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Panorama: Bewährung – für einen Todkranken

Der Maler Jörg Immendorff wollte nochmal „irgendwie leben“: Er wurde zu elf Monaten Haft verurteilt

Stumm sitzt er da. Bleich und unbeweglich. Ab und zu rührt er sich auf seinem Stuhl, dann beugt sich jedes Mal sein Anwalt besorgt zu ihm. Professor Jörg Immendorff, 59 Jahre alt, einