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Seit 1982 kochte Küchenchef Karl Wannemacher (links im Bild).

© privat

Spitzenrestaurant in Berlin-Charlottenburg: Das "Alt Luxemburg" deckt ein letztes Mal auf

Moderne Holzböden und Molekularküche sind in diese Räume nie vorgedrungen. Dafür hat das "Alt Luxemburg" in Charlottenburg viele gehypte Restaurants überlebt. Am Samstag ist Schluss.

Viel war nicht los im ummauerten West-Berlin, als Karl Wannemacher 1982 sein neues Restaurant in der Pestalozzistraße ausgerechnet „Alt Luxemburg“ nannte. Sollte das die Zukunft der Gastronomie sein? Sah das nicht schon gleich wieder alt aus? Doch der gebürtige Saarländer mochte das edel altmodische Porzellan aus seiner Heimat, das nun einmal „Alt Luxemburg“ hieß. Auf diesen Tellern mit dem feinen blauen Muster wollte er fortan seine edelbürgerlichen Kompositionen anrichten, und seine Frau Ingrid würde sie hinaustragen zu den anspruchsvollen Gästen.

Beide wollten es einfach mal versuchen, denn so viel gutes Essen hatte die Stadt damals nicht zu bieten. Aber dass es gleich 36 Jahre werden würden?

Am Sonnabend endet die erstaunliche Geschichte dieses so bescheidenen und für die Stadt einzigartigen Restaurants, alles muss raus aus den Räumen in Charlottenburg, die sich nach einem einzigen Umzug seit 1991 in der Windscheidstraße befinden. Nicht, dass die beiden nicht noch ein bisschen weitergemacht hätten, es lief ja alles prima. „So zwei, drei Jahre hätten wir schon noch machen wollen“, sagt Wannemacher, der mit 67 ganz sicher einer der ältesten Köche des Landes ist, die noch tagtäglich am Herd stehen.

Aber: „Der Hauseigentümer wollte den Mietvertrag nicht mehr verlängern.“ Ende Mai muss besenrein übergeben werden, die Bilder sind schon alle verkauft, auch die bleiverglasten Paravents müssen raus, die nach dem Vorbild des Geschirrs angefertigt wurden.

Den Gästen ein Pflichtmenü auferlegen? Hätte Karl Wannemacher sich nie getraut. So wichtig nahm er sich nicht.
Den Gästen ein Pflichtmenü auferlegen? Hätte Karl Wannemacher sich nie getraut. So wichtig nahm er sich nicht.

© Foto. Kai-Uwe Heinrich

Er lernte bei Henry Levy

Hier ist kein Ramsch abzuholen, alles ist perfekt gepflegt. Ingrid Wannemacher hat ständig an der Einrichtung gefeilt, aber immer so, dass die Stammgäste erst nach dem zweiten Gang merkten, dass da was Neues war, mal die zurückhaltend modernen Lampen, mal ein neuer Teppichboden, mal ein Polsterbezug; die Ära der lauten, harten Holzböden ist in diese Räume nie vorgedrungen. Es hat auch nie einen Mäzen gegeben, der das Ganze mit einer Million in ein Neu–Luxemburg verwandelt hätte. Das hätte auch nur die Stammgäste vergrault, die jetzt um die letzten Plätze gekämpft haben, weil es sowas wie das „Alt Luxemburg“ eben nur einmal gab und den bürgerlichen Stil sowieso nicht mehr, nicht in Berlin.

1982 war ein interessantes Jahr für die kulinarische Stadtgeschichte. Der Franzose Henry Levy schloss im Frühjahr sein international gerühmtes Restaurant „Maitre“ in der Meinekestraße und teilte lakonisch mit, wenn es nur die Berliner Gäste gäbe, hätte die Stadt nicht mal Platz für ein einziges Feinschmecker-Restaurant. Levy hatte seit den 60er Jahren praktisch alles, was er den Gästen für flamboyante Preise in schwülem Fin-de-Siècle-Interieur auftischte, aus Frankreich einfliegen lassen, sogar die Sahne. 1966 bekam er den ersten Michelin-Stern, 1976 den zweiten. Kritiker wie Gert von Paczensky oder Wolfram Siebeck meinten: Da sei durchaus der dritte drin. Den bekam aber Eckart Witzigmann in München.

