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"Ich bestelle häufig und gern."

© Jens Kalaene/ picture-alliance/dpa

Essen liefern lassen ist okay!: "Als Student hätte ich liebend gern einem Idioten Sushi durch die Stadt gefahren"

Wer radelt so spät durch Nacht und Wind? Der Lieferando-Bote und die 19 mit Rind – die ich bestellt habe. Eine Verteidigung.

Neulich habe ich folgendes getwittert: „Wer fährt so spät durch Nacht und Wind? Der Lieferando-Bote und die 19 mit Rind.“ Kam ganz gut an. Ein, zwei Leute dachten allerdings, ich würde mich über Menschen in prekären Arbeitssituationen lustig machen. Dem war nicht so. Im Gegenteil.

Der Tweet entstand an einem verregneten Abend. Sie wissen schon, welchen ich meine. Na ja, es regnete also, wie so ziemlich den ganzen April und Mai. Ich hatte Unterschlupf auf einer kleinen Spätibank in Neukölln gefunden, war ansonsten aber ziemlich alleine. Klar. Es regnete ja. Wer will da vor die Tür?

Das ist unsere neue Realität

Ich schaute auf die Straße und sah nahezu niemanden. Niemanden außer die Wolt- und Lieferando-Fahrer, die sich das Wetter natürlich nicht aussuchen können. Wenn jemand die 19 mit Rind bestellt, müssen sie fahren. Erst zur 19 mit Rind und dann zu dem, der die 19 mit Rind geordert hat.

Ich hatte ein wenig Mitleid mit ihnen – und so entstand dieser Tweet. Von wegen Lustigmachen. Eher Empathie. Aber ich fürchte, das ist unsere neue Realität. Essen auf Fahrrädern und auch jene Dienste, die einen Supermarktbesuch durch Zudirnachhauseradeln ersetzen, sind etwas, was nicht mehr verschwinden wird. Es ist zu bequem. Also nicht unbedingt für die Fahrer:innen und und deren Rücken. Aber für diejenigen am anderen Ende der App. Die Konsument:innen.

Tagesspiegel-Kolumnist Peter Wittkamp.

© Peter von Felbert

Wir werden dringend darüber reden müssen, zu welchen Konditionen das geschehen soll. Mal etwas pauschal und vereinfacht gesagt: Es kann nicht sein, dass sich die Mittelschicht auf Kosten einer prekär bezahlten Unterschicht jeden Scheiß nach Hause liefern lässt. Wobei das Problem ja schon beim Paketboten beginnt. Aber mir fehlt die Zeit und der Raum, hier nun auch noch die Folgen des Päckchen-Kapitalismus von Amazon bis Zalando zu diskutieren.

Ich gebe gut Trinkgeld, bin freundlich

Zurück zu den Lieferdiensten. Und einem Geständnis: Ich nutze sie häufig. Ich gebe gut Trinkgeld und ich bin immer sehr freundlich – kein Wunder, die haben ja auch mein Abendessen in der Tüte. Aber es bleibt stets ein leicht schlechtes Gewissen. Ich finde es bis heute wahnsinnig dekadent, mir das Essen von jemandem auf dem Fahrrad bringen zu lassen.

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Früher, bei mir auf dem Dorf, gab es maximal Pizzataxis. Das fand ich okay. Jemand in einem leicht verranzten Fiat Panda, der dir eine Pizza, die definitiv nicht nach neapolitanischer Art gebacken wurde, eher lieblos vor die Türe schmiss. Das war ein fairer Deal. Aber jemand, der dir eine Sushi-Platte vom Edeljapaner auf dem Rad vorbei fahren muss? Gerne auch mal in den fünften Stock? Schwierig.

Studentenjobs sind nicht das Gelbe vom Ei. Das war noch nie so.

© Jan Woitas/ picture-alliance

Was mich immer ein bisschen beruhigt: Die Boten sind in den meisten Fällen jüngere Leute. Es wird natürlich nicht so sein, aber ich lüge mir gerne halb auf empirischer Basis beruhend vor: alles Studierende. Da finde ich es okay. Studi-Jobs sind nicht immer das Gelbe vom Ei. Man macht halt irgendwas und bekommt dafür ein bisschen Geld. Da ist es auch mal okay, irgendeinem Idioten eine Sushi-Platte vorbeizufahren, weil er zu faul ist, die 700 Meter zum Japaner selbst zu laufen.

Mein anstrengendster prekärer Job war folgender: Ich habe jeden Samstag Maschinen gereinigt. Es waren sehr ölige, riesige Maschinen, die ich mit einer Art Lauge, von der niemand wusste, wie giftig sie genau ist, putzen mussten. Nach einer halben Stunde war ich komplett verdreckt.

Auch für mich gibt es Grenzen

Leider war es in der Zeit, in der ich sie nicht reinigte, die Hauptaufgabe dieser Maschinen, Stahl zu fräsen. Dabei entstanden als Abfallprodukte kleine Stahlspiralen, die unglaublich scharf waren. Auch die musste ich beseitigen und fischte sehr häufig in einer ekligen Suppe aus altem Maschinenöl, vermutlich hochgefährlicher Lauge und scharfen Spiralen, die in die Haut schnitten. In diese Wunden lief dann die Emulsion aus Öl und Lauge. Ich vermute, ich hätte zu dieser Zeit liebend gerne Sushi zu einem Idioten wie mir durch die Stadt gefahren. Sogar bei Regen.

Was ich sagen möchte: Solange mir junge Leute meine Sushi-Platte bringen und ich mir vorlügen kann, das seien alles Schüler, Studis oder Langzeit-Touristen, die hätten es gut, dass sie nicht mit mir in den Schützengräben der Stahlmaschinen standen, bestelle ich eventuell weiter.

Sobald allerdings der erste Sechzigjährige die Stufen zu meiner Wohnung hochächzt, schweißnass von der rasanten Fahrt durch die Innenstadt und mir schwer atmend die 19 mit Rind überreicht, werde ich niemals wieder Essen in einer App ordern.

Peter Wittkamp ist Werbetexter und Gagschreiber. Er ist derzeit Hauptautor der „Heute Show Online“ und hat die Kampagne #weilwirdichlieben der Berliner Verkehrsbetriebe mit aufgebaut. Ab und zu schreibt er ein Buch, publiziert bei Instagram als Peter_Wittkamp oder twittert unter dem leicht größenwahnsinnigen Namen @diktator. Peter Wittkamp lebt mit Frau und Kind in Neukölln. Im Tagesspiegel beleuchtet er alle 14 Tage ein Berliner Phänomen.

Peter Wittkamp

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