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Panorama: Aids: Die schlimmsten Befürchtungen übertroffen

Zum Ende des Jahres 2000 leben mehr als 36 Millionen HIV-infizierte Menschen auf der Erde. Diese Zahl liegt mehr als 50 Prozent über der Prognose, die die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Jahr 1991 abgab.

Zum Ende des Jahres 2000 leben mehr als 36 Millionen HIV-infizierte Menschen auf der Erde. Diese Zahl liegt mehr als 50 Prozent über der Prognose, die die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Jahr 1991 abgab. Die Zahlen wurden damals als monströse Hochrechnungen betrachtet, die man sich kaum vorstellen konnte. Doch diese schlimmsten Befürchtungen wurden noch erheblich übertroffen.

Hintergrund ist das Risikoverhalten, das in verschiedenen Ländern unterschiedlich ist, sich im Laufe der Zeit verändert und nicht einfach langfristig hochgerechnet werden kann. Heute beschränken sich Bevölkerungswissenschaftler und Mediziner deshalb aus gutem Grund auf kurzfristige Vorhersagen, die vor allem auf der Basis des Risikoverhaltens erstellt werden.

Über 70 Prozent der HIV-Infektionen sind auf sexuelle Kontakte zwischen Männern und Frauen zurückzuführen, weitere zehn Prozent auf homosexuelle Kontakte. Fast überall auf der Welt sind weit mehr Männer als Frauen mit HIV infiziert oder schon an der Immunschwäche Aids erkrankt und gestorben. Männer sind insgesamt das stärker von Aids gefährdete Geschlecht. Eine - zahlenmäßig mit 3,8 Millionen Neuinfektionen im Jahr 2000 allerdings zahlenmäßig sehr bedeutende - Ausnahme bilden die afrikanischen Länder südlich der Sahara.

Das Verhalten der Männer - vor allem die Benutzung von Kondomen - ist entscheidend für die weitere Entwicklung. Männer gefährden Frauen stärker als umgekehrt. "Überall auf der Welt haben Männer durchschnittlich mehr Sexualpartner als Frauen - auch außerhalb der Ehe" heißt es bei Unaids. Promiskuität gilt als ein wichtiger Faktor der Infektionsdynamik.

Zudem wird HIV beim Geschlechtsverkehr leichter vom Mann auf die Frau übertragen als umgekehrt. Vier Fünftel derjenigen, die sich beim Gebrauch von Spritzen infiziert haben und nun eine Gefahr für Sexualpartner darstellen, sind Männer.

"Männer stellen sich der Verantwortung" heißt denn auch das weltweite Motto von Unaids, dem gemeinsamen HIV/Aids-Programm der Vereinten Nationen, zum Welt-Aids-Tag am 1. Dezember. "Es ist an der Zeit, Männer nicht ausschließlich als Teil des Problems wahrzunehmen, sondern als Teil der Lösung", heißt es bei Unaids.

Eine entscheidende Rolle spielt dabei weiterhin die Verwendung des Kondoms - und zwar auch des Kondoms für die Frau. Es ist zwar aufwändiger und schwerer einzusetzen als dasjenige für den Mann, wird aber insbesondere in Afrika schon genutzt, um Ehefrauen vor einer Ansteckung durch ihren Mann zu schützen, der sich - zum Beispiel am weit entfernten Arbeitsort - bei einer Prostituierten mit HIV infiziert hat.

Besonders gefährdet sind nach neuesten Erkenntnissen Menschen, deren Sexualpartner sich gerade frisch infiziert haben. Denn dann ist der HIV-Spiegel im Blut besonders hoch. Auch andere sexuell übertragbare Infektionen, die Geschwüre im Genitalbereich verursachen, begünstigen die Infektionen. Vor allem in Ländern, in denen Homosexualität heimlich gelebt werden muss, ist der Schutz vor Neuinfektionen ganz unzureichend. Weit bessere Erfolge in der Aids-Prävention sind dagegen laut Unaids in den Ländern zu verzeichnen, in denen Homosexualität offen gelebt werden kann.

Von einer "Tragödie der Teenager" sprach UNICEF-Direktorin Carol Bellamy. In den besonders betroffenen Ländern werde in den kommenden Jahren ein großer Teil der jungen Generation an Aids sterben, warnte sie. Angesichts der verheerenden Ausbreitung müsse Aids zum Schwerpunkt internationaler Entwicklungszusammenarbeit gemacht werden. In Ländern wie Botswana sei die Epidemie so weit fortgeschritten, dass Firmen drei junge Menschen ausbildeten, damit zumindest einer überlebe und die Arbeitsstelle antreten könne, hieß es. In weiten Landstrichen des südlichen Afrikas seien rund ein Drittel der Bewohner mit dem HI-Virus infiziert. Millionen Waisen, deren Eltern an Aids gestorben seien, blieben unversorgt. Die Seuche dünne ganze Generationen aus.

Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer sagte bei der gestrigen Vorstellung der Unaids-Zahlen in Berlin: "Es gibt keinen Anlass, die Hände in den Schoß zu legen." Sie macht sich besondere Gedanken darüber, wie man nachwachsende Generationen immer wieder neu ansprechen kann.

Heute ermöglicht die Mehrfach-Therapie mit starken Antivirus-Mitteln vielen HIV-Infizierten ein deutlich längeres Leben. Die Kehrseite: Viele junge Männer, auch aus der Schwulen-Szene, werden nachlässiger. Vielleicht, so wird vermutet, weil sie keine eigenen Freunde mehr kennen, die an Aids gestorben sind, vielleicht auch, weil sie die Medikamente, die den Verlauf hinauszögern, fälschlicherweise für Heilmittel halten. Die Neuinfektionen haben in Nordamerika und Europa nicht abgenommen. 2000 bis 2500 Menschen stecken sich in Deutschland jährlich neu an.

Adelheid Müller-Lissner

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