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Wirtschaft: Freie Wahl für freie Bürger

Noch sind die Verbraucher an ihren örtlichen Gasversorger gebunden. Doch bald sollen sie zu anderen Anbietern gehen können

Wer seine Telefonrechnung zu hoch findet, kann etwas dagegen unternehmen. Er kann sich zum Beispiel einen neuen Anbieter suchen und der Telekom den Rücken kehren. Das Gleiche gilt beim Strom: Wer die steigenden Preise nicht mehr mitmachen will, findet ebenfalls Alternativen (siehe oben). Nur beim Gas ist alles anders. Hier sind die Verbraucher an ihren örtlichen Monopolisten gebunden, in Berlin also die Gasag. Kein Wunder, dass Gaspreiserhöhungen – wie zuletzt am 1. Januar – besonders laute Proteste hervorrufen. Mit Widersprüchen, Zahlungsverweigerungen und Klagen versuchen die Kunden sich zu wehren.

Doch bald wird es für sie einfacher, auf steigende Gaspreise zu reagieren: Denn ab 1. Oktober 2006 sollen die Verbraucher ihren Versorger frei wählen dürfen. Theoretisch ist das zwar schon heute möglich. Doch wegen der hohen Durchleitungsgebühren, die die etablierten Gasunternehmen von Konkurrenten verlangen, wagt sich kein neuer Anbieter vor.

Das soll sich nun ändern. In der vergangenen Woche hat die Bundesnetzagentur nämlich ein neues Gasnetzzugangsmodell vorgestellt, das den Gasmarkt genauso liberalisieren soll, wie es auf dem Strommarkt schon geschehen ist. Für Berlin heißt das, dass es für neue Anbieter leichter wird, ihr Gas durch das Netz der Gasag zu leiten – und so Privathaushalte zu versorgen. „Für die Kunden ist das eine gute Nachricht“, sagt Aribert Peters vom Bund der Energieverbraucher. Außerdem überprüft die Bundesnetzagentur die Höhe der Durchleitungsentgelte. Verbraucherschützer halten es für möglich, diese Gebühren um 30 Prozent zu senken. Dadurch würde der Gasverkauf für neue Anbieter deutlich rentabler.

Erste Unternehmen, die der Gasag Konkurrenz machen möchten, stehen schon in den Startlöchern. Eines ist die Potsdamer Natgas. Auf dem Markt für Industriekunden ist die Gesellschaft bereits aktiv. „Wenn es sich wirtschaftlich machen lässt, werden wir mittelfristig auch Haushaltskunden mit Gas beliefern“, sagt Vorstandschef Jörg Bauth. Der neue Berliner Stromanbieter Nuon hält sich ebenfalls offen, eines Tages mit Gas zu handeln. Daneben wird in Branchenkreisen auch Yello als möglicher Kandidat für den Berliner Gasmarkt gehandelt. Bisher tat sich das Unternehmen vor allem mit seinem „gelben Strom“ hervor. Doch der Mutterkonzern, der baden-württembergische Energieversorger EnBW, ist durchaus auch im Gasgeschäft aktiv – eine Ausweitung der Aktivitäten auf Berlin ist also nicht ausgeschlossen.

Genaue Zeitpläne nennt bisher allerdings keines der Unternehmen. Einige Beobachter sind deshalb skeptisch, ob es mit der Liberalisierung tatsächlich bis zum 1. Oktober klappt. So warnt der Bundesverband neuer Energieanbieter (bne), der die Newcomer des Markts vertritt, dass das Gasnetzzugangsmodell der Bundesnetzagentur noch zu schwammig formuliert sei. „Wir sind ein wenig enttäuscht“, sagt bne-Sprecherin Annette Bergmann. Auch Günter Hörmann von der Verbraucherzentrale Hamburg warnt vor zu großer Euphorie: „Nur wenn die Netzentgelte drastisch sinken, haben wir ab Oktober echten Wettbewerb.“ Er hält dafür eine Absenkung der Durchleitungsgebühren um 50 Prozent für nötig.

Solange das nicht der Fall ist, bleibt den Verbrauchern nur die Hoffnung auf die Gerichte. Dort sind derzeit mehrere Sammelklagen von Verbraucherzentralen gegen Gasmonopolisten anhängig. Die jüngsten Preiserhöhungen sollen so auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden. Am weitesten fortgeschritten ist das Verfahren gegen Eon-Hanse in Hamburg. Im November hat das Unternehmen seine Preiskalkulation offen gelegt, um den Vorwurf des Marktmachtmissbrauchs aus der Welt zu schaffen.

Doch Verbraucherschützer Hörmann bleibt kritisch: „Das vorgelegte Material reicht nicht aus.“ Er rechnet deshalb damit, dass das Hamburger Landgericht im März einen Gutachter bestellen wird, um die Zahlen nachzuprüfen. „Die Alternative wäre, dass Eon-Hanse noch etwas nachlegt“, fordert Hörmann. Seine Prognose ist, dass es vor Jahresende kein erstinstanzliches Urteil geben wird. Doch selbst dann wird das Verfahren wohl noch nicht vorbei sein. „Die Seite, die verliert, wird zum Oberlandesgericht gehen“, sagt Hörmann voraus. „Und falls eine Revision zugelassen wird, geht es danach zum Bundesgerichtshof.“ Eine abschließende Entscheidung sei dann erst in drei Jahren zu erwarten.

Weitere Verfahren sind auch in anderen Bundesländern anhängig, so in Berlin gegen die Gasag. Doch hier sind die Prozessparteien noch längst nicht so weit wie in Hamburg; der erste Verhandlungstermin ist der 10. April. Immerhin hat die Gasag mittlerweile ebenfalls ihre Preiskalkulation offen gelegt (siehe Grafik). Daraus soll hervorgehen, dass das Unternehmen tatsächlich nur seine gestiegenen Beschaffungskosten an die Kunden weitergegeben habe. Doch Verbraucherschützer überzeugt das nicht: „Was sich hinter den Zahlen verbirgt, bleibt nach wie vor nebulös“, sagt Gabriele Francke von der Verbraucherzentrale Berlin. Eine rasche Einigung vor Gericht scheint daher auch hier eher unwahrscheinlich.

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