Der junge Peter Frühsammer gab den Avantgardisten

Zu diesem Zeitpunkt, dem kulinarischen Höhenflug des „Maitre“ Mitte der 70er, übernahmen zwei junge Männer am Herd des genialischen Inspirators Levy: Siegfried Stier und Karl Wannemacher, versierte, in französischen Top-Betrieben geschulte Köche. Wannemacher hatte sich in der legendären „Auberge Pere Bise“ in Talloires am Lac d’ Annecy vorbereitet und sich dort zum Beispiel ein Rezept für eine klassische Hummercremesuppe abgeschaut.

1982 war also Schluss. Levy zog sich an die Cote d’ Azur zurück, aber seine Leute standen da, denn Alternativen gab es kaum. In Mode waren ein paar anständige italienische Restaurants, das mailändisch-elegante „Anselmo“ und das toskanisch-rustikale „Bacco“, später kam das „Ponte Vecchio“ hinzu, der erste und bislang letzte Italiener mit Stern in Berlin. Niemand brauchte Top-Köche.

Gerade hatte der renommierte Küchendirektor Siegfried Rockendorf den „Schweizerhof“ verlassen und sich in der engen „Alten Waldschänke“ in Tegel selbstständig gemacht, um nur noch zu kochen, was ihm selbst gefiel – es waren die minimalistischen Tellergemälde der „Nouvelle Cuisine“, über die er später spottete, er habe sein Restaurant damit mehrmals leergekocht. Der gebürtige Tiroler Franz Raneburger begeisterte seine Gäste im „Bamberger Reiter“ mit einem üppigen Buffet, und aus Hannover war ein junger Mann nach Berlin zurückgekehrt, der als jüngster Sternekoch Deutschlands galt: Peter Frühsammer, der im windschiefen „Restaurant an der Rehwiese“ den Avantgardisten gab.

Hannover hatte mehr Michelin-Sterne als Berlin

Es gab also eine Reihe von Könnern in der Halbstadt, aber was sie konnten, drang nur sehr langsam durch. Mitte der 80er hatte sogar Hannover mehr Michelin-Sterne als Berlin. In diese Situation starteten Ingrid und Karl Wannemacher mit einem vorsichtigen Konzept. Die elegante, kreative und von den Berliner ignorierte Levy-Küche mit Finessen wie Seezunge mit Gänsestopfleber kam nicht in Betracht. Gehobene bürgerliche Gerichte mussten her, wie die seinerzeit populäre rosa gebratene Entenbrust.

Auf den ersten Karten stand die Wildhasenterrine mit Apfelsalat und Cumberlandsauce neben Seeteufel auf Senfsauce. Unter der Rubrik „Hauptgerichte“ gab es ausschließlich Fleischgänge, die aus heutiger Sicht sehr bieder klingen wie Schweinefilet mit Champignoncremesauce und Rösti für scharf kalkulierte 22 Mark 90. Suppen waren obligatorisch im Menü, und so kam die Hummersuppe auf die Karte, die Wannemacher über all die Jahre gekocht hat, wie damals in Talloires: Aus kräftig angerösteten, mit Cognac flambierten Hummerkarkassen und einer genau dosierten Menge Sahne, die alles sämig, aber eben nicht dicklich werden ließ. Gelegentlich gab es das Rezept sogar zum Mitnehmen. Berühmt waren auch die Desserts, vier jeden Abend, und alle schmeckten bis zuletzt so unschlagbar wie der Topfenknödel auf Heidelbeersauce, der schon auf den ersten handgetippten Speisekarten stand.

