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Gesundheit: Zwischen Tresor und Bibliothek

Kommt ein Männlein - oder Weiblein - in die Bibliothek, um zu gucken, was man so schreiben könnte in der Abschlußarbeit.Hat einfach keine Ahnung, wie so eine Magister- oder Diplomarbeit auszusehen hat, wie dick sie sein muß, wie dünn sie sein darf, wie breit das Thema ausgewalzt wird und wie verzweigt das Inhaltsverzeichnis ist.

Kommt ein Männlein - oder Weiblein - in die Bibliothek, um zu gucken, was man so schreiben könnte in der Abschlußarbeit.Hat einfach keine Ahnung, wie so eine Magister- oder Diplomarbeit auszusehen hat, wie dick sie sein muß, wie dünn sie sein darf, wie breit das Thema ausgewalzt wird und wie verzweigt das Inhaltsverzeichnis ist.Kommt also in die Bibliothek und fragt, wo der Kasten steht, in dem sich die Examensthementitel der glücklichen Vorgänger sammeln.

Bekommt es die Auskunft, die es sich wünscht? Es kommt darauf an, wo es fragt.Jedes Institut entscheidet selbst, wie es mit den geistigen Abschlußergüssen umgeht.In der Bibliothek der Theaterwissenschaftler (FU) findet er eine Kartei, in der die Magisterwerke verzeichnet sind.Ein freundlicher Mitarbeiter geleitet ihn zum Schrank, der wie ein Tresor mit einem Schlüssel geöffnet werden muß.Sicherheitsstufe eins.Man fühlt sich beinahe so, als frage man im Bonbonladen nach Pornos: Den Plagiatoren soll es möglichst schwer gemacht werden.Deshalb gilt hier auch strengstes Kopierverbot, das nur mit einer Einverständniserklärung des Verfassers aufgehoben werden kann.Den Abschreiber wird man am Abschreiben aber wohl kaum hindern können.

Bei den TU-Germanisten sind "einige Regalmeter für Magisterarbeiten reserviert".Und dieses Angebot wird, so heißt es aus der Bibliothek, auch "intensiv genutzt".Die Arbeiten sind hier sogar entleihbar.Wie Petra Jordan vom Studienbüro des Fachbereichs Kommunikations- und Geschichtswissenschaft an der TU sagt, bekomme sie ständig Anfragen von Studierenden, die sich zur Orientierung andere Arbeiten ansehen möchten.Viele Institute würden die Einsicht gewähren, andere seien dazu allein aus räumlichen Gründen nicht in der Lage.

Der Platz ist auch an der HU knapp.Die Historiker lehnen Magisterarbeiten "aus Platzgründen" in der Regel ab.In der Germanistik der HU werden normalerweise ebenfalls keine Magisterarbeiten ins Angebot genommen."Es sei denn", so eine Mitarbeiterin, "der Prüfer will eine besonders gute Arbeit in der Bibliothek haben".Zu DDR-Zeiten war es üblich, alle Abschlußarbeiten in die Regale zu stellen.Seit 1990 ist das nicht mehr der Fall, aber man arbeite daran, sie wieder zugänglich zu machen.Auch bei den Romanisten der HU stehen nur "ausgewählte Sachen", die von Professoren gewünscht wurden.An der FU führen die Philosophen eine Magisterkartei, genauso die Historiker ("wer will, kann seine Arbeit in die Bibliothek stellen lassen") oder die Romanisten, die die Arbeiten ("nicht ausleihbar") im Keller aufbewahren.Bei den Politikwissenschaftlern kann man sich Diplomwerke ("ausleihbar") aus dem Magazin holen lassen.Über 90 Prozent der Diplomarbeiten ("sie sind für alle zugänglich") sind hier sowohl alphabetisch als auch systematisch geordnet.Der Verfasser hat selbstverständlich immer das Recht, seine Arbeit sperren zu lassen, wenn er sie zum Beispiel zu einer Dissertation ausbauen und seine bisherigen Erkenntnisse nicht vorzeitig aus dem Sack lassen möchte.

Großes Durcheinander also.Die einen Institute wollen und können.Die anderen wollen zwar, aber können nicht.Und dann gibt es noch diejenigen, die können nicht und wollen nicht - wie die FU-Germanisten."Wir müßten anbauen, wollten wir alle Magisterarbeiten zugänglich machen", so Agneta Langrehr vom Prüfungsbüro.Und "nur sehr guteÔ Arbeiten hineinzustellen, würde eine eigenartige Akzentsetzung bedeuten", wie Bibliotheksleiter Christian Büttrich sagt.Auch weil die Magisterarbeiten, die im Gegensatz zu Dissertationen nicht bibliographisch nachgewiesen sind, sich in einer "mißbrauchsanfälligen Grauzone" bewegen, habe sich der Fachbereichsrat dagegen ausgesprochen.Dennoch komme es vor, daß man ihm eine Arbeit direkt anbiete.Als Leiter habe er natürlich das Recht, sie anzunehmen, "und ich tue es auch von Zeit zu Zeit." Es gibt zwar keine Magisterkartei, doch liegt in der Bibliothek ein Ordner aus, in dem die Prüfungsthemen vieler Examenskandidaten aufgelistet sind.Wer will, kann also selber den Kontakt herstellen und den Verfasser darum bitten, einen Blick in seine Arbeit werfen zu dürfen.

Wissenschaft soll transparent sein.Studien und Ergebnisse sollen auch der nachfolgenden Forschung dienen.Das ist ein ungeschriebenes Gesetz.Dagegen steht die Befürchtung, daß geistiges Eigentum auf dunklen Pfaden in eine nachfolgende Arbeit gelangen könnte.Zwar ist auch die eigene geistige Leistung in einer Magisterarbeit urheberrechtlich geschützt, dennoch sind geistige Diebstähle besonders in Massenfächern relativ schwer nachweisbar oder überhaupt erkennbar.Kein Professor kann die Übersicht über bereits behandelte Themen behalten.Wer aus einem Standardwerk abschreibt, wird wohl schnell entlarvt, aber wer sich eine ältere Magisterarbeit vorlegt, die noch dazu bei einem anderen Prof geschrieben wurde ...Gerüchten zufolge sei die Hemmschwelle mitunter schon sehr niedrig.

Der frischgebackene Magister, der ohne kriminelle Energie zu seinem Titel kam, kann jedenfalls sicher sein, daß seine Arbeit wenn nicht in der Bibliothek, dann einige Etagen tiefer im Archiv des Prüfungsbüros steht.Dort ist das Meisterwerk zwar nicht einsehbar, aber dafür ist es geschützt vor bösen Geistes-Räubern.Die Aufbewahrungszeit des Belegexemplares schwankt zwischen drei Jahren (TU) und "solange bis der Keller voll ist, aber mindestens zehn Jahre" (Germanistik FU).

TOM HEITHOFF

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