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Panorama: Auf Raten

Von Katja Wallrafen, Singapur Auch die mittlerweile dritte richterliche Vorbesprechung zum Fall der wegen Drogenbesitzes in Singapur inhaftierten Deutschen Julia Bohl ist gestern ohne Ergebnis geblieben. Bohls Anwalt Subhas Anandan macht sich jedoch ziemlich genaue Vorstellungen vom Ausgang des Verfahrens, das seit nunmehr neun Wochen andauert.

Von Katja Wallrafen, Singapur

Auch die mittlerweile dritte richterliche Vorbesprechung zum Fall der wegen Drogenbesitzes in Singapur inhaftierten Deutschen Julia Bohl ist gestern ohne Ergebnis geblieben. Bohls Anwalt Subhas Anandan macht sich jedoch ziemlich genaue Vorstellungen vom Ausgang des Verfahrens, das seit nunmehr neun Wochen andauert. Obwohl weiterhin nicht klar ist, ob es überhaupt zu einem Prozess kommt, beantwortete Anandan Fragen nach der drohenden Gefängnisstrafe erstaunlich präzise: Julia wird mit „vier Jahren, vielleicht fünf“ davonkommen.

Noch im März schien Julia Bohl der Tod am Galgen sicher zu sein, nachdem die Polizei in einer von ihr angemieteten Wohnung unter anderem 687 Gramm Cannabis sichergestellt hatte. Singapurs strenge Gesetze sehen bei einer hohen Rauschgiftmenge – mehr als 500 Gramm Cannabis – obligatorisch die Todesstrafe vor.

In der singapurischen Presse hieß es zudem nach der Verhaftung von Bohl und drei weiteren Angeklagten (zwei Männern und einer Frau, alle Singapurer malayischer Abstammung), die 22-jährige Deutsche sei „Kopf eines Drogenrings“ gewesen.

Von diesen Vorwürfen ist nach zwei Terminen vor dem Haftrichter und nach den Vorbesprechungen keine Rede mehr. Bohls Verteidiger Subhas Anandan gibt sich optimistisch: „Wir sind sehr zufrieden. Erstens ist nicht mehr von aktivem Drogenhandel, sondern nur noch von der Duldung des Drogenhandels, Drogenkonsum und Drogenbesitz die Rede. Und zweitens sind von den ursprünglich 14 Anklagepunkten nur noch neun übrig. Aber auch diese Zahl werden wir weiterhin versuchen zu drücken“, so Anwalt Anandan.

Problematisch ist allerdings, dass die von mehreren jungen Leuten wie eine WG bewohnte Wohnung, in der die Rauschgiftfahnder am 13. März fündig wurden, von Julia Bohl angemietet war. Mehr noch: Ausgerechnet in Julias Schlafzimmer soll ein nicht unerheblicher Teil der Drogen aufgespürt worden sein. Und schließlich, so Anandan, wären Julia und ihre Mithäftlinge bei der Verhaftung „ein bisschen zu ehrlich“ gewesen.

Andererseits lässt Anandan durchblicken, dass Julia Bohl und zwei der Mitangeklagten ihren vierten Mithäftling belasten. Konsequenterweise wurde im Fall dieses Mannes der Vorwurf des Handels nicht aufgehoben.

Für den anderen der beiden männlichen Mithäftlinge ging der gestrige Termin hingegen positiv aus: Von seinen vormals 15 Anklagepunkten blieb lediglich der Vorwurf des Konsums übrig: Der Prozess wird nicht eröffnet; ihm droht nur noch eine zwölf- bis 16-monatige Haftstrafe, von der ein Drittel wegen guter Führung abgezogen werden könnte. Auf Anraten ihres Anwalts wird Julia Bohl auch bis zum nächsten Besprechungstermin am 31. Mai keinen Gebrauch von der Möglichkeit machen, gegen Zahlung einer Kaution von umgerechnet 93 000 Euro auf freien Fuß zu kommen. Ihre Eltern befinden sich nach wie vor in der Stadt und besuchen ihre Tochter regelmäßig im Frauengefängnis. Eine Mitarbeiterin der deutschen Botschaft, die Julia ebenfalls betreut, sagte gestern, es gehe ihr weiterhin gut. Beim gestrigen Gerichtstermin wurde Julia erneut in Handschellen ins Gericht geführt. Sie trug eine weiße Bluse, die ihr blasses Gesicht unterstrich. Im Gespräch mit dem Verteidiger wirkte sie jedoch zuversichtlich.

Der Abschluss des Falls wird mit Spannung erwartet: Nach der zweiten Vorbesprechung vor 14 Tagen hatten Anandans „neue Informationen, die für uns sehr positiv sind’“ Prozessbeobachter dazu verleitet, ein schnelles, sehr glimpfliches Ende des Falles anzunehmen. Nicht wenige spekulierten, die junge Deutsche könnte sogar nach Anrechnung der (Mitte Mai neunwöchigen) Untersuchungshaft mit einer Geldbuße davonkommen.

Tatsächlich ist die Chronologie der Ereignisse bislang ein Drehbuch schrittweiser Deeskalation – und könnte einem diplomatischen Lehrstück entlehnt sein. Da war zunächst der fragwürdige Labortest, mit dessen Hilfe der Reinheitsgehalt des Cannabis überprüft und die Menge kurzerhand halbiert wurde: Damit war Julia dem Tod durch den Strang entkommen – und dem springerhaften Medienkolonialismus in Singapur nur eine Stippvisite beschieden. Ein mutmaßliches Meisterstück deutsch-singapurischer Zusammenarbeit: Ruhe im Fall Bohl – und Zeit für eine beiderseits gesichtswahrende Lösung.

Dann war da die Legende vom mitangeklagten Freund „Ben“, den die Medien unwidersprochen auf der Anklagebank ausmachen durften, ehe durchsickerte, dass er sich, als Drahtzieher der ganzen Sache, ins Ausland abgesetzt haben soll. Einige Reporter bildeten sich daraufhin ein, seiner in Thailand habhaft werden zu können, bevor die Vernunft sie zurückpfiff: Warum sollte sich ausgerechnet ein so effizienter Staat wie Singapur den Kopf eines Drogenrings durch die Lappen gehen lassen – nach monatelanger Observierung? Wahrscheinlich ist, dass Ben bald in einer anderen Abteilung der singapurischen Polizei Dienst tun wird.

Schließlich die gerichtliche Kautionsentscheidung und Julias Verbleib im Gefängnis. Damit erkennt sie ihre „Schuld“ und „Reue“ an, steht für ihre Vergehen gerade – und erleichtert es den rechtsbewussten Singapurern, sie mit einer vergleichsweise milden Strafe davonkommen zu lassen.

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