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Panorama: „Baader wäre als Soldat ganz brauchbar gewesen“

Theodor Prinzing wurde „Wurmfortsatz“ genannt und vom Richterstuhl geprügelt. Und dass Otto Schily später noch in die USA einreisen durfte, verwundert ihn.

Herr Prinzing, Sie waren Vorsitzender Richter in einem der spektakulärsten Prozesse der deutschen Nachkriegsgeschichte. Sie haben mehr als zwei Jahrzehnte dazu geschwiegen. Heute nehmen Sie sich gleich mehrere Stunden Zeit für uns. Warum?

Weil es mich immer noch bedrückt, welches Zerrbild vom Baader-Meinhof-Verfahren damals entworfen wurde. Weil ich es immer noch schlimm finde, wie viele junge Menschen sich dadurch zu Sympathie- und Solidaritätskundgebungen für die Terroristen verleiten ließen und wie kräftig dabei auch bürgerliche, vornehmlich linksliberale Kreise mitzogen. Meine jüngere Tochter zum Beispiel auch. Es ist falsch, darüber nicht zu reden.

Der Prozess begann am 21. Mai 1975 in Stammheim. Hatten Sie eine Vorstellung, was auf Sie zukommt?

Große Schwierigkeiten waren vorhersehbar. Ich hatte bis dahin in meiner Laufbahn als Strafrichter nie irgendwelche Probleme, nicht mit Verteidigern, nicht mit Angeklagten, auch nicht mit den schwierigsten Leuten. Dass es so schlimm werden würde, das hätte niemand gedacht.

Das Verfahren war gekennzeichnet durch aggressive Verteidiger, die Sie mit Befangenheitsanträgen eindeckten, und pöbelnde Angeklagte. Haben Sie bei jeder Beleidigung sofort eingegriffen?

Bei jeder? Nein. Aber massive Beleidigungen konnte ich nicht durchgehen lassen. Wenn mich etwa Frau Meinhof als „faschistisches Staatsschwein“ bezeichnet hatte, dann ging das natürlich nicht, da wurde sie ausgeschlossen. Die Angeklagten wollten oft mitten in der Sitzung raus. Beleidigungen waren da der einzige Weg. Es kann sein, dass ich mal ironisch gesagt habe: Sie wissen ja, wie man rausfliegt.

Das klingt absurd.

Ja, es war absurd. Kein Richter schließt einen Angeklagten leichten Herzens aus. Aber die wollten das absichtlich. Da hat Andreas Baader dann gesagt: „Also, du faschistisches Arschloch …“

Wie hat Baader auf Sie gewirkt? Einmal kam er mit einem Wollmantel und einer roten Armbinde.

Die Angeklagten hatten bei leichten Provokationen schon Narrenfreiheit. Ich konnte nur nicht zulassen, dass die Würde des Gerichts herabgesetzt wurde. Also: Ständig als Arschloch bezeichnet zu werden, das ging nun mal nicht …

… und Baader, der Wortführer der Angeklagten?

Er war ein außerordentlich führungsstarker Mann. Er war natürlich auch ein Faulpelz und Desperado, aber er hatte in seiner Rigorosität auch etwas Sympathisches. Ich hatte auch immer das Gefühl, Baader stelle sich mir gegenüber nur pflichtgemäß so grob an, im Grunde genommen respektiere er mich. Ich hätte wohl außerdienstlich mit ihm auskommen können. Wenn er vor dem Krieg geboren worden wäre, dann wäre er ein ganz brauchbarer Soldat geworden.

Das RAF-Mitglied Klaus Jünschke schimpfte nicht nur, er stürmte zu Ihnen hoch und sprang Sie auf der Richterbank an.

Ich war überrascht über seine sportliche Leistung. Es war ja nicht so leicht, auf den Richtertisch zu springen und mich dann samt Sessel umzureißen. Sonst hat es mich nicht weiter beeindruckt. Ich hatte aber schon eine schmerzhafte Prellung, er ist mir mit dem Knie auf die Brust geraten.

Sie sprechen so lakonisch davon. Es war doch ein tätlicher Angriff.

Jünschkes Schlachtruf: „Für Ulrike, du Schwein“ hat mich mehr berührt als die Tätlichkeit. Der tägliche Umgang mit Widerwärtigkeiten hat mich wohl abstumpfen lassen. Jünschke ist aus der ganzen Sache auch nicht ohne Blessuren rausgekommen, er wurde robust weggezogen. Vielleicht hat das die Sache erträglicher gemacht. Jünschke regte sich im Nachhinein mehr auf als ich. In der Zelle brauchte er eine Beruhigungsspritze.

Beleidigungen, körperliche Angriffe – das hat Sie alles nicht aus der Bahn geworfen?

Mir war schnell klar, ich als Vorsitzender musste die Rolle des Beelzebub in dem Verfahren spielen. Das gehörte nun mal zum agitatorischen Verhandlungsprogramm der Angeklagten und Verteidiger. Die haben mich ja auch als „Wurmfortsatz“ und mit „Heil, Prinzing“ beschimpft.

Der Druck auf Sie persönlich war enorm. Ihr Pokerface war die äußere Hülle. Wie sah es dahinter aus?

Ich sagte mir: Du hast den Krieg überlebt. Viele deiner Altersgenossen sind gefallen, du durftest weiterleben. Wenn jetzt das Schicksal zuschlägt, dann ist es eben so. Nur kein Selbstbedauern! Ich war allerdings schon überrascht, als ich 1979 erfahren habe, dass tatsächlich ein Anschlag auf mich geplant war.

Man hat versucht, Sie zu töten?

Ein mit Propangasflaschen und einer Bombe beladenes Auto sollte bei meiner Vorbeifahrt in die Luft fliegen. Die Sache verzögerte sich, weil die Akteure mit einer neuartigen Funkzündung nicht zurechtkamen; Amateurfunker funkten immer wieder dazwischen und lösten das System mit ihren Signalen unkontrollierbar aus. Dann schied ich aus dem Verfahren aus, und der Plan „schlief ein“. Das stimmte mich gegenüber bestimmten Journalisten versöhnlicher.

Wie bitte?

Die Journalisten förderten zwar die Stimmung, die die Leute in den Glauben versetzte, es sei gerechtfertigt, mich umzubringen. Und irgendwo waren die Journalisten auch maßgeblich mitverantwortlich für meinen zermürbten Zustand, der letztlich nach 174 Verhandlungstagen mit zur Ablösung geführt hatte. Aber so wurden sie vielleicht auch kleine Lebensretter.

Die Abneigung beruhte auf Gegenseitigkeit. Ihnen wurde vorgeworfen, Sie würden den Angeklagten sofort das Wort entziehen und engstirnig die Verhandlung führen.

Stimmt. Aber ich konnte doch gar nicht anders. Die politische Argumentation, zu der die Angeklagten ständig drängten, gehört zur Sacheinlassung. Diese Sacheinlassung darf aber ein Gericht nur zulassen, wenn die Anklage verlesen ist und die Angeklagten über ihre Rechte belehrt worden sind. Ich musste also bei diesen politischen Erklärungen immer unterbrechen, sonst hätte es einen Revisionsgrund gegeben. Drei Monate ging das wegen der ständigen Anträge so. Nachdem die Anklage dann endlich verlesen worden war, habe ich sie zwei Tage lang reden lassen. Da konnten sie ihre politische Motivation darstellen, schwer verständliches Zeug. Aber ich hatte meinen Ruf weg.

Im Prozess sind zwei Welten aufeinandergeprallt.

Ja. Das ganze Verfahren war vom Prozessverständnis der Angeklagten her eine Farce, eine Begegnung von zwei Welten. Den Angeklagten war es völlig wurscht, ob wir Mord feststellen oder nicht. Sie wollten nicht sachgerecht, sondern ausschließlich politisch verteidigt werden. Sie wollten den Prozess zur Propagandabühne für RAF-Politik machen, und die Verteidiger ordneten sich dieser Strategie weitestgehend unter.

Die Verteidiger haben damals Kassiber der Angeklagten geschmuggelt. Wussten Sie davon?

Ja, schon. Aber in welchem Maße die Angeklagten damit Einfluss auf die freien RAF-Mitglieder hatten, war nicht klar. Die Verteidigerpost war für uns tabu. Die Gefangenen haben eher Anregungen für ihre Freipressung gegeben, nach dem Motto: Es muss sich endlich etwas tun.

Irgendwann tat sich aus Sicht der Gefangenen und ihrer Anwälte auch etwas. Nach dem 85. Befangenheitsantrag wurden Sie abgelöst. Sie stolperten über ein verhängnisvolles Telefonat mit dem Pflichtverteidiger Manfred Künzel.

Ein Fehler, keine Frage. Ich war damals nervlich schon schwer angespannt, sonst wäre mir das nicht passiert.

Sie waren so erfahren, wie konnte das geschehen?

Albrecht Mayer, Richter in dem für uns zuständigen Senat beim Bundesgerichtshof, forderte einige Kopien aus unserem Sitzungsprotokoll an; sie waren für eine Entscheidung seines Senats von Bedeutung. Ich ließ sie ihm auf dem Dienstweg zusenden, ein alltäglicher Vorgang. Er gab sie unbefugt an den Chefredakteur einer Tageszeitung weiter. Verteidiger und Medien stellten es zu Unrecht so dar, als sei ich dafür verantwortlich. Rechtsanwalt Künzel, ein vom Gericht bestellter Verteidiger, schloss sich einem entsprechenden – erfolglosen – Ablehnungsantrag gegen mich an. Am Abend telefonierte ich deshalb mit ihm. Eine Bemerkung in diesem Gespräch führte zum Vorwurf, mir seien die Pflichtverteidiger wichtiger als die Wahlverteidiger der Angeklagten. Deshalb gab es einen weiteren Ablehnungsantrag, und der war erfolgreich. So war für mich am 174. von 192 Verhandlungstagen Schluss in Stammheim.

Sie hatten die Niederlage Ihres Lebens kassiert?

So habe ich das nie empfunden. An meiner Ablösung war nichts Ehrenrühriges. Ich betrachte es als eine wesentliche Leistung meines Lebens, den Prozess so lange geführt zu haben. Ich war zuletzt ausgebrannt. Es war ganz gut so.

Haben Sie eigentlich abends oft mit Ihrer Frau über den Prozess gesprochen?

Ich habe grundsätzlich wenig von meinem Beruf erzählt. Aber das Verfahren hat natürlich schon in unserem Leben eine große Rolle gespielt, allein schon durch die Bewachung. Vor unserem Haus standen Polizisten, einer hat sich vor dem Haus aus Versehen erschossen, einer unten im Wagen. Das waren beide Male Unfälle.

Herr Prinzing, unlängst sind die Tonbänder an die Öffentlichkeit gekommen, auf denen ist Ulrike Meinhof mit ihrer Erklärung im Gerichtssaal zu hören. Sie beklagte sich verklausuliert, dass wegen der Isolationshaft, wie sie es nannte, ein RAF-Mitglied seinen Ausstieg gar nicht signalisieren könne …

… die Erklärung verstehe ich heute noch nicht richtig. Frau Meinhof sollte eigentlich einen Ablehnungsantrag gegen mich begründen, aber was sie sagte, passte nicht dazu. Deshalb habe ich sie unterbrochen, allerdings ohne die Bedeutung ihrer Worte erkannt zu haben. So ging es wohl allen anderen im Saale auch, einschließlich der Verteidiger und der Journalisten. Das Leben nahm sich Frau Meinhof im Übrigen erst sechs Monate später.

Ausstieg oder Selbstmord. Es gibt es immer noch zwei Interpretationen, was Meinhof meinte.

Mit dem Wissen von heute lässt sich so etwas leicht interpretieren. Damals dachte doch niemand, dass ausgerechnet Frau Meinhof aussteigen oder gar Selbstmord begehen würde. Das lag außerhalb unserer Vorstellungswelt.

Wie war es am ersten Verhandlungstag nach dem Selbstmord?

Es gab einen Antrag auf Aussetzung für zehn Tage, auch um angemessen trauern zu können. Da die Angeklagten aber sowieso aus gesundheitlichen Gründen nicht am Verfahren teilnehmen mussten, gab es keinen Grund dafür. Also habe ich gesagt: Nein, es geht weiter. Otto Schily, der Rechtsanwalt von Gudrun Ensslin, stand auf und sagte in schnarrendem Ton: Sie können dieses Verfahren mit Brachialgewalt niederwalzen, so etwas in der Art. Wissen Sie, am Vorabend des Prozesses erlitt meine Mutter einen Schlaganfall. Sie ist vier Tage später gestorben. Da habe ich auch die Termine einhalten müssen.

Auf den Bändern des Prozesses ist zu hören, dass die Angeklagten oft auch ruhig sprachen. War das für Sie ein Zeichen, dass die Pöbeleien Teil einer Rolle waren, die sie nicht immer durchhalten konnten?

Natürlich war ihr Gehabe oft ein Rollenspiel. Sie mussten ja doch dem Anspruch ihrer Anhänger genügen. Die „Rote Hilfe Berlin“ hatte doch zum Beispiel verkündet, dass man mit dem Prozess beweisen müsse, dass die RAF nicht justiziabel sei. Ich glaube, dass die Meinhof als Erste gemerkt hat, dass dieser Plan nicht hinhaut.

Jan-Carl Raspe war der Ruhigste, hatten Sie bei ihm am wenigsten den Eindruck, er spiele den wilden Revolutionär?

Er war ruhiger als die anderen, das schon. Aber auch er hat mich als Ratte bezeichnet. Und einmal rief er mir zu: „Prinzing, auf einen wie dich muss man an der nächsten Ecke mit einem Gewehr warten.“ Da habe ich dann gefragt, ob er einen entsprechenden Antrag stellen wolle.

Also, ein wenig Platz für Ironie war schon?

Ja klar, aber nicht jeder hatte eine Ader für Ironie. Schily nicht. Wenn der nicht da war, dann ging’s leichter.

Und später dann wurde Schily Bundesinnenminister und entwickelte sich zum Hardliner. Wie haben Sie denn diesen Wandel empfunden?

Vor Schily hatte ja schon Rupert von Plottnitz als Justizminister von Hessen Karriere gemacht, das fand ich schon wunderlich. Bei Schily hat es mich weniger gewundert. Schily habe ich immer als Karrieristen eingeschätzt. Aber wenn mir jemand im Verfahren gesagt hätte, diese Herren würden später Minister, dann hätte ich ihm gesagt, er sei verrückt.

Hatten Sie ein mulmiges Gefühl, als Schily Innenminister wurde?

Keineswegs. Es wurde ja rasch klar, dass keiner von der CDU es hätte besser machen können. Aber wenn man seine Töne von Stammheim noch im Ohr hat! Im Verfahren hatte er ja noch allen Ernstes behauptet, die tödlichen RAF-Anschläge auf die US-Hauptquartiere in Frankfurt und Heidelberg seien angesichts des Vietnamkriegs ebenso gerechtfertigt wie ein Anschlag auf das Reichssicherheitshauptamt der Nazis. Diese Behörde hat die Judenvernichtung organisiert! Vor seiner ersten Dienstreise in die USA habe ich gedacht: Wenn die Amerikaner das alles schwarz auf weiß nachlesen würden, dann würden sie ihn vielleicht gar nicht ins Land lassen.

Schily sagte über sich, der rote Faden seines Lebens sei immer gewesen, dem Rechtsstaat gedient zu haben. Richtig?

Falsch. Damals hat er dem Rechtsstaat gedient, den er sich vorgestellt hat. Der Rechtsstaat hatte nichts mit dem zu tun, den er später als Minister verteidigt hat. Aber er war der Einzige, der mit den Angeklagten per Sie war. Und was ich an Schily noch schätze: Er hat nach dem Prozess nie nachgetreten.

Sie sind nach Ihrem unfreiwilligen Ausscheiden noch Landgerichtspräsident von Tübingen geworden. Haben Sie das als Ausgleich für Ihren Einsatz im Baader-Meinhof-Prozess betrachtet?

Ja, das war gerechtfertigt. Es war ein Zeichen, dass mein Ausscheiden keinen beruflichen Makel bedeutete. Wir haben schließlich in einem hochbrisanten Pilotverfahren den Kopf hingehalten.

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Seite S 7: Die Nacht von Stammheim

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