zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Der Preis der Gier

Der Zickzack-Kurs der Börsen verunsichert viele Anleger. Wissenschaftler geben Ratschläge

Von Andreas Oswald

Es ist ein Wechselbad der Gefühle, dem der Anleger besonders in diesen Tagen ausgesetzt ist. Hatte er doch monatelang mit teilweise ungläubigem Staunen zugesehen, wie der Deutsche Aktienindex (Dax) innerhalb von nur acht Monaten 1400 Punkte dazugewann. Diese sagenhafte Rallye hat manchen daran denken lassen, in Aktien einzusteigen. Am letzten Freitag kam dann die erste Ernüchterung. Um mehr als 70 Punkte fiel der Dax zwischenzeitlich. Montag kam eine kurze Erholung, Dienstag sackte die Börse wieder ab. Und am Mittwochmorgen wachten die Anleger auf mit der Radionachricht, dass in der Nacht an der Tokioter Börse der Handel abgebrochen wurde, weil eine Verkaufsflut eingesetzt hatte. Der Dax stürzte ebenfalls, genau 150 Punkte unter den Höchststand von 5553 Punkte, der erst vier Börsentage zuvor – am Donnerstag – erreicht worden war.

Mancher Anleger war nach den positiven Nachrichten der letzten Wochen erst vor kurzem eingestiegen – und jetzt das. Wie kommt es, dass viele Anleger das Gefühl haben, dass immer dann, wenn sie gerade eingestiegen sind, sofort die Kurse fallen? Gibt es Auswege aus dem unangenehmen Gefühl der Unwägbarkeit?

Psychologen haben festgestellt, dass sich Anleger oft unbewusst einer Gefühlsspirale aussetzen. Zuerst kommt Skepsis, dann die Hoffnung, dann die Euphorie, schließlich die Gier. Wenn die Kurse wieder fallen, kommt zuerst die Verdrängung, dann Angst, Panik, schließlich ein Gefühl der vollkommenen Hilflosigkeit und der Depression.

„Behavioral Finance“ heißt ein wissenschaftlicher Zweig, der das Verhalten von Anlegern untersucht und herausgefunden hat, welche Fehler die meisten Anleger machen.

Wer kennt nicht die Situation: Drei Abende lang berichten die Börsenreporter im Fernsehen euphorisch von steigenden Kursen. Mancher Anleger erinnert sich, wie er sich vor fünf Jahren die Finger verbrannt hat und winkt innerlich ab. Eines Abends bekommt er das Gefühl, dass der Zug ohne ihn losgefahren ist und ruft am nächsten Morgen seine Bank an. Kaufen soll sie für ihn. Was passiert? Zehn Minuten nach Börsenbeginn haben die Kurse eine vorläufige Höchstmarke erreicht, anschließend fallen sie. Der Anleger hat zum Höchstkurs gekauft und bangt nun.

In der nebenstehenden Grafik wird deutlich, dass der Dax bei seiner Aufwärtsbewegung in den vergangenen Monaten immer wieder kleinere Pausen eingelegt hat, in denen die Kurse etwas nachgegeben haben, bevor sie anschließend wieder stiegen. Dieses aufwärts gerichtete Zackenmuster kommt unter anderem dadurch zustande, dass viele Großanleger Gewinne mitnehmen, wenn sie ihr selbst vorgegebenes Ziel erreicht haben. Als Kleinanleger hilft es, sich diesen Sachverhalt klarzumachen und ebenso zu handeln. Es liegt zwar vom Gefühl her nahe, dass Anleger einsteigen, wenn mehrere Tage positiv verlaufen sind, aber das ist dann oft der Zeitpunkt, nach dem erst einmal eine kurze Abwärtsreaktion folgt. Liegt eine größere Aufwärtsstrecke vor – die Grafik zeigt die Entwicklung seit Ende Oktober – dann ist irgendwann eine größere Reaktion die Folge. Mit einer solchen scheinen wir es im Moment zu tun zu haben. Solche Abwärtsbewegungen sind unvermeidlich. Es ist nahezu ausgeschlossen, dass sich eine Börse ohne Ende derart steil nach oben bewegt, wie der Deutsche Aktienindex in den vergangenen Monaten. Auch der Tagesspiegel hatte vor zwei Wochen auf eben diese Gefahr hingewiesen.

Aus der „Behavioral Finance“ gibt es eine Reihe von Verhaltensvorschlägen, die für den Anleger nützlich sein könnten, wenn er sich im Meer der Ungewissheit zurechtfinden will. „Es ist wichtig, dass sich der Anleger einen Plan macht und genau festlegt, welche Zielmarke er erreichen will und welchen Verlust er bereit ist einzugehen“, sagt Gianni Hirschmüller, Sprecher der Firma Cognitrend, die Handelssysteme mit Hilfe von „Behavioral Finance“ entwickelt. „Am besten ist es, wenn man nach dem Kauf gleich die Orders zur Verlustbegrenzung und zur Gewinnrealisierung eingibt“, rät Hirschmüller. Oft machen sich Anleger nicht klar, wann sie aussteigen wollen. Sie warten dann die Gewinne ab, warten weiter, und irgendwann setzen die Verluste ein. Dann warten sie, bis die Verluste größer werden. Dabei kommen Gefühle wie Angst und Panik auf. Verhindern kann man dies durch die Festlegung eines Stopp-Kurses: Zu dieser Marke verkauft er spätestens, wenn die Position ins Minus läuft. Das schützt vor größeren Verlusten. Wer außerdem nach dem Kauf eine Verkaufsorder mit dem Zielkurs eingibt, muss nicht nervös werden.

Ein kleiner Trost: Auch Profis verhalten sich oft nicht so vernünftig, wie sie tun. Tatsächlich investieren sie oft riskanter als angekündigt, ergab eine Studie der Uni München.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false