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Wirtschaft: Ein Schein für alle Fälle

Mit neuen Zertifikaten können Anleger gewinnen – auch, wenn Aktien an der Börse verlieren

Korridor, Reverse, Express, Outperformance, Rainbow, Twin-win, Bonus, Step-up, Relax: Wer die Welt der Zertifikate betritt, muss sich zunächst durch einen Dschungel von Angeboten und Begriffen kämpfen. Dabei machen es die 30 Emittenten in Deutschland, die sich auf Europas größtem Zertifkatemarkt (rund 100 Milliarden Euro) tummeln, den Anlegern nicht einfach: Nahezu täglich kommen neue, kompliziertere Produkte auf den Markt. Zertifikate gibt es auf nahezu alle Aktien, auf Aktienkörbe, Anlagestrategien, Ländermischungen, Indizes, Rohstoffe oder Währungen. Etwa 100 000 verschiedene Scheine stehen zur Wahl. Wie findet man da den richtigen?

Wer sich nicht für hochspekulative Hebelprodukte interessiert, kann 60 000 Zertifikate (vor allem sogenannte „Turbos“ und K.-o.-Scheine) gleich beiseitelassen. Nur rund 40 000 Papiere sind reine Investment-Scheine. Eine Reihe davon eignet sich vor allem für die aktuelle Börsenphase beziehungsweise für defensive Anleger: Die Zertifikate sind so konstruiert, dass der Anleger auch bei seitwärts laufenden oder sogar leicht fallenden Märkten gewinnen kann.

Besonders beliebt seien Bonus-Zertifikate , sagt Sebastian Bleser, Derivate-Experte bei der Société Générale, dem weltgrößten Anbieter. Bonus-Papiere gelten als die „besseren Aktien“, denn sie verbinden einen Verlustpuffer mit der Chance, an Kurszuwächsen voll zu partizipieren.

Ein Beispiel: Ein Bonus-Zertifikat auf eine Aktie kostet 97 Euro, ist mit einer Barriere bei 80 Euro und einem Bonus-Level bei 120 Euro ausgestattet. Das heißt: Bewegt sich die Aktie während der Laufzeit – meist ein bis zwei Jahre – zwischen 80 und 120 Euro, notiert am Ende aber beispielsweise bei 85 Euro, dann erhält der Anleger trotzdem den Bonusbetrag von 120 Euro, macht also 23 Euro Gewinn – obwohl die Aktie im Minus notiert. Wird die Barriere jedoch verletzt oder das Bonus-Level überschritten, erhält der Anleger eine Rückzahlung auf aktueller Höhe des Basiswerts.

Neuester Clou der Zertifikatetüftler sind Korridor-Bonus-Papiere : Sie haben in beide Richtungen eine Barriere. Bleser rechnet vor: Ein spekulatives Dax-Bonus-Korridor-Zertifikat mit Barrieren bei 4565 oder bei 6734 Dax-Punkten werfe, wenn die Grenzen bis Ende 2007 nicht überschritten werden, einen Bonus von 75 Prozent ab. Weniger riskante Papiere gleicher Konstruktion bringen immer noch 15 bis 48 Prozent Bonus.

Auch mit klassischen Discount-Zertifikaten lassen sich lahme Seitwärtsmärkte oder leicht fallende Märkte komfortabel überbrücken. Mit einem Discounter kauft der Anleger eine Aktie oder einen Index quasi mit Rabatt, also im Vergleich zum Marktpreis verbilligt. Umgekehrt wird er an der Wertsteigerung des Basiswerts nur bis zum einem bestimmten Niveau (Cap) beteiligt. Steigt der Basiswert stark an, wäre ein Direktinvestment sinnvoller gewesen. Im Falle sinkender Märkte ist die Geldanlage jedoch bis zur Höhe des Discounts geschützt. Schwankende, per Saldo stagnierende oder nur leicht veränderte Börsen sind also die ideale Voraussetzung für einen Discounter, sagt Mathias Schölzel, Derivate-Spezialist bei der Deutschen Bank. Jahresrenditen zwischen acht und zehn Prozent seien bei Discountern nicht unüblich.

Ein Beispiel: Ein Dax-Discounter mit einem Cap bei 5800 Punkten, also etwa auf dem aktuellen Dax-Level, wirft bei seitwärts verlaufendem Leitindex bis Ende 2007 insgesamt 12,5 Prozent ab, jedoch auf keinen Fall mehr. Das entspricht einer Jahresrendite von 9,3 Prozent. Ein Discounter mit Cap 6000 Punkte kann bis Dezember 2007 maximal 13,8 Prozent erzielen, im Fall einer Seitwärtsbewegung jedoch nur 7,6 Prozent pro Jahr.

Als dritte Gruppe eignen sich Express-Zertifikate für stagnierende bis leicht steigende Börsen: Dabei erhält der Anleger sein Investment plus einer Prämie nach einem Jahr wieder, wenn der Basiswert über einem festgelegten Niveau liegt. Zudem gibt es einen Risikopuffer nach unten. Ein Beispiel: Ein Express-Papier auf einen Dax-Wert wird zu 100 Euro ausgegeben. Der Startwert der Aktie wird auf 75 Euro festgesetzt, der Sicherheitspuffer bei 80 Prozent davon. Notiert die Aktie ein Jahr später mindestens bei 75 Euro, erhält der Anleger die investierten 100 Euro und eine Prämie von 9 Euro ausbezahlt. Ist der Kurs unter 75 Euro, nicht jedoch unter die Pufferschwelle gesunken, läuft das Zertifikat bis zum nächsten Stichtag. Liegt der Kurs dann über 75 Euro, erhält der Anleger eine Rückzahlung von 100 plus zweimal 9, also 118 Euro insgesamt. Express-Papiere eignen sich also für Märkte ohne starke Bewegungen nach oben oder unten. Selbst bei Verletzung der Barriere ist das eingesetzte Kapital geschützt, denn dann wird das Zertifikat sofort zum Kaufpreis zurückgezahlt.

Dass sich Zertifikate in Deutschland als eigene Anlageklasse voll etabliert haben, liegt nach Meinung von Société-Générale-Experte Bleser vor allem an den guten Emissionsbedingungen. Während ein Fonds monatelang vorbereitet werden müsse, lasse sich ein Zertifikat „innerhalb eines Tages“ auf den Markt bringen. Die rechtlichen und finanziellen Hürden seien niedrig.

Dies habe auch den Wildwuchs in der Branche gefördert, mahnt die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK). „Der Kauf eines Zertifikats gleicht manchmal dem Gang ins Spielcasino“, kritisiert SdK-Vorstandsmitglied Markus Straub. So seien die exakten Kosten für den Anleger selten nachvollziehbar, denn die Risikoprämie fließe in den Preis des Zertifkats ein. Zudem wüssten viele Anleger angesichts der unüberschaubaren Produktvielfalt nicht, welches konkrete Rückzahlungsversprechen ein Zertifikat beinhalte. Die Anbieter halten dagegen: Gerade auf dem deutschen Markt sei der Wettbewerb zwischen den 30 Anbietern besonders hart – entsprechend extrem sei deshalb der Preisdruck.

Veronika Csizi

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