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Modeläden in Berlin: Zieht euch warm an

Die Mieten in Mitte verändern das Modeangebot.

Seit einem Jahr geistert die Frage, wann die Krise ankommt, durch die Läden in Berlin Mitte. Die Filialen der globalen Marken zeigen sich bislang unbeeindruckt, doch im alternativen Handel kommen die Einschläge näher. Im Frühjahr gab das Berliner Designerlabel Pulver sein Geschäft auf, die renommierten Sneakershops Trainer und Nort machten im Sommer dicht, Ende September schließt nun Belleville in der Rosa-Luxemburg-Straße. Wird das, was Berlin spannend macht, rarer? Die kleinen Boutiquen, die ungewöhnlichen Konzepte, die Leidenschaft?

Fünf Jahre lang galt der Bestshop der koreanischstämmigen Sumi Ha in der Alten Schönhauser Straße als eine der Topadressen für junge internationale Avantgardemode. Designer, Stylisten und Journalisten aus der ganzen Welt erlebten hier live, wie Trends gemacht werden.

Nun sitzen genau diese schick gekleideten Leute im voll besetzten „YumYum Berlin“ und löffeln Suppe. Die kostet fünf Euro, nicht 300 wie die Pullis und Kleider, die früher an gleicher Stelle hingen. „Ich habe wirklich viel probiert, doch Ende letzten Jahres stagnierten die Verkäufe und ich musste handeln“, sagt Sumi Ha. „Besonders, wenn man mit alternativen Produkten arbeitet, ist man enormem Druck ausgesetzt. Falsche Lieferzeiten, Qualitätsprobleme, Probleme beim Nachordern – das kostet Nerven, und irgendwann ist der Idealismus aufgebraucht.“

Auch Belleville balancierte, wie Inhaberin Fredericke Winkler in ihrer Abschiedsrundmail schreibt, stets am Abhang. Dennoch entschied sie sich bewusst gegen den Massengeschmack, experimentierte mit Kollektionen von Jungdesignern, versuchte Kunden mit Lesungen, Ausstellungen und Konzerten zu binden. „Der exorbitant schlechte Umsatz der vergangenen Monate war der letzte Impuls zu einer langen Entscheidungsfindung. Wir haben viel ausprobiert. Geld verdient haben wir selten“, erklärt sie heute.

In Berlin ist nicht mehr alles billig, schon gar nicht die Mieten in den besten Einkaufslagen. Flagshipstores von Diesel oder Boss verdrängen individuelle, inhabergeführte Geschäfte. Das ist nichts Neues und aus anderen Metropolen bekannt. Das Pokern um Mietpreise, die in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Kaufkraft stehen, unterscheidet Berlin allerdings von London oder Paris.

„Hätten wir die Kaufkraft wie im Marais oder in Mailand, wäre das etwas anderes. 100 Euro Miete pro Quadratmeter sind hier aber nicht gerechtfertigt“, sagt Carsten Kunst, der in seinem Laden vorOrt in der Alten Schönhauser Straße seit acht Jahren international erfolgreiche Avantgardedesigner wie Martin Marghiela und Hussein Chalayan verkauft. Im kommenden Jahr will er dem reinen Textilhandel den Rücken kehren und alternative Konzepte testen – an anderer Adresse.

Vor kurzem wurde in Mitte erstmals ein Mietpreis von 150 Euro pro Quadratmeter aufgerufen. Das leisten sich große Firmen wie Adidas oder Puma, auch wenn sie so kaum die laufenden Kosten einfahren. In den Firmenzentralen sieht man das ähnlich gelassen wie die Folgen für den Stadtteil. Es geht um Prestige, Präsenz, Investitionsgelder. Die Läden mit Monatsmieten von 10 000 Euro und mehr dienen als Schaufenster und Marketingfläche – eine Anzeige in der Vogue kostet ähnlich viel und bringt weniger.

Andreas Murkudis ist einer der Einzelhändler, die in Mitte bezahlbare Flächen bewirtschaften können: „Es wird härter, und es geht immer mehr darum, wer den längeren Atem hat. Die Entwicklung ist nicht aufzuhalten.“

Trotzdem eröffnet er Ende September seinen sechsten Laden in den Hinterhöfen der Münzstraße und setzt mit Marken wie Jil Sander, Dries van Noten und Balmain weiter auf Exklusivität. „Starke Konzepte haben eine Chance zu überleben. Wir glauben an Wertbeständigkeit und bemühen uns, unsere Kunden immer wieder zu überraschen. Noch existieren hier charmante Cafés, und neulich gab ein Hausbesitzer den Zuschlag bewusst nicht McDonalds!“ Murkudis’ Einstellung zu Qualität, Werten und Service wird unterstützt, auch von finanzkräftigen, internationalen Kunden, die zielstrebig ihren Weg in seine Shops finden.

Leider sind diese die Ausnahme in Mitte. Drei der vier Hotels, die in den kommenden Wochen zwischen Hackeschem Markt und Rosenthaler Platz eröffnen, sind Häuser für kleines Budget. „Der Billigtourismus führt dazu, dass die Flohmarktstände im Mauerpark besser funktionieren, aber nicht der Einzelhandel“, sagt Sumi Ha.

Die Schließung des Bestshops und nun auch die von Belleville legen eine gewisse Schwermut über die Nachbargeschäfte. Man fragt sich: Wer ist der Nächste? Aber noch leuchten viele Leuchttürme des Kampfgeists und der Kreativität in Mitte.

Romy Uebel

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