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Panorama: Begriff aus der Militärsprache vernebelt den Tod von Zivilisten

"Kollateralschaden" lautet das "Unwort des Jahres 1999". Der Begriff aus dem Kosovo-Krieg vernebele die Tötung vieler Unschuldiger durch NATO-Angriffe, begründete die aus vier Wissenschaftlern und zwei Journalisten bestehende Jury ihre Wahl.

"Kollateralschaden" lautet das "Unwort des Jahres 1999". Der Begriff aus dem Kosovo-Krieg vernebele die Tötung vieler Unschuldiger durch NATO-Angriffe, begründete die aus vier Wissenschaftlern und zwei Journalisten bestehende Jury ihre Wahl. Darüber hinaus bestimmten die Juroren kurzfristig auch ein "Unwort des 20. Jahrhunderts". Hier machte der Ausdruck "Menschenmaterial" das Rennen, gab der Frankfurter Germanistik-Professor Horst Dieter Schlosser bekannt.

Der Begriff "Kollateralschaden", mit dem ungewollte zivile Opfer während der Kampfeinsätze im Kosovo bezeichnet wurden, steht aus Sicht der Jury für eine verharmlosende Militärsprache. Der Tod unbeteiligter Zivilisten werde heruntergespielt. Auch sei der schwer verständliche Begriff unvollständig übersetzt (kollateral bedeutet "seitlich" oder "daneben"). Schlosser: "In Wirklichkeit waren das arme Schweine, die in Bussen und Flüchtlingstrecks gestorben sind." Bei der kompletten Übersetzung in "Randschaden" wäre die Empörung über diese Verharmlosung der Zivilopfer wohl lauter gewesen.

1865 Einsender hatten sich an der Suche nach dem "Unwort des Jahres" beteiligt, allein 266 Briefe bezogen sich auf "Kollateralschaden". Entscheidend sei jedoch nicht die Anzahl der Nennungen, sondern der wortgeschichtliche Hintergrund, betonte Schlosser. Spitzenreiter unter den 1065 Vorschlägen waren Begriffe wie "Millennium", "soziale Gerechtigkeit" und "Nachbesserung". Mit "Treuhand-Anderkonto" habe sich auch die jüngste Parteienaffäre bereits niedergeschlagen. Unworte der vergangenen Jahre waren "sozialverträgliches Frühableben" (1998), "Wohlstandsmüll" (1997) und "Rentnerschwemme" (1996).

Den zynischen und unangemessenen Gebrauch von Sprache stellte die Auswahl-Kommission auch mit dem erstmals gekürten "Unwort des 20. Jahrhunderts" an den Pranger. Der Begriff "Menschenmaterial", der sich unter anderem bei Karl Marx finde, sei bereits im 19. Jahrhundert geprägt worden. Erst im 20. Jahrhundert erfuhr er aus Sicht der Jury die zynische Verkehrung in die Verdinglichung und Materialisierung der Menschen, die als Soldaten in den Schlachten der Weltkriege "verbraucht" worden seien. Der Germanist Schlosser wies auf den Gesamtzusammenhang der Militärsprache hin, die Bombardements als "Luftschläge" und - wie zurzeit auch in Tschetschenien - Kriege als "Konflikte" herunterspiele.

Latein bleibt größter Wortspender

Das neue Unwort des Jahres stammt nur vordergründig aus dem Englischen, seine Wurzeln liegen im Lateinischen. "Kollateralschaden" liegt ursprünglich das lateinische "collatus" zugrunde, das ist das Partizip Perfekt Passiv von "consero", was übersetzt unter anderem "ich stoße zusammen" heißt.

Wie beim "Kollateralschaden" schleichen sich sehr häufig lateinische Wörter durch die Hintertür des Englischen in die deutsche Sprache ein. Latein sei und bleibe der größte fremdsprachige Wortspender der Deutschen, auch wenn das Englische in den Bereichen Technik, Computer und Freizeit die Alltagssprache der Bundesbürger stark präge, betont der stellvertretende Leiter der Dudenredaktion in Mannheim, Werner Scholze-Stubenrecht. Auch wer die gerade erschienene Neuauflage des Duden nach neu aufgenommenen Wörtern durchforstet, stößt auf unzählige Anglizismen - von "Dokusoap" und "Hotline" über "chatten" bis hin zu "brainstormen". Dennoch: Den Einfluss von Latein und Griechisch im deutschen Wortschatz konnte das Englische nach Einschätzung von Scholze-Stubenrecht noch nicht wettmachen. Auch die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) in Wiesbaden betonte, die Zahl der entlehnten Wörter aus dem Englischen habe stark zugenommen. Im Vergleich zu anderen Fremdwörtern seien die englischen oder amerikanischen Wörter eher schwach vertreten, befand zum Jahresende eine GfdS-Kommission. In Zeitungen haben die Experten einen Anteil von acht bis neun Prozent Fremdwörtern, unter den wichtigsten Wortarten gar eine Rate von bis zu 17 Prozent ausgemacht - rechnet man die Fachsprachen dazu, werden auch 25 Prozent erreicht. Dabei, so Scholze-Stubenrecht, erweise sich die Struktur der deutschen Sprache als sehr widerstandsfähig: Verben wie "brainstormen" oder "browsen" klingen zwar komisch, werden aber nach deutscher Grammatik konjugiert. Der "Computer" bleibt auch in der Mehrzahl "Computer", während im Englischen ein Plural-S angehängt wird.

Glaubt man dem Duden, so erweitert sich der deutsche Wortschatz beständig. Rund 3000 neue Begriffe seien in die neue Auflage gerutscht, hat Scholze-Stubenrecht errechnet. Dazu gehörten neben "Kirchenasyl" auch anrüchige Ausdrücke wie "grottendoof" und "hammerhart".

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