Auch der Guide Michelin honorierte diese Arbeit, und so war schließlich das legendäre Berliner Köchequartett der 80er komplett: Rockendorf, Raneburger, Frühsammer und Wannemacher. Doch die Wende rüttelte alles durcheinander. Würden nun mehr internationale Gäste kommen? Die „Bonner“ den Umsatz in die Höhe treiben? Raneburger blieb stur und erfolgreich in der Spur, Rockendorf verjuxte sein Geld mit hastigen Neugründungen, Frühsammer scheiterte mit der gewagten Haltung von Galloway-Rindern in Brandenburg.

Als einer der letzten Küchenchefs nahm er nach getaner Arbeit die Runde zu den Gästen auf sich

Karl Wannemacher wartete klug ab: Als 1991 die Räume des „Ristorante Savoia“ in der Windscheidstraße frei wurden, zog er um, nicht, um aufzutrumpfen, sondern weil die Küche etwas größer war und der Gastraum übersichtlicher. Er war von allen der Bedächtigste, Vorsichtigste, auch in der Küchenstilistik. Aber er betonte auch stärker als alle Kollegen mit Handwerkerstolz den Küchenmeister-Titel, den die meisten jüngeren Köche für Zeitverschwendung hielten. Fanden ihre Kreationen nicht auch so den Weg auf die Hochglanzseiten der Fachmagazine?

Er war gesprächig erst nach langem Anlauf, dann eher skeptisch fragend, mit leiser Ironie. Als einer der letzten Küchenchefs nahm er nach getaner Arbeit die Runde zu den Gästen auf sich, nicht, um sich Beifall abzuholen, sondern vorsichtig tastend – hat eventuell jemand Kritik?

Gerade deshalb machte der zurückhaltende Mann Eindruck auf gesetzte West-Berliner Bürger, die gern gut aßen, aber aufs Geld achteten, keine unausgegorenen Experimente auf dem Teller wollten, keine protzigen Luxusprodukte, serviert von Kellnern, die doppelt so elegant aussahen wie sie selbst. Ingrid Wannemacher war nicht einmal vom Fach, sie hatte vor der Hochzeit im Berliner DIN-Institut gearbeitet und musste sich das Handwerk selbst beibringen. Gestelztes Gerede blieb ihr fremd.

Auf dieser soliden Basis überstand das Restaurant die turbulenten Neunziger, in denen sich keine der hochfliegenden Hoffnungen erfüllte. Die Alliierten, gute Gäste allemal, verschwanden wieder, was speziell Rockendorf, den Lieblingskoch des französischen Stadtkommandanten, hart traf. Niemand trat an ihre Stelle, weil der Regierungsumzug nicht voran kam und die Dax-Unternehmen blieben, wo sie waren. Gleichzeitig steckten neue Luxushotels im Jahr sechsstellige Summen in unrentable Gourmet-Restaurants, auch das grub privaten Betrieben das Wasser ab. Modebewusste Gäste folgten dem Zeitgeist Richtung Gendarmenmarkt und Kollwitzplatz. West-Berlin fiel in den Provinzstatus zurück, Charlottenburg vorneweg.

Mit dem "Sommermärchen" kam der Wandel

Der tragische Höhepunkt dieser Entwicklung war sicher der gescheiterte Neustart Siegfried Rockendorfs, der Anfang 2000 ein Restaurant am KaDeWe mit der ebenso unverblümten wie realitätsfernen Ansage eröffnete, sein Ziel seien drei Michelin-Sterne. Ein Jahr später erstickte er in seiner Heimat, dem Harz, an verschlucktem Festtagsbraten.

