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Gesundheit: Wortgewaltiger Kritiker

Dem scheidenden Akademiepräsidenten Dieter Simon zum 70. Geburtstag

Als Dieter Simon im Jahr 1985 in den Wissenschaftsrat berufen wird, kann er noch nicht ahnen, dass unter seiner Verantwortung die Forschungslandschaft im Osten neu geordnet werden soll. Davon betroffen sein sollte in erster Linie die Akademie der Wissenschaften der DDR. 1995, als Simon Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften wurde, stellt er sich die größte Aufgabe selbst: die Schaffung einer Nationalen Akademie. Nach noch einmal zehn Jahren wird der Byzantinist im Herbst als Akademiepräsident von Günter Stock abgelöst – und begeht heute seinen 70. Geburtstag.

Die Herausforderung nach der Wiedervereinigung ist gigantisch: Mit über 22000 Beschäftigten war die Akademie der Wissenschaften der DDR – nach sowjetischem Vorbild – nicht nur eine Gelehrtensozietät, sondern eine Großorganisation der Forschung und insofern eher mit den Großforschungseinrichtungen in der alten Bundesrepublik zu vergleichen. Die DDR-Universitäten standen in der Forschung zurück und stellten die wissenschaftlichen Kader entsprechend den Vorgaben der Planwirtschaft bereit. In dieser Situation sollte der Wissenschaftsrat eine Neuordnung empfehlen.

Dieter Simon war über diese Aufgabe nie glücklich. Wie sollte ein von Grund auf reformbedürftiges System über Nacht zum Vorbild für die Neuordnung werden? So zieht Dieter Simon schon 1995 eine kritische Bilanz: Nach der Wende seien vor allem die „drittklassig Begabten aus dem Wartestand“ in den Osten gewechselt. „Die Wissenschaftsruinen des Westens waren Vorbild und kostspieliges Modell für den Osten.“

Unter Politikern macht sich Dieter Simon mit solcher Kritik keine Freunde. Bei den Journalisten ist er beliebt, weil er handfeste Zitate liefert, wo sich die politischen Routiniers hinter ihrer Kommuniquésprache verstecken.

Dieter Simon ist ein Freund der Akademien der Wissenschaften, aber er hält sie für von Grund auf reformbedürftig. Seit 1995 lautet seine ständige Forderung, eine Nationale Akademie der Wissenschaften müsse unbedingt geschaffen werden. Trotz aller Bemühungen, die besten deutschen Wissenschaftler in die Akademie am Gendarmenmarkt zu berufen, hat Dieter Simon aber noch nicht einmal eine Namensänderung seiner Institution als Akademie in der Hauptstadt durchsetzen können. Selbst der Versuch, mit der ältesten deutschen Akademie für Naturforscher, der Leopoldina in Halle, Seit’ an Seit’ zur nationalen Akademie zu schreiten, gedieh nicht über eine gemeinsame Akademie für Nachwuchswissenschaftler hinaus.

Dieter Simon ist dieses Scheitern nicht allein anzulasten. Altbundeskanzler Helmut Kohl und sein damaliger Zukunftsminister Jürgen Rüttgers vollbrachten das Kunststück, die Nationale Akademie in der Regierungserklärung zugleich aus der Taufe zu heben und wieder zu begraben. Bundeskanzler Schröder wollte die Nationale Akademie und beauftragte den damaligen Vorsitzenden des Wissenschaftsrats, Winfried Schulze, mit einer Expertise. Schließlich gab der Wissenschaftsrat selbst eine Empfehlung ab, die sich nur dadurch auszeichnete, dass sie keinen praktikablen Vorschlag enthielt.

Inzwischen ist ja auch der Föderalismusstreit ausgebrochen: Wie sollte sich da eine Akademie in der Hauptstadt über so bedeutende Akademien wie die in München, Heidelberg und Göttingen erheben dürfen? Ein Scheitern auf so vermintem Feld spricht eher für den wortgewaltigen Dieter Simon als für seine Kontrahenten, die die Scheuklappen nicht ablegen wollen.

Uwe Schlicht

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