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Gesundheit: Sündenfälle des Bologna-Prozesses

Von George Turner, Wissenschaftssenator a. D.

Die Reform des Studiensystems mit der Ersetzung des Diploms durch Bachelor- und Masterabschlüsse hat auch zum Ziel, einen ersten Abschluss nach sechs Semestern zu ermöglichen. Das ist nicht nur an die Adresse der Studierenden gerichtet, die in dieser Zeit ein bestimmtes Pensum erarbeiten müssen, sondern vor allem an die Professoren, den Stoff so zu gestalten, dass er in dieser Zeit studierbar ist. Dass dies möglich ist, beweist uns das gesamte Ausland.

Die neuen Studiengänge sind noch gar nicht überall eingeführt, da werden sie schon wieder in Frage gestellt. Es sei nicht möglich, in sechs Semestern einen brauchbaren Inhalt anzubieten; sieben oder acht Semester sollten es schon sein. Wenn das Schule macht, kann man die Reform vergessen. Dann wird es nichts mit kürzerer Studiendauer und geringerem Alter der Absolventen.

Die Umsetzung ist nicht frei von Fehlern. Das gilt in erster Linie für die Ingenieurwissenschaften. Dort, wie auch in anderen Fächern, wäre es besser gewesen, das kürzere, praxisorientierte Studium (Bachelor) fände an den Fachhochschulen statt, das mehr wissenschaftlich angelegte, zum Master führende Studium an den Universitäten. Indem man dem Drängen der Fachhochschulen, ebenfalls Masterstudiengänge anzubieten, nachgegeben hat, beging man den ersten Sündenfall. Der zweite war, die Universitäten zu Bachelor-Programmen zu zwingen.

Manche Hochschullehrer und viele Studierende sowie politisch Verantwortliche haben offenbar immer noch nicht begriffen, dass die Massenhochschule ein anderes Ausbildungssystem verlangt als die auf kleinere Zahlen ausgerichtete Universität der Vergangenheit. Innerhalb von fünfzig Jahren ist der Anteil der Studierenden an der gleichaltrigen Bevölkerungsgruppe von 3 Prozent auf rund 35 Prozent gestiegen, also von 300 000 auf etwa zwei Millionen. Diese Zahlen nach dem gleichen Schema bewältigen zu wollen wie jene überschaubaren Gruppen, kann nicht funktionieren. Überlange Studienzeiten und hohe Abbrecherquoten sind die Folgen. Da gibt der Bologna-Prozess mit dem System gestufter Abschlüsse und zeitlich klaren Vorgaben die richtige Antwort. Wenn dies nunmehr auch von einigen Wissenschaftsministern in Frage gestellt wird, nachdem sie ursprünglich zugestimmt haben, ist dies nicht nur inkonsequent. Wer jetzt einknickt, riskiert, dass sich an den Hochschulen nicht viel ändert.

Wer mit dem Autor diskutieren möchte, kann ihm eine E-mail schicken: g.turner@tagesspiegel.de

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