Karl und Ingrid Wannemacher blieben, wo sie waren, und rechneten genau. Würde das Geld für eine Klimaanlage reichen, die half, heiße Sommertage ohne Terrasse zu überstehen? Es reichte. In Mitte und Prenzlauer Berg öffneten glitzernde Restaurants und schlossen auch wieder oder änderten ihr Konzept: Adermann, Portalis, Margaux, Harlekin. Auf lange Zeit behaupten konnte sich nur Kolja Kleebergs „Vau“, das als „Borchardt für Anspruchsvolle“ galt.

Nach dem Hauptstadt-Flop enttäuschte der Millenniums-Hype. International wurde Berlin weithin ignoriert. Das änderte sich erst auf dem Umweg über die Fußball-WM 2006.

Zwar brachte das „Sommermärchen“ direkt nicht unbedingt Gourmets in die Stadt, wohl aber einen Tourismus-Boom, der bis heute kaum nachgelassen hat. Das Restaurant „Fischers Fritz“ wurde Ende 2006 mit dem zweiten Stern ausgezeichnet, andere folgten, auch ein gewisser Tim Raue schlug Wellen über die Stadt hinaus. Das Leben Berlins als „Gourmethauptstadt“ begann.

All diese Wellen plätscherten nur sacht an die Tür in der Windscheidstraße. Karl Wannemacher registrierte gelassen, was die Kollegen so machten, pickte sich heraus, was ihm gefiel und er seinen konservativen Gästen zumuten konnte. Dabei hatte er schon vor Jahrzehnten Pionierarbeit für die Fusionsküche geleistetet, Soja und Zitronengras in seine Gerichte eingefügt. Nur eben so vorsichtig, dass die französisch-deutsche Stilistik intakt blieb.

"Ich möchte zu einem Seeteufel keinen Lavendellutscher serviert bekommen"

Weshalb der Guide Michelin ihm 2001 die Gunst und den Stern entzog, ist nie bekannt geworden. Vermutlich fehlte den Testern in den Avantgardegewittern der Zeit der betont kreative Ansatz.

Wannemacher schüttelte den Schock ab. Er kochte, wie er nun mal kochte, Girlanden von 20 verschiedenen Zutaten, halbkreisförmig angeordnet am Tellerrand, fand er albern. Die komplette „Molekularküche“ blieb ausgesperrt, „ich möchte nicht zu einem Seeteufel einen Lavendellutscher serviert bekommen“, sagte er einmal. Und nie hätte er seinen Gästen ein Pflichtmenü ohne Wahlmöglichkeiten auferlegt. Aus Respekt. Und weil er – vermutlich – darin ein Zeichen erkannte, dass der Küchenchef sich selbst zu wichtig nahm.

Zu dieser Haltung passte der trockene, schnörkellose Stil, mit dem Ingrid Wannemacher die Gäste beriet und versorgte – unterstützt über viele Jahre von Oliver Körber, der geräuschlos Teller tragen, aber auch mit Berliner Witz sehr eigene Akzente setzen konnte.

Das alles blieb so, während aus den Höhenflügen der Konkurrenten Bruchlandungen wurden. Keiner ist mehr da, nicht einmal irgendwer aus den Neunzigern, selbst das „Vau“ war nach knapp 20 Jahren am Ende. Einzige andere Ausnahme ist Peter Frühsammer, der junge Veteran, der sich mit seiner Frau Sonja an ganz anderem Ort neu erfunden hat: Sie kocht.

Kein Platz mehr zu bekommen

So oder so haben Wannemachers viele Stammgäste nun ein echtes Problem. Wohin in Zukunft? Bis zur Schließung ist im „Alt Luxemburg“ kein Platz mehr frei. Eine Chance gibt es noch, zumindest Erinnerungen mitzunehmen: Am 18. und 19. Mai nachmittags wird alles verkauft, was noch da ist, Küchengeräte, Einrichtung, die gläsernen Paravents.

Karl und Ingrid Wannemacher werden in die ungewohnte Rolle des Gastes zurückzufallen, ein wenig reisen. Vielleicht schauen sie mal nach, ob in Talloires noch jemand weiß, wie eine richtige Hummersuppe geht.

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