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Panorama: Atom-U-Boot in Not: Die Angehörigen der Matrosen haben noch Hoffnung - obwohl das Militär ihnen nicht die ganze Wahrheit sagt

Von dunklem Blaugrau sind die noch immer drei Meter hohen Brecher der Barentssee, die bei Werdjajewo an den Strand rollen. Für die Frauen aus der Militärsiedlung die Farbe personifizierten Unheils.

Von dunklem Blaugrau sind die noch immer drei Meter hohen Brecher der Barentssee, die bei Werdjajewo an den Strand rollen. Für die Frauen aus der Militärsiedlung die Farbe personifizierten Unheils. Die Farbe der Verzweiflung. Immer wieder treibt es sie hinaus in die arktische Ödnis. Nur wenige Seemeilen entfernt ringen ihre Männer seit fünf Tagen mit dem Tod. Mehrmals täglich wählen ihre Frauen die Nummer des Krisentelefons in Seweromorsk im Stab der Nordmeerflotte an. Der Bescheid ist immer der gleiche: Für die Rettung der 118 Mann, die seit Sonnabend auf dem Atom-U-Boot "Kursk" eingeschlossen sind und deren Lage Russlands Präsident Putin als "sehr kritisch" bezeichnete, seien "die besten Kräfte des Landes mobilisiert" worden.

Immerhin 22 Kampfschiffe und U-Boote sind im Katastrophengebiet im Einsatz. Doch Masse bedeutet noch lange nicht Klasse. Korrespondenten-Fragen nach der Nützlichkeit von Kriegsschiffen für Bergungsoperationen beantwortete der Pressesprecher der russischen Seekriegsflotte, Korvettenkapitän Igor Dygalo, daher mit einem Wutanfall: Die Katastrophe der "Kursk" sei für die Westmedien ein gefundenes Fressen, um Russlands Streitkräfte zu verunglimpfen. Die Seekriegsflotte habe aber Atomraketen und sei immer noch ein Machtfaktor.

Wie tröstlich für die Angehörigen der Besatzungsmitglieder. In der zentralrussischen Gebietshauptstadt Kursk, die im vergangenen Jahr die Patenschaft über das gleichnamige Unglücksboot übernahm, läuft der Fernseher bei vielen Familien jetzt rund um die Uhr. Auf dem U-Boot dienen viele Wehrpflichtige aus Kursk und dem Umland. Bis jetzt aber hat die Leitung der Seekriegsflotte es sogar abgelehnt, eine Mannschaftsliste zu veröffentlichen. Man wolle, so Pressechef Dygalo, nicht unnötig Ängste schüren.

Erreicht hat er damit genau das Gegenteil: Galina Andrejewna (alle Namen aus Kursk von der Redaktion auf Wunsch der Betroffenen geändert) sitzt mit verweintem Gesicht am Küchentisch und hat alle Fotos von Andrjuscha, ihrem Jüngsten vor sich ausgebreitet. Andrjuscha mit acht Monaten auf dem Nachttopf, Andrjuscha bei ersten Gehversuchen, Andrjuscha als junger Pionier mit rotem Halstuch und schließlich ein stolzgeschwellter Fünfzehnjähriger in Matrosenkluft - Andrjuscha ist gerade Mitglied eines Nautik-Zirkels geworden und träumt von einer Karriere als Offizier der Handelsmarine. Logisch, dass er seinen Wehrdienst bei der Seekriegsflotte ableistet. Vor zwei Jahren wurde er einberufen. Letzte Woche, sagt Mutter Galina, habe die Stadt Kursk eine Ladung Kartoffeln für das Schiff Kursk auf die Kola-Halbinsel verfrachtet, damit nicht wieder Schmalhans Küchenmeister an Bord ist. Und für Andrjuscha hat ein Beamter aus der Gebietsverwaltung einen Brief mitgenommen. Dem hat auch Asja einen Gruß beigefügt, das Mädchen, das Andrjuscha im Herbst heiraten will. "Unser Andrjuscha kommt ganz bestimmt zurück", sagt Jurij, Andrjuschas Vater und nimmt behutsam die Hände seiner Frau. "Wein jetzt nicht mehr, du hast ein krankes Herz und musst dich schonen. Wenn es dir schlecht geht, müssen wir womöglich die Hochzeit verschieben."

Jurij, Lehrer am Eisenbahner-Technikum, gibt nur vor seiner Frau den starken Optimisten. In Wirklichkeit liegen nach den erfolglosen Rettungsversuchen der letzten Tage auch bei ihm längst die Nerven blank. Er hat selbst auf einem U-Boot gedient und weiß, das die Überlebenschancen für die Eingeschlossenen minimal sind.

Ähnlich pessimistisch sieht es auch ein ehemaliger Seeoffizier aus St. Petersburg, der auf der "Smolensk" diente. Sie gehört zur gleichen Klasse wie die "Kursk" und hat in etwa auch die gleiche Größe. In Havarie-Situationen, sagt der Offiizer, sei es an Bord von U-Booten eisernes Gesetz, dass "die Mannschaft da bleibt, wo sie zum Zeitpunkt war, als Alarm ausgelöst wurde." 70 Prozent der Mannschaft würden bei normalem Betrieb in den ersten vier von insgesamt neun Sektionen Dienst tun. Dort befinden sich auch Kommandozentrale und Reaktor. Gerade die ersten vier Abschnitte aber wurden nach der Explosion oder Kollision mit einer Mine aus dem zweiten Weltkrieg wahrscheinlich geflutet. Das bestätigten Militärs inzwischen auch im russischen Staatsfernsehen. Man gehe davon aus, sagte der vor Ort tätige Reporter, dass sich die Matrosen und Offiziere auf die obere Etage der Doppelstockbetten in den Kajüten gerettet hätten, da das eingedrungene Wasser bereits die halbe Wandhöhe erreicht habe. Die Wassertemperatur der Barentssee beträgt im Katastrophengebiet (69 Grad nördlicher Breite) ganze acht Grad in oberflächennahen Schichten. Im Innern des U-Bootes herrsche wahrscheinlich eine Temperatur von höchstens vier Grad.

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