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Harry Domela gab sich als Prinz Wilhelm von Preussen, ältester Sohn des Kronprinzen, aus.

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Von Diebesfürsten und falschen Prinzen: Wann Betrügereien Konjunktur haben

In einem Forschungsprojekt untersucht ein Historikerteam das Phänomen der Hochstapelei – besonders am Beispiel von Harry Domela.

Von Pepe Egger

Harry Domela war, auch wenn sein Name heute nicht mehr geläufig ist, der berühmteste Hochstapler der Weimarer Republik, einer Zeit, die reich an Betrügern war. „Der falsche Prinz“, so nannte Domela seine Autobiografie, kam aus einfachen Verhältnissen. Aufgewachsen als Halbwaise einer deutsch-baltischen Familie im heutigen Lettland, wurde er 1926 in Heidelberg zum „Prinz Liven, Leutnant im 4. Reiterregiment Potsdam“, adelte sich von hier aus zum Baron Korff und lebte schließlich sogar als Hohenzollernprinz Wilhelm, Enkel des Kaisers, eine Zeitlang in Erfurt.

Man weiß nicht, ob wahr ist, was Domela in seinen Memoiren niederschrieb, und ob er sie allein oder mithilfe seines Verlegers Wieland Herzfelde verfasste. Harry Domela kann man nicht mehr fragen – und selbst wenn: Man wüsste nicht, ob man der Antwort trauen könnte. Was aber wohl gesichert ist: Domela beendete sein Spiel mit fremden Identitäten auch nach seiner Verurteilung nicht, sondern spielte es am Ende vielleicht sogar zu gut.

Konjunktur der Hochstapelei

Der Historiker Tobias Becker, Gastprofessor für Neuere Geschichte an der Freien Universität, hat gemeinsam mit Michael Homberg vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung und Thomas Werneke von der Humboldt Universität ein Forschungsvorhaben zu Hochstapelei angestoßen, um Gemeinsamkeiten auszumachen, die die verschiedenen Fälle verbinden, und zu verstehen, warum zu bestimmten Zeiten besonders viele Hochstapler auftreten. Die drei Wissenschaftler fragen, was die Hochstapler des 20. Jahrhunderts von den heutigen unterscheidet – wie etwa Anna Sorokin, die sich Zugang zur New Yorker High Society erschwindelte und ihre Memoiren als Lebensbeichte an Netflix verkaufte.

Tobias Becker, der mit Michael Homberg und Thomas Werneke kürzlich eine Konferenz zur „Hochstapelei im 20. Jahrhundert“ organisiert hat, sagt, man könne von mehreren Hochphasen der Hochstapelei sprechen: Die Jahrhundertwende, während der der Hochstapler als Medienphänomen einer modernen Massengesellschaft zum ersten Mal Konjunktur hatte. Man denke an den Hauptmann von Köpenick oder an Georges Manolescu, das Vorbild für die Romanfigur Felix Krull, dessen „Bekenntnisse eines Hochstaplers“ Thomas Mann verfasste. Eine zweite Hochphase habe es in der Weimarer Republik gegeben, eine weitere nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges.

Warum ist das so? „Unsere These ist, dass Hochstapelei vor allem in Transformationsgesellschaften oder besser in Phasen eines beschleunigten soziokulturellen Wandels auftritt“, sagt Tobias Becker – auch wenn diese These erst noch durch weitere Studien erhärtet werden müsse. Becker sagt, die Massengesellschaft ermögliche Hochstapelei in dem Maße, da eben nicht mehr wie in dörflichen Gesellschaften jeder jeden persönlich kenne. Er spricht von Hochstaplern als einem „Medienphänomen“, weil wir ja einerseits nur über die Berichte der Medien überhaupt erst Kenntnis von den Hochstaplern haben. Und andererseits, weil sie sich auch dadurch auszeichneten, dass sehr viele von ihnen nach ihrer Enttarnung versuchten, aus der Vermarktung ihrer Geschichte Profit zu schlagen. Bei manchen mag darin auch der Schwindel seine Fortsetzung finden.

Harry Domela zum Beispiel sitzt, nachdem er als falscher Prinz (und falscher Baron) entlarvt wurde, im Gefängnis und erfindet sich in seinen Memoiren ein weiteres Mal neu. Sie erscheinen im kommunistischen Malik-Verlag, wo er sich als Sozialkritiker und Aufdecker gab – oder so vom Verlag inszeniert wurde. Wer hier die treibende Kraft war, lasse sich nicht mehr rekonstruieren, sagt Tobias Becker. Domelas Buch sei in der Weimarer Zeit als politisches Manifest gegen die alten Eliten gelesen worden, und Domela habe sich als Hochstapler zu einer sozialkritischen Figur stilisiert, die die Eliten des Kaiserreichs entlarvte; Eliten, die auch in der Weimarer Zeit noch hofiert wurden, obwohl ihre Zeit eigentlich abgelaufen war.

Wie gelang die Verwandlung?

Was verbindet aber die verschiedenen Fälle von Hochstapelei? Becker sagt, bei vielen gehe – wie bei Domela, aber auch Wilhelm Vogt, dem „Hauptmann von Köpenick“ – eine kriminelle Karriere der eigentlichen Hochstapelei voraus, mit anderen kleineren Delikten und verschiedenen Gefängnisaufenthalten. Der als Deutsch-Balte im heutigen Lettland geborene Harry Domela wurde später staatenlos, weil seine Heimat im Zuge der Wirrungen nach dem Ersten Weltkrieg zur Sowjetunion gehörte. Er wurde in verschiedene Armeen und Freikorps eingezogen und kämpfte 1920 in der Reichswehr. Aber er besaß keine Staatsangehörigkeit mehr, als er ins zivile Leben zurückkehren wollte.

Legale Arbeit konnte er so nicht finden. Er landete auf der Straße, hielt sich mit Gaunereien über Wasser. Bald fand er andere Kriminelle, die für ihn zu Mentoren wurden. Nach einigen Jahren gelang Domela die Verwandlung: In einem magischen Moment schaffte er den Sprung vom mittellosen Gelegenheitskriminellen zum Prinzen und hochwohlgeborenen Aristokraten, der nicht nur vornehm erschien, sondern auch gebildet und wohlhabend.

Wie ist das möglich, diese Täuschung? Tobias Becker sagt: „Es ist immer noch ein Rätsel für uns, wie diese Transformation vonstatten geht, wie Domela vom Gelegenheitsganoven zum Identitätsdieb wird. Aber ganz offensichtlich muss er gelernt haben, welche kulturellen Codes die feinere Gesellschaft benutzt, wie sie sich gibt, wie sie spricht, wie sie sich bewegt.“ War Domela ein genauer Beobachter? War es sein Charme, der die anderen überzeugte? Wie ging er vor? Bei Domela, sagt der Historiker, könne man auch eine besonders gewiefte Art des Nichthandelns feststellen: Als er in Erfurt die Verwandlung vom Grafen zum Hohenzollernprinzen vollzog, war es anfänglich seine Umgebung, die vermutet, dass er Prinz Wilhelm von Preußen sei, der inkognito reise und seine wahre Identität verberge. Sobald jemand Domela darauf ansprach, stritt er es ab, was die Menschen nur noch mehr davon überzeugte, er sei ein echter Hohenzoller. Selbst seine eher unscheinbare Kleidung wirkte umso echter, weil der Prinz ja nicht erkannt werden wollte, wie man annahm.

Sehnsucht nach dem Aufstieg

An dieser Episode veranschaulicht Tobias Becker eine weitere These zum Typus des modernen Hochstaplers: An ihm lasse sich ablesen, was in einer bestimmten Gesellschaft als erstrebenswert oder als Sehnsuchtsziel gegolten habe. Zwischen Betrügern und Betrogenen gibt es eine soziale Beziehung: Der Hochstapler sehnt sich danach, den sozialen Aufstieg zu vollziehen; seine Opfer, die zugleich seine Ermöglicher sind – sein Publikum, das seinen Betrug beglaubigt – sehnen sich nach Glanz. Das Märchenhafte, das sie auf den Hochstapler projizieren, scheint auf sie zurück.

Nach der Enttarnung blitzt aber eben diese Beziehung noch einmal auf, sagt Tobias Becker. Der Hochstapler zeige, dass die sozialen Hierarchien brüchig geworden seien, dass die Hochgeborenen nichts haben, das sie von den unteren Schichten unterscheidet, als ihre Kleider, ihre Erscheinung, ihre Codes. Anders gesagt: Der Hochstapler zeigt, wie wichtig Habitus für den sozialen Aufstieg offenbar ist.

Harry Domela bemühte sich nach der Entlassung aus der Haft, aus seinem Leben weiter Kapital zu schlagen. Er kämpfte in Spanien auf Seiten der Republik gegen die Franquisten. Danach floh er nach Frankreich, wo er als Ausländer mehrfach interniert wurde. Ihm gelang eine abenteuerliche Flucht nach Südamerika, wo er bis zu seinem Tod 1979 unter falschem Namen lebte. Es mag den Anschein haben, als sei er davongekommen. Doch man kann Domelas Lebensgeschichte auch anders lesen: Er konnte nicht mehr zurück und musste in der falschen Identität verharren, bis er starb. Einen Ausweg aus der Hochstapelei fand er nicht mehr.

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