zellsaft aber befinden sich noch andere Strukturen, darunter die Mitochondrien, die „Kraftwerke“ der Zellen. Die Mitochondrien sind selbst mit Genen bestückt, wenn auch nur mit einigen wenigen: Ihr Anteil am Gesamtgenom beträgt 0,1 Prozent. Wir haben es bei der „Chimäre“ also mit 0,1 Prozent tierischen und 99,9 Prozent menschlichen Erbanlagen zu tun. „Tier-Mensch-Embryo“ – der Begriff suggeriert, ebenso wie der der Chimäre und die antiken Illustrationen davon, so etwas wie einen Fifty-fifty-Mix. Davon aber kann bei den Embryonen keine Rede sein. Die antike Chimärenassoziation, die einen Großteil der Empörung hervorruft, beruht auf einer starken Verzerrung der Realität.

Und das umso mehr, als diese Embryonen nach britischem Gesetz nicht in eine Gebärmutter eingepflanzt werden dürfen und nach maximal 14 Tagen vernichtet werden müssen. Es wird also weder ein Kuhmensch noch ein Mensch mit 0,1 Prozent Kuhmaterial entstehen, sondern ein Gebilde von höchstens ein paar hundert Zellen. Das Bild der Chimäre ist somit gleich mehrfach irreführend.

Und doch, es fällt uns schwer, uns der Kraft der Bilder, der Suggestion eines Mischwesens, das im Labor geschaffen wird, zu entziehen. Und Tatsache ist: Es wird ein Mischwesen geschaffen, auch wenn „nur“ die Mitochondrien des Embryos vom Tier stammen.

Dieser Umstand wiederum hat seine eigene Ironie. Mitochondrien nämlich sind vom Ursprung her weder tierisch noch menschlich. Entwicklungsgeschichtlich sind sie Bakterien. Das ist auch der Grund dafür, weshalb sie mit eigenen Genen ausgestattet sind. Im Laufe der Evolution sind urzeitliche Bakterien eine Symbiose mit jenen Einzellern eingegangen, aus deren Nachfolgern sich sowohl Kühe als auch Menschen zusammensetzen. Wir Menschen sind, wie fast alle Lebewesen, ein genetisches „Multikulti-Produkt“. In unserem Erbgut integrierte Viren reisen seit Urzeiten in uns mit. Die Mischung ist unser Wesen. Aus dieser Sicht erscheint unsere Abscheu vor einer Vermischung von menschlichem mit „fremdem“ Erbgut geradezu absurd.

Lehrreich in diesem Zusammenhang ist auch ein Blick auf die Embryonalentwicklung von Tier und Mensch. Just in den frühen Stadien der Entwicklung ähneln sich die Embryonen verschiedener Arten – Fische, Reptilien, Vögel, Säugetiere, Mensch – auf frappante Art. Zu Beginn der Entwicklung überwiegen die Gemeinsamkeiten, wie schon der deutsche Biologe Ernst von Baer vor 150 Jahren entdeckte. Die Unterschiede zwischen den Arten – etwa die Federn des Vogels, der Panzer der Schildkröte und das menschliche Gehirn – bilden sich erst später heraus.

Das gilt nicht nur für den Körperbau, sondern auch für die dahintersteckende Genetik. Bei den Erbanlagen, die am Beginn des Lebens aktiv sind, handelt es sich um fundamentale Entwicklungs- und Körperbaugene, die artübergreifend aktiv sind – von der Qualle bis zum Menschen. Anders gesagt: Wer im Embryonalstadium etwas vermischt, vermischt fast nichts.

Doch auch danach bleibt die strikte Trennung zwischen Tier und Mensch etwas Künstliches, etwas, das auch stark mit unserer Religion zu hat. Im Gegensatz zum Tier ist der Mensch das Ebenbild Gottes. Nach religiöser Vorstellung hat nur der Mensch eine Seele, das Tier nicht. Laut katholischer Kirche findet die „Beseelung“ des Menschen mit der Befruchtung der Eizelle statt. In der Konsequenz sind wir geneigt, einem menschlichen Embryo mehr Grundrechte und Würde zuzugestehen als beispielsweise einem ausgewachsenen Schimpansen.

Für alles dies gibt es nur wenig empirische Unterstützung. Zwei Wochen alte Embryonen besitzen kein Nervensystem, und nach allem, was wir wissen, sind es Gehirne, die so etwas wie eine „Seele“ hervorbringen. Subjektives Erleben, Gefühle, Bewusstsein, Geist – all das, was wir mit dem Begriff der Seele verbinden, ist nicht etwas exklusiv Menschliches, sondern etwas „Hirniges“.

Je komplexer das Gehirn, desto komplexer die Seele. Die Seele ist kein Alles-oder-nichts-Phänomen, sondern entwickelt sich höchstwahrscheinlich wie die Arten selbst: allmählich, stufenweise. Mäuse haben vermutlich schon ein wenig „Seele“, Delfine und Affen sicher erheblich mehr und der Mensch am meisten. Vielleicht gibt es Außerirdische, die noch mehr haben. Wären sie so gestrickt wie wir, sie würden uns vielleicht unsere Seele ganz absprechen, nur weil unsere Seele nicht ganz so weit entwickelt ist wie ihre.

Den Grundaufbau unseres Gehirns wie der Großteil der Gene teilen wir mit vielen Tieren. Mit dem Schimpansen stimmen wir zu etwa 98 Prozent genetisch überein. Das heißt nicht, dass alles gleich ist. Aber unsere Ähnlichkeit mit den Tieren ist so enorm, dass es für die intuitive Abscheu einer Vermischung mit ihnen kaum eine rationale Grundlage gibt.

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