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Eine Honigbiene im Anflug auf eine Süßkirschblüte.

© dpa/Patrick Pleul

Biologie: In der Natur schützen, was wir Menschen zum Überleben brauchen

Das Verbundprojekt ValuGaps mehrerer deutscher Universitäten und Institutionen schließt Wissenslücken über den gesellschaftlichen Wert von Naturkapital.

Von Marion Kuka

Intakte Natur sorgt für vieles, was für den Menschen wertvoll ist. Die Bestäubung von Nutzpflanzen durch Insekten ist wohl das bekannteste Beispiel für solche Dienstleistung, die Ökosysteme erbringen. Aber Natur kann und tut noch viel mehr: Sie bindet klimaschädliches Kohlenstoffdioxid, reinigt Luft und Wasser, bereitet den Boden für die Landwirtschaft und liefert Ressourcen wie Holz, Fische und Wildpflanzen. Sie dient der Erholung und ist Teil unserer Kultur.

Der Wert von Naturkapital ist jedoch nur lückenhaft erfasst, denn selten wird direkt dafür bezahlt. „Es gibt viele Annahmen, aber wenige gesicherte Erkenntnisse“, sagt Fanny Langerwisch. Die promovierte Biologin arbeitet im interdisziplinären Verbundprojekt ValuGaps – ein Zusammenschluss der englischen Worte Value für Wert und Gaps für Lücken – daran, die Lücken zu schließen und Wissen zusammenzutragen, das in der Praxis bei Entscheidungen hilft.

„Wir untersuchen, welche Methoden und Modelle es zur Bewertung von Naturkapital bereits gibt, ob sie übertragbar sind und wo ihre Unsicherheiten liegen“, erklärt die Biologin. Am Projekt ValuGaps sind neben der Freien Universität die Universitäten Hamburg sowie Freiburg und Leipzig beteiligt, außerdem das Deutsche Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung Halle-Jena-Leipzig, das Umweltbundesamt, das Bundesamt für Naturschutz und das Bundesforschungsministerium.

Für ihre Planung benötigen die Behörden zuverlässige Informationen, auch, weil Deutschland sich im Rahmen der Biodiversitätskonvention der UNO dazu verpflichtet hat, den Wert von Natur und Biodiversität in politischen Entscheidungen zu berücksichtigen und in volkswirtschaftliche Berichtssysteme zu integrieren.

Schwerpunkt von ValuGaps sind zwei für Deutschland typische Lebensräume: Grün- und Grasländer in ländlichen Regionen sowie städtische Grünflächen. Fanny Langerwisch arbeitet im Projekt an der Speicherung von Kohlenstoff im Boden von Grasländern. Diese Flächen sind mit Gräsern oder krautigen Pflanzen bewachsen und dienen oft als Futterquelle für Kühe oder Schafe. Werden Grasländer mindestens alle fünf Jahre beackert, bezeichnet man sie auch als Grünländer. Ihr Boden kann in Form von Humus viel Kohlenstoff einlagern – mehr als etwa Waldboden.

Fanny Langerwisch ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Biologie – Theoretische Ökologie.
Fanny Langerwisch ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Biologie – Theoretische Ökologie.

© Marion Kuka

„Man kann im Feld messen, wie viel Kohlenstoff dort tatsächlich vorhanden ist“, sagt Fanny Langerwisch. Weil das im großen Maßstab aber zu aufwendig wäre, wurden Rechenmodelle entwickelt. „Ich gebe Parameter wie Sonneneinstrahlung, Wasser und Nährstoffgehalt des Bodens ein, und das Modell berechnet, wie viel Biomasse sich unter diesen Bedingungen bildet und wie viel Kohlenstoff sie bindet.“ Auch Prognosen für die Zukunft seien möglich. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen testet die Biologin nun verschiedene Modelle im lokalen und bundesweiten Maßstab. „Wenn ungefähr vergleichbare Ergebnisse herauskommen, sind wir auf dem richtigen Weg.“

Ein hoher Kohlenstoffgehalt gehe aber nicht zwangsläufig mit einer großen Artenvielfalt einher; oft müsse man sich entscheiden, sagt die Wissenschaftlerin: Wollen wir seltene Schmetterlingsarten fotografieren? Soll unsere Nahrung günstig sein? Oder wollen wir den Gehalt von Klimagasen in der Luft reduzieren? Mit Modellen lassen sich entsprechende Szenarien durchspielen; mit Befragungen kann man herausfinden, welche Prioritäten die Menschen haben. Hohe Biodiversität sei jedoch nicht nur schön anzusehen, betont Fanny Langerwisch, sondern halte ein Ökosystem auch stabil: je diverser, desto resilienter. Ein System mit mehr Arten könne auf Störungen flexibler reagieren.

Wir wollen herausfinden, wie man Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen schützen und fördern kann, ohne jemandem auf den Schlips zu treten.

Fanny Langerwisch, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Biologie – Theoretische Ökologie

Auch der kulturelle und touristische Wert von Natur wird bei ValuGaps untersucht. In einem Teilprojekt werden Bürgerinnen und Bürger gefragt, wie sie es finden würden, wenn vor ihrer Tür ein Naturschutzgebiet entstünde. Zögen sie dann ein großes, unzugängliches Gebiet vor? Oder viele kleine, die auch zur Naherholung genutzt werden könnten? Wie viel wären sie bereit dafür zu bezahlen? Welche Entschädigung hielten sie für angemessen?

„Wir wollen herausfinden, wie man Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen schützen und fördern kann, ohne jemandem auf den Schlips zu treten“, sagt Fanny Langerwisch. Bevor Behörden wie das Umweltbundesamt und das Bundesamt für Naturschutz Maßnahmen zum Naturschutz umsetzen, müssen sie wissen, welchen Effekt diese haben und wie Anwohnende dazu stehen. Diese direkte Verbindung zur Praxis schätzt die Biologin ganz besonders: „Ich freue mich, dass unsere Ergebnisse nicht nur in wissenschaftlichen Publikationen erscheinen, sondern von der Politik genutzt werden.“

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