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Panorama: 10000 Menschen warten

Wissenschaftler fordern eine kontrollierte Freigabe des Organhandels

Peter Oberender ist schon von Berufs wegen pragmatisch. Um den etwa 10000 Menschen in Deutschland zu helfen, die auf eine Niere warten, hält es der Wirtschaftswissenschaftler der Universität Bayreuth für akzeptabel, Gesunden Organe abzukaufen. Nieren und Teile der Leber stammen inzwischen oft von lebenden Spendern. „Die Kranken hätten einen Nutzen, und die Spender könnten sich aus einer finanziellen Notlage befreien", sagt Oberender, der sich auf das Fachgebiet Gesundheitsökonomie spezialisiert hat. „Jeder sollte aus freien Erwägungen entscheiden können, ob die Vorteile für ihn in einem angemessenen Verhältnis zu den möglichen Nachteilen einer Operation stehen."

Oberender versucht, das Thema „Organhandel" aus der Schmuddelecke, herauszuholen, in der es in Deutschland steht. Ob als kleiner Obulus, der bei einem altruistisch gesinnten, potentiellen Organspender die letzte Motivation zur Organspende geben soll, oder als offene Bezahlung für eine Dienstleistung: Die meisten Mediziner lehnen finanzielle Anreize für die Spende von menschlichen Körperteilen ab. Sie fürchten, die gesamte Transplantationsmedizin werde in Verruf geraten.

„Organspende ist Ausdruck von Nächstenliebe und darf nicht mit materiellen Anreizen verknüpft werden", macht denn auch Professor Jörg-Dietrich Hoppe aus Berlin deutlich. Hoppe ist Präsident der Bundesärztekammer. Trotz der vielen kritischen Stimmen aus der Ärzteschaft: Das Thema ist ein Dauerbrenner. Oberender, Mitglied der Ethikkommission des Landes Baden-Württemberg, gehört zu einer wachsenden Gruppe von Geistes- und Wirtschaftswissenschaftlern, die mit Vorschlägen zu finanziellen Anreizen für eine Organspende oder gar einen regulierten Organhandel die Flucht nach vorn antreten möchten. Denn Menschen in armen Ländern wie Indien oder China dienen Kranken aus reichen Ländern schon seit vielen Jahren als lebendes „Ersatzteillager", vor allem für Nieren.

Die verbesserten Möglichkeiten, mit Medikamenten beim Empfänger Abstoßungsreaktionen gegen fremde Organe zu unterdrücken und damit den Nutzen für den Empfänger zu erhöhen, haben einen Boom des Organhandels ausgelöst: Viele Männer in den Armenvierteln von Bombay oder Neu-Delhi haben nur noch eine Niere. Osteuropäische Staaten wie Moldawien oder Litauen ziehen nach.

Die Spender bekommen Geld und verbessern damit die Situation ihrer Familien, zumindest vorübergehend. Sie zahlen oft dennoch einen hohen Preis. Denn ist die Niere draußen, kümmert sich kaum ein Arzt mehr um die Spender. Schließlich kostet eine medizinische Nachsorge Geld. Viele Spender leiden an Infektionen und anderen Komplikationen oder sterben gar daran. Sie zu zählen, hat niemand ein Interesse.

„Wenn es Institutionen gäbe, die über die Bezahlung, die Behandlung und die Nachsorge des Spenders wachen würden, wären grober Missbrauch und eine Gefährdung des Spenders weitgehend ausgeschlossen", meint Janet Radcliff-Richards. Sie ist Professorin für Philosophie an der Open University im britischen Milton-Keynes. Die Sorge um das Wohl des Organspenders habe auch ihn zu seinem Vorschlag veranlasst, sagt Oberender. Denn liefe ein Organhandel in geordneten Bahnen ab, lasse sich auch die Nachbetreuung der Spender sichern.

Aber die Globalisierung der Märkte dürfte es schwer machen, eine Kommerzialisierung der Organspende zu kontrollieren. „Bei einem freien Markt könnte man jeden Preis fordern", meint der Transplantationschirurg Professor Gundolf Gubernatis aus Hannover. Als geschäftsführender Arzt bei der Deutschen Stiftung Organtransplantation Region Nord setzt er sich seit langem auch mit ethischen und rechtlichen Aspekten der Organspende auseinander. Im Sinne des Spenders müsste man argumentieren: Mehr Geld hilft mehr. Das sieht auch Oberender so. „Die Organe könnten über das Internet an den meist Bietenden versteigert werden, und die Krankenkassen müssten vom Gesetzgeber die Möglichkeit bekommen, mitzubieten", sagt der Gesundheitsökonom.

Nicola Siegm, -Schultze

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