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Gesundheit: Was uns im Innersten bewegt

Lernen vom Leben: Wie die Biologie das Transportproblem löst

Die Gleise laufen quer durch den Raum. Ein Waggon, beladen mit einer Fracht vom Vielfachen der eigenen Größe, rast mit über 1000 Kilometern pro Stunde vorbei. Ober- und unterhalb kreuzen weitere Bahnen. Ein Transporter stoppt abrupt, schwebt frei im Raum und schüttet dann seine Ladung aus.

Das ist kein Blick in die Zukunft. Es ist ein Blick in das Innere der Zellen von Pflanzen, Tieren und Menschen. Körperzellen sind zwar mikroskopisch klein, doch in ihnen herrscht viel Bewegung. Denn zwischen den Organen der Zelle, den Organellen, müssen ständig Stoffe transportiert werden. Dafür ist die Zelle von unzähligen Schienen durchzogen, den Mikrotubuli. Auf ihnen fahren besondere Moleküle, die Motorproteine. „Sie befördern ihr Frachtgut auf direktem und schnellem Weg über sehr große Strecken“, sagt der Zellbiologe Reinhard Fischer vom Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie in Marburg. Ob Enzyme für die Zellernährung, Botenstoffe in Nervenzellen, ganze Organellen oder sogar Teile des Erbguts – alles wird aufgeladen.

Doch wie werden die Zellmotoren angetrieben? Das war lange Zeit unbekannt. Erst mit dem Elektronenmikroskop konnten Wissenschaftler in den 80er Jahren die Identität der winzigen Motoren bestimmen: Es sind Moleküle mit den Namen Kinesin und Dynein. Das Besondere: Sie gehören zu einer Familie von Eiweißen, die das energiehaltige Molekül ATP spalten können. „Solche Eiweiße sind echte Minimaschinen", sagt Fischer. Denn sie wandeln chemische in mechanische Energie um. „Das können in der Zelle nur eine Handvoll Moleküle", schreibt der Mikrobiologe Richard Vallee vom Columbia Universitätsklinikum in New York im Fachblatt „Nature". Tatsächlich ist die Energie in einer Zelle fast nur chemisch in Form von ATP verfügbar.

Transrapid der Zelle

Das Prinzip der Zellmotoren ist relativ einfach: Wird der Treibstoff ATP zugeführt, ändert sich die Struktur im Inneren des Motormoleküls und damit auch die äußere Gestalt. Die Folge: Das Molekül bewegt sich.

„Fast jede Bewegung der Lebewesen geht auf die Motorproteine zurück“, sagte die Zellbiologin Pia Vogel von der Southern Methodist Universität in Dallas am Montag auf einer Berliner Konferenz zur Nanotechnologie in der Medizin. Nicht nur in der Zelle sorgen die Motormolküle für Geschwindigkeit. Einzeller und Spermien bewegen damit ihre Schwänze. Vor allem aber befindet sich in den Muskeln von Tieren und Menschen ein Motorprotein, das Myosin, das genauso funktioniert.

Doch erst jetzt konnten Forscher um Stan Burgess von der Universität von Leeds die Bewegung bei einem der Motoren, dem Dynein, beobachten. Denn sie ist für das menschliche Empfinden verschwindend klein: Das aus einem Stamm, Kopf und Stiel bestehende Molekül krümmt sich nach ATP-Zufuhr gerade mal um 15 Nanometer, also um millionstel Teile eines Millimeters, wie die Forscher in der aktuellen Ausgabe von „Nature" berichten.

Wie eine Zahnradbahn

Von den anderen Motoren, den Kinesinen, weiß man schon etwas mehr. Sie bestehen aus einem Schwanz und zwei Köpfen. Während das Frachtgut am Schwanz befestigt wird, docken die Köpfe an den Mikrotubuli, den Schienen, an. Die Mikrotubuli bestehen aus aneinander gereihten Kügelchen. „In diese können die Köpfe des Kinesins wie die Räder einer Zahnradbahn einhaken", sagt Fischer. „So bewegen sie sich wackelnd Schritt für Schritt voran."

Das geht ganz schön schnell. Zwar kommen die Kinesine in der Sekunde nur gut einen tausendstel Millimeter voran. Für einen Millimeter brauchen sie also etwa eine Viertelstunde. Doch die Dimensionen sind ganz andere. Eine Pflanzenzelle ist auch nur zwölf tausendstel Millimeter groß, um sie zu durchqueren braucht das Kinesin also gerade mal zwölf Sekunden. Vor allem aber sind die Zellmotoren selbst nur millionstel Millimeter klein. Sie legen damit pro Sekunde das Hundertfache der eigenen Länge zurück. „Übertragen auf einen Sportwagen von vier Metern Länge hätte dieser eine Geschwindigkeit von über 1000 Kilometern pro Stunde", sagt Fischer.

Der Transrapid der Zelle ist nicht nur schnell, sondern auch zielgenau. Jeder Zielort in der Zelle besitzt eine Postleitzahl – als Rezeptoren an seiner Außenseite. Und jedes Frachtgut, verpackt in Säcke, die Vesikel, ist mit einer dazu passenden Adresse versehen – in Form von Eiweißen auf dem Vesikel. Fischer: „Wie das alles funktioniert, das versuchen wir nun herauszufinden."

„Eines Tages kann man die natürlichen Motoren vielleicht dazu nutzen, künstliche Nano-U-Boote anzutreiben“, hofft Pia Vogel. Solche winzigen Geräte könnten über die Blutbahnen Medikamente zu den Geweben transportieren. Das ist Zukunftsmusik: Zwar kann man die Motoren aus der Zelle isolieren, die U-Boote existieren jedoch noch nicht.

Elke Binder

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