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Panorama: Abschauen und durchgreifen

Um die Kriminalität in Mexiko-Stadt in den Griff zu bekommen, hat sich Bürgermeister Obrador Unterstützung geholt – von New Yorks Ex-Bürgermeister Giuliani

Seit ein paar Monaten kursieren in Mexiko-Stadt sonderbare Heiligenbildchen. Darauf ist der sozialistische Bürgermeister der Stadt, Andrés Manuel López Obrador, zu sehen, unter dem Foto des lächelnden Politikers steht: „A.M.L.O. Apostel, Verteidiger und Beschützer des Volkes“. Der Justizbeamte Amador Solís hat sie drucken lassen, er verehrt seinen Chef so sehr, dass er ihm zu Ehren rund 6000 Stück davon verteilt hat. Den langen Name des Bürgermeisters hat er mit dessen Initialen abgekürzt, das spart nicht nur Platz, sondern gibt dem Politiker nebenbei auch die Aura eines Heiligen: Wenn man die vier Buchstaben liest, denkt man auch gleich an die Inschrift I.N.R.I. über dem Kreuz Jesu. Und weil der 56 Jahre alte Jurist Solís auch ein praktisch denkender Mann ist, hat er auf die Rückseite der Karte einen Kalender drucken lassen und darunter seine Telefonnummer. „Das sind gleichzeitig meine Visitenkarten", sagt Solís.

López Obrador ist ein populärer Politiker, von dem man sagt, er werde in drei Jahren für das Präsidentenamt kandidieren. Doch erst einmal hat er sich vorgenommen, die enorm hohe Verbrechensrate seiner Stadt zu senken, ein Vorhaben, dass so gewaltig ist, dass es selbst ein Heilsbringer nicht alleine bewältigen kann.

Eines der häufigsten, aber harmlosesten Delikte ist der Diebstahl und Weiterkauf von Autoteilen. Jeder weiß hier, dass er sich seinen gestohlenen Seitenspiegel auf dem Markt im Stadtteil Tepito zurückkaufen kann - sofern einem dort nicht auch noch der Geldbeutel geklaut wird. Bekannt ist die Stadt auch für seine „Express-Entführungen“ in den VW-Käfer-Taxis: Bewaffnete setzen sich zum Fahrgast, bringen ihn zum nächsten Bankautomaten, wo sie ihn zwingen, so viel Geld wie möglich abzuheben.

In der Stadt werden täglich 500 Straftaten gemeldet, angeblich werden aber bis zu zwei Drittel aller Delikte erst gar nicht angezeigt, weil die Bürger der Polizei nicht vertrauen. Nahezu jeder Chilango, wie sich die Stadtbewohner selbst nennen, hat aber auch schon von der Bestechlickeit der Polizei profitiert: Wenn man zu schnell oder gar angetrunken Auto fährt, entgeht man durch ein Schmiergeld dem viel höheren Bußgeld. Und es ist kein Geheimnis, dass die Polizisten - Mexiko-Stadt hat mit seinen 85 000 Beamten immerhin doppelt so viele wie New York City – von den kriminellen Banden der Stadt Schutzgelder beziehen.

Korruption zieht sich durch alle Gesellschaftsschichten. Aber gleichzeitig hat jeder unter der Unsicherheit der Stadt zu leiden. Um seiner Beschützerrolle gerecht zu werden, hat sich Bürgermeister López Obrador vor einigen Monaten Hilfe aus dem Ausland geholt. Zwölf Nationen, darunter China, Israel, Japan und Großbritannien beraten das Sekretariat für öffentliche Sicherheit, um die Kriminalität in der Stadt zu senken.

Am meisten Aufsehen hat jedoch der Beratervertrag der Stadt mit Rudolph Giuliani, dem Ex-Bürgermeister von New York, erregt. Die Rechnung mit der Firma „Giuliani Group“ in Höhe von rund 4,3 Millionen US-Dollar beglich eine Gruppe mexikanischer Unternehmer. Im Januar dieses Jahres kam der Ex-Politiker selbst für zwei Tage in die Stadt. 400 Beamte waren zu seinem persönlichen Schutz abbestellt. Seither hat sich der Mann, der sich zu seiner eigenen Sicherheit einmal einen Bunker bauen lassen wollte – ausgerechnet unter dem World Trade Center –, nicht mehr blicken lassen.

Im Prinzip geht es darum, Giulianis Konzept „Null Toleranz“, das er für New York erarbeitet hat, auf Mexiko-Stadt zu übertragen. Mit seiner Taktik, jedes noch so kleine Vergehen zu ahnden und Parks mit Vidokameras zu überwachen, konnte Giuliani die Zahl der Verbrechen um zwei Drittel verringern und hat New York zu einer der sichersten Großstädte in den USA gemacht. Gleichzeitig stiegen die Beschwerden über Polizeibrutalität, und Kritiker behaupten, die Kriminalitätsrate sei auch deshalb gesunken, weil Kriminelle in andere Bundesstaaten abgewandert seien. Giuliani schlug auch vor ein Bonussystem bei der Polizei einführen. Polizisten müssten für gute Arbeit belohnt werden, wer seine Funktion nicht erfüllt, müsse gehen.

Eine Woche später empfing Mexiko dann einen weitereren Ex-Bürgermeister: Leoluca Orlando aus Palermo. Der machte zwar weit weniger Rummel um seine Person, hat dafür aber die Sympathien der Mexikaner auf seiner Seite. Der Mann, der während seiner Amtszeit in Palermo die Macht der Mafia brach, will mit Vorschlägen seines „Instituts für die Renaissance Siziliens“ den Mexikanern helfen, dem Kampf gegen die Kriminalität eine „humane Dimension zu geben“. Orlando glaubt, dass Giulianis Konzept „Null Toleranz“, das auf Repression setzt, „ein Bumerang“ sein könnte und will vielmehr daran arbeiten, eine „Kultur der Legalität" in der Gesellschaft zu verankern. Sein Programm setzt in den Schulen und den Kirchen an.

Im Stadtteil Iztapalapa arbeiten die Lehrer schon mit der „Option Palermo“. Die Schüler lesen jetzt Bücher wie „Der Herr der Fliegen“ von William Golding und sollen in Diskussionen lernen, die Notwendigkeit von gesellschaftlichen Normen zu akzeptieren.

Annabel Wahba

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