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Panorama: „Als würden Kardinäle die Vatikanbank überfallen“

Zwei mysteriöse Fälle erschüttern die ehrwürdige Gilde der Schweizer Uhrmacher: Einer verlor seine Firma, ein anderer soll Fälscher sein

Von Daniel Hug

und Markus Steudler, Zürich

Wer seiner Frau eine Armbanduhr von Franck Muller zu Weihnachten schenkt, kann eigentlich nicht viel falsch machen. Er muss ein bisschen tiefer in die Tasche greifen, aber dafür trägt die Frau dann eine Uhr desselben Fabrikanten wie zum Beispiel die Hotelerbin Paris Hilton. Uhren von Franck Muller, Genf, kosten Tausende, Zehntausende, Hunderttausende oder Millionen.

Er war der Liebling der High Society und des Showbusiness, der Genfer Uhrmacher Franck Muller. 1991 gründete er zusammen mit Vartan Sirmakes, einem Edelsteinfasser armenischer Herkunft, sein eigenes Unternehmen. In kürzester Zeit hatte der gelernte Uhrmacher Francesco Muller, so sein ursprünglicher Name, riesigen Erfolg: Mit seinen Uhren in Tonneau-Form und den grossen, geschwungen Ziffern in Jugendstil-Manier kreierte er einen unverwechselbaren Look – und landete einen Volltreffer in den begüterten Jetset-Kreisen. Muller (sprich: Müller) ist der Senkrechtstarter in der Uhrenbranche schlechthin: Sein Unternehmen kletterte von null auf rund 400 Millionen Franken Jahresumsatz – und das in nur 10 Jahren.

Letztes Jahr verkaufte Franck Muller knapp 50000 seiner Luxus-Uhren; das Unternehmen beschäftigt 515 Personen.

Heute besitzt Franck Muller nicht mal mehr die Schlüssel zu seinem Unternehmen.

Die Branche der Schweizer Uhrmacher wird derzeit erschüttert durch zwei Vorgänge, die die Öffentlichkeit vor ein Rätsel stellen. In einem Fall hat Franck Muller unter bisher nicht aufgeklärten Gründen die Kontrolle über seine Firma verloren. In einem anderen Fall soll ein anderer Spitzenuhrmacher – Jean-Pierre Jaquet – edle Uhren anderer Hersteller gefälscht haben.

Sie sind eine eigene Gilde, diese Schweizer Uhrmacher. Mit ihren kleinen und mittleren Manufakturen setzen sie jedes Jahr Milliarden um. Viele von ihnen kennen sich persönlich, gleichzeitig wetteifern sie, wer den besten und wertvollsten Chronometer konstruiert. Jean-Pierre Jaquet in La Chaux-deFonds ist auch so ein Uhrmacher der Oberklasse. Er beliefert mit seinen edlen Werken und Einzelteilen viele andere Hersteller, so auch Muller.

Als zwanzig Beamte der Neuenburger Kantonspolizei auf dem Gelände der Uhrenfirma Jaquet SA in La Chaux-de-Fonds erschienen, die Zufahrt abriegelten und das Gebäude durchsuchten, begann für die Branche ein Alptraum, von dem nicht klar sein wird, wann er zu Ende sein wird. Firmenchef Jean-Pierre Jaquet wurde verhaftet, die Jaquet SA mit ihren 160 Angestellten zunächst geschlossen. Neben dem Fabrikanten Jaquet sitzen mittlerweile ein Dutzend Personen in Untersuchungshaft. Jaquet werden Raub, Hehlerei, Warenfälschung und – neu – auch Entführung vorgeworfen.

Swatch-Präsident Nicolas G. Hayek befürchtet, dass der Ruf der Schweizer Uhrenindustrie leidet: „Das ist, wie wenn ein paar Kardinäle die Vatikan-Bank überfallen würden. Wir kämpfen jeden Tag gegen Fälschungen und Korruption. Und nun das“, sagt Hayek. Zumal die Beteiligten wichtige Herren aus der Schweizer Geschäftswelt seien.

Die Untersuchungsrichterin Sylvie Favre versucht, Licht ins Dunkel zu bringen. Der Uhrmacher Jaquet soll der Kopf eines gut organisierten Fälscher- und Hehlerrings sein.Verwirrend ist die Tatsache, dass auf ihn geschossen worden sein soll. Erpresser? Einschusslöcher in Jaquets Büro sollen davon zeugen. Der Cowboy-Methoden im – wilden – Schweizer Westen aber nicht genug: Einmal soll sich Jaquet auf der Flucht mit einem Sprung in den Fluss Doubs gerettet haben.

Unter den Verhafteten befindet sich der Chef des Polierwerks Miranda in La Chaux-de-Fonds. Diese Firma wurde 2002 Opfer eines Raubüberfalls. Mehrere Unbekannte erbeuteten goldene Rolex-Gehäuse im Wert von einer halben Million Franken. Ein 35-jähriger Bosnier wurde verhaftet und zu fünfeinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. Seine Komplizen und Auftraggeber sind nicht ermittelt. Die Rolex-Gehäuse, aus denen sich perfekte Fälschungen machen lassen, blieben verschwunden.

Ein weiterer ungeklärter Fall ist der Einbruch in die Uhrenfirma RSM in Le Locle vom Juni 2002, als zwei Bewaffnete Angestellte zum Öffnen des Tresors zwangen und zehn Kilogramm Gold entwendeten. Laut RSM-Geschäftsführer Ivano Magistrini gab es weitere Diebstähle in anderen Firmen. Der letzte der dubiosen Serie ist jener bei der Uhrenfirma Ulysse Nardin in Le Locle. Im Vorfeld einer Uhrenauktion am 19. März 2003 in New York tauchte im Katalog der Firma Antiquorum ein Ulysse-Nardin-Modell auf, das noch gar nicht auf dem Markt war. „Unsere Recherchen ergaben, dass ein Mitarbeiter die Uhr bei uns entwendet hatte“, sagt Ulysse-Nardin-Patron Rolf W. Schnyder.

Die Ermittlungen zum Ulysse-Nardin-Fall brachte die Behörden offenbar auf Jaquets Spur. Dieser Mann, der oft eine Pistole bei sich tragen soll, hat den Ruf eines cleveren Konstrukteurs, er gilt aber auch als dreist und kaltblütig. Jaquet war in der Branche dafür bekannt, dass er Luxusuhren über den Graumarkt im Ausland absetzte. Zudem hat man bei der Swatch Group Anhaltspunkte für Fälschungen: „Wir haben gefälschte Uhren gefunden, in denen ein Werk von Jaquet eingebaut war“, sagt Anton Bally, Chef der Swatch-Tochter Eta. Die vom ehemaligen Antiquitätenhändler Jean-Pierre Jaquet gegründete Jaquet SA ist spezialisiert darauf, so genannte Rohuhrwerke (Ebauches) der Swatch-Tochter Eta zu veredeln, umzubauen und um komplexe Mechanismen zu erweitern; um Schleppzeiger, ewigen Kalender oder Seconde Foudroyante (sie misst Bruchteile einer Sekunde). 2001 erwirtschaftete Jaquet einen Umsatz von 22 Millionen Franken.

Wichtigste Kunden waren Franck Muller (17% Umsatzanteil), Girard-Perregaux (12%), Sinn (9%), Maurice Lacroix (8%), Journe (6%), Eberhard (5%), Richemont (5%). Die Affäre um Jaquet wirft einen Schatten auf den Schweizer Firmensanierer und früheren Swatch- Manager Ernst Thomke. Er ist ein langjähriger Geschäftspartner von Jaquet. 1995 hatte Thomke geholfen, die Firma British Masters (BM) zu gründen. Thomke und Jaquet halten je 25% am Aktienkapital der Gesellschaft, die vor allem unter dem Namen Arnold & Son und Graham Luxusuhren im obersten Preissegment herstellt.

Und warum hat Franck Muller seine Firma verloren? Für die Öffentlichkeit ist das ein mysteriöser Fall. Viele Fragen bleiben offen. Nicht alle Fäden führen zusammen.

Nachdem sich Muller mit seinem Partner Sirmakes, dem armenischen Edelsteinfasser, zerstritten hatte, tauchte er zunächst ab. Warum, ist völlig unklar. Kürzlich trat er vor ein paar Westschweizer Journalisten. „Seit Monaten habe ich in der Firma überhaupt nichts mehr zu sagen“, klagte er. Sirmakes und Muller haben sich so verkracht, dass sie vor Gericht sogar um die Frage streiten, ob die Firma liquidiert werden soll. Muller möchte das gerne, der andere will die Firma erhalten.

Die rechtliche Eigentumskonstruktion der Firma gilt als eigenartig, mindestens aber als kompliziert. Offenbar wurde Muller von seinem Partner ausgetrickst. „Muller hat sich leider überhaupt nicht abgesichert und sich in geschäftlichen Belangen sehr naiv verhalten“, sagt ein Kenner der Verhältnisse.

Franck Muller, der Liebling der Society, hat also seine Firma verloren. Pikant ist, dass Muller und Jaquet enge Geschäftsbeziehungen unterhielten. Im Zusammenhang mit der Jaquet-Affäre wurden ein Angestellter und ein Ex-Führungsmitglied aus Franck Mullers Firma verhaftet. Letzteres sitzt in U-Haft, weil es Originalteile und Uhren entwendet haben soll, um – zusammen mit Jaquet – damit qualitativ hochstehende Fälschungen herzustellen.

Mullers inhaftiertes Ex-Führungsmitglied ist: sein Onkel.

Die Autoren dieses Beitrags sind Redakteure der „NZZ am Sonntag“.

Daniel Hug, Markus Steudler[Zürich]

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