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Panorama: Angriff auf die russische Seele

Eine Verfilmung des „Stillen Don“ empört die Kosaken – sie wollen den Moskauer Fernsehturm belagern

Als stolzes Reitervolk kennt man die russischen Donkosaken. Kein Wunder, dass sie keinen Spaß verstehen, wenn ihre Ehre auf dem Spiel steht – und genau das ist der Fall, seit Anfang des Monats eine Verfilmung von Michail Scholochows berü hmtem Kosakenroman „Der stille Don“ im russischen Fernsehen gezeigt wurde. Seit Tagen sorgt der populäre Achtteiler, der in Russland einen von fünf Zuschauern erreichte, in den südrussischen Kosakenenklaven für Aufruhr.

Der Grund: mangelnde Authentizität. Wurde die Erstverfilmung des sowjetischen Regisseurs Sergej Gerasimow 1957 noch wegen ihrer Detailtreue gerühmt, so ereifern sich die Kosaken nun über zahlreiche Fehler in der Neuverfilmung von Sergej Bondartschuk; beispielsweise sind dort verheiratete Frauen im Widerspruch zur kosakischen Tradition mit offenem Haar zu sehen. Schwerer aber wiegt, dass fast alle Kosakenrollen von ausländischen Schauspielern verkörpert werden; in der Hauptrolle des Kosaken-Atamans Grigorij Melechow etwa agiert der britische Mime Rupert Everett, der im Film russisch synchronisiert wird. Als „kljukwa“ bezeichnen Kritiker deshalb den Film – als Moosbeere. Gemeint ist ein süß liches Kitschwerk, das höchstens für den Export taugt.

Ein Ausländer könne sich nun mal nicht in die kosakische Gedankenwelt einfühlen, beklagten die Kosakenverbände. „Sollen sie doch ihresgleichen spielen, statt in unseren Seelen herumzukriechen“, schimpfte Ataman Nikolaj Kosizyn im Gespräch mit der „Iswestija“. Und fügte hinzu: „Wenn man einer Kuh einen Sattel aufsetzt, bleibt sie trotzdem eine Kuh.“ Ein von der „Nesawisimaja Gaseta“ befragter Kosakenhauptmann fand immerhin lobende Worte für Everetts Reitkünste. Für eine Fehlbesetzung hielt er den offen homosexuellen Schauspieler dennoch: „Wie kann ein schwuler Mann, der nicht weiß, was eine Frau ist, Liebesszenen spielen?“

Die Empörung über den Film schlug derart hohe Wellen, dass Ataman Kosizyn schließlich zu kosakischen Demonstrationen vor dem Moskauer Fernsehzentrum Ostankino aufrief. In der russischen Boulevard-Presse kursierte daraufhin gar das Gerücht, am Don würden berittene Einheiten zum Sturm auf den hauptstädtischen Fernsehturm rekrutiert.

Einigermaßen verworren ist schon die Vorgeschichte des Films. Gedreht wurde er bereits 1992. Weil nach dem Zusammenbruch der sowjetischen Planwirtschaft jedoch kein Geld für Filmprojekte aufzutreiben war, sprang ein italienischer Finanzier ein – und machte westliche Darsteller zur Bedingung. Das Unheil nahm seinen Lauf, als der Geldgeber Bankrott anmeldete: Eine italienische Gläubigerbank kassierte den unvollendeten Film. Erst 2005 konnte das Erste Russische Fernsehen die Rechte erwerben und den Sohn des mittlerweile verstorbenen Regisseurs für den lange erwarteten Abschluss der Dreharbeiten verpflichten.

Nicht weniger verworren ist die Geschichte der Romanvorlage: Obwohl Scholochow für seinen „Stillen Don“ 1965 den Literaturnobelpreis bekam, hielt sich hartnäckig das Gerücht, er habe das Buch nicht selbst verfasst, sondern lediglich seinen Namen unter das Manuskript eines verstorbenen Kosakenoffiziers gesetzt. Immerhin diesen Konflikt hat jüngst die Russische Akademie der Wissenschaften ausgeräumt: Mit der Veröffentlichung eines offiziellen Faksimiles des Scholochow-Manuskripts wurde, so Akademiemitglied Felix Kusnezow, „ein Punkt unter den gravierendsten Literaturstreit des 20. Jahrhunderts gesetzt“. Einen Seitenhieb auf die Verfilmung konnte sich der Akademiker natürlich nicht verkneifen: Im Vergleich zur „Größe und Vitalität“ des Buches sei der Film „ein totes Werk, in dem auch die Darsteller wie Tote agieren“.

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