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Amoklauf in Finnland: Die Stille nach dem Schuss

In Finnland fragt man sich, ob der Amoklauf an einer Schule zu verhindern gewesen wäre. Für das Musterland in Sachen Schule und Bildung ist die Bluttat ein herber Schlag.

In Finnland war so etwas eigentlich nicht möglich, jedenfalls nicht bis zu dieser Woche: Ein Schüler kündigt im Internet ein Massaker in einem Gymnasium einer Kleinstadt an. Am nächsten Tag richtet der 18-Jährige sechs Jungen, ein Mädchen, eine Krankenschwester und die Schulleiterin hin und schießt zehn weitere Schüler an. Dann schießt der Abiturient sich selbst in den Kopf.

Am Tag nach dem Massaker von Tuusula sind Entsetzen und Trauer im sonst so ruhigen Finnland groß. Die blauweiße Nationalflagge weht im ganzen Land auf Halbmast. Ministerpräsident Matti Vanhanen hatte noch am Mittwoch nach einer eiligst einberufenen Krisensitzung der Regierung Staatstrauer angeordnet. Er sprach von einem „tiefen Einschnitt“ in das Gefühl der Sicherheit und von einem „Riss im gewohnten Empfinden der Gesellschaft“ Finnlands, der noch lange zu spüren sein werde.

Was sonst irgendwo draußen in der Welt geschieht, hat nun auch Finnland erreicht. Gerade die immer wiederkehrenden Vergleiche mit dem Schulmassaker von Columbine in den USA erschüttern Finnland in seinen Grundfesten. „Sind denn unsere Jugendlichen inzwischen genauso gestört wie die amerikanischen?“, fragt ein finnischer Kommentator. Auch die scheinbare Gewissheit, nach den erfolgreich bestandenen Pisa-Tests ein Musterland in Sachen Schule und Bildung zu sein, sei nun beschädigt.

Der Amokläufer soll ein Sonderling gewesen sein. Dennoch galt er als intelligent, hatte überdurchschnittlich gute Noten, war an Politik und Philosophie interessiert. „Eine solche Tat hätte niemand voraussehen können. Ich habe ihn selbst als Schüler gehabt. Das kam überraschend“, sagt Lehrer Kim Kiuru. Auch für Mitschüler Tuomas Hulkkonen ist das Geschehen unfassbar. Er kennt den Schützen schon seit zehn Jahren. In den letzten Tagen habe der Täter sich zwar merkwürdig verhalten, habe ständig Bilder mit Schusswaffen gemalt. „Aber als ich ihn darauf ansprach, sagte er, das sei nur Spaß“, so Hulkkonen. Es sei aber allen bekannt gewesen, dass Schießen eine beliebte Freizeitbeschäftigung des Mitschülers war. Der Täter galt als verschwiegen. „Und denk daran, dies sind mein Krieg, meine Ideen und meine Pläne. Beschuldige nicht meine Eltern oder meine Freunde. Ich habe niemandem davon erzählt“, schrieb er im Internet.

Allmählich wird auch Kritik laut. Die Anzeichen seien doch unmissverständlich gewesen. Der Junge hatte seinen Plan einen Tag vor der Tat auf Youtube mit einem selbst eingespielten Videofilm angekündigt. Auch macht er keinen Hehl aus seiner Bewunderung für die jugendlichen Amokläufer der Columbine-Highschool in den USA 1999. Der makabere Titel seines Videos: „Jokela High School Massacre“. Im Film posiert er mit der Tatwaffe.

Im Internet wurden unterdessen weitere Mitteilungen des Täters entdeckt, der dort unter dem Namen „Sturmgeist 89“ auftrat. So beschreibt er sich als Bewunderer von Adolf Hitler und Friedrich Nietzsche, als „realistischen Idealisten und gottähnlichen Atheisten". In einem von ihm verfassten „Manifest der natürlichen Auswahl“ heißt es: „Ich kann nicht sagen, ich gehöre der gleichen Rasse wie diese miserable, arrogante und egoistische Menschheit an. Nein! Ich bin eine Stufe höher.“ Ihr fragt euch vermutlich, warum ich das getan habe und was ich will“, schreibt „Sturmgeist 89“.

Kirsi Lindroos, Chefin des finnischen Schulamtes, sagt, dass sie ein solches Ereignis habe kommen sehen. Denn den finnischen Schulen fehle es an ausreichendem psychologischem Betreuungspersonal. Ministerpräsident Vanhanen will nun das Waffengesetz überprüfen lassen. Auf einer Pressekonferenz sagte er, die Tat werde mit Sicherheit die Meinung über Handfeuerwaffen beeinflussen. Bisher hatte Vanhanen ein schärferes Waffengesetz mit Hinweis auf die so niedrige Kriminalitätsrate im Land abgelehnt. Etwas mehr als die Hälfte der Finnen besitzt Waffen, womit das Land nach den USA und Jemen an dritter Stelle weltweit liegt.

André Anwar[Helsinki]

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