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Panorama: Atomkraft, natürlich

In Afrika kam vor Urzeiten eine Kettenreaktion in Gang – ein von der Natur geschaffener Atomreaktor setzte enorme Energien frei

Es war eine verrückte Idee, die den Japaner Paul Kazuo Kuroda im Jahr 1956 umtrieb: Es könnte natürliche Atomreaktoren geben. An geeigneten Stellen auf der Erde könnte eine Kettenreaktion von selbst in Fahrt kommen und enorme Energien freisetzen. Der Forscher der Universität von Arkansas berechnete, dass dazu in einer Uranlagerstätte lediglich genügend Spaltstoff zusammenkommen musste.

Das Ergebnis erschien ihm aber selbst so merkwürdig, dass er seine Theorie nicht zu Ende dachte. Er kam zu dem Urteil, dass man in den damals bekannten Bergwerken keinen natürlichen Reaktor finden würde. Und übersah eins: Kommt Grundwasser ins Spiel, ist die Rechnung eine andere. Denn das Wasser bremst die bei einer Kernspaltung entstehenden Neutronen. So stark, dass diese von anderen Uran-Kernen eingefangen werden können. Diese langsamen Neutronen lösen die natürliche Kettenreaktion aus.

In den Uran-Minen von Oklo im afrikanischen Gabun ist genau dies geschehen. Und zwar an mehreren Stellen. Vor zwei Milliarden Jahren brannten dort Naturreaktoren mehr als 150000 Jahre lang. Wie es dazu kommen konnte, hat Alex Meshik nach detektivischer Suche herausgefunden und im Fachblatt „Physical Review Letters“ beschrieben. Er hat bei der Analyse der Gesteinsadern festgestellt, dass sich die Kettenreaktionen in Oklo im Rhythmus von drei Stunden immer wieder von selbst ein- und ausschalteten.

Meshik ist gebürtiger Russe. Er forscht seit acht Jahren an der Universität von Washington – als Spezialist für Edelgase. Ein solches Edelgas, Xenon, brachte den Geochemiker auf die richtige Fährte.

Xenon ist reaktionsträge, entsteht aber als Beiprodukt, wenn Uran beim radioaktiven Zerfall in leichtere Atomkerne aufbricht. Meshik fand sechs verschiedene Spielarten des Xenons (Isotope). Einige davon entstehen bei sehr schnellen, andere bei langsamen Zerfällen. Aus ihrer Verteilung schloss der Forscher, dass sich die Kettenreaktion immer wieder für 30 Minuten entzündete – und danach für zweieinhalb Stunden erlosch.

Denn durch die entstehende Hitze verdampfte das Grundwasser in der Umgebung des Gesteins. Ohne Wasser aber musste die Kettenreaktion rasch wieder abbrechen. Denn Wasser war der Stoff, der die Neutronen bremste, die die Kernspaltung verursachten (siehe Grafik).

Irgendwann sickerte wieder Regen- oder Grundwasser zu der Uranquelle durch, das Spiel begann von vorne. Ein Neutron als Zündfunke fand sich stets: Entweder es resultierte aus der kosmischen Höhenstrahlung, die die Erde unaufhörlich trifft, oder aus spontanen Zerfällen anderer Atomkerne im Gestein.

So schaltete sich der Reaktor 150000 Jahre lang immer wieder ein und aus. Er feuerte so lange, bis nicht mehr genügend Uran-235 oder kein Wasser mehr vorhanden war. In dieser Zeit wurden viele Tonnen Uran gespalten. Die Leistung des Naturreaktors von bis zu 100 Kilowatt war aber deutlich geringer als die heutiger Kraftwerke.

Ob eine solche Naturgewalt heute noch ausbrechen kann, ist ungewiss. Die Gegend in Gabun ist die einzige, in der Forscher Überbleibsel einstiger Naturreaktoren gefunden haben. Und nur ein Zufall und die penible Arbeit eines französischen Kerntechnikers halfen dabei:

Der Mann arbeitete in der kerntechnischen Anlage Pierrelatte und erhielt im Juli 1972 Uranerz aus Oklo. Bei Routineuntersuchungen stellte er fest, dass eine Erzprobe statt der üblichen 0,7202 Prozent Uran-235 nur 0,7171 Prozent enthielt. Dieser Unterscheid war ihm nicht geheuer. Er durchforstete frühere Unterlagen, machte neue Analysen, und schließlich kam heraus, dass das Material schon einmal einer Kernspaltung ausgesetzt gewesen war. Ein echter Coup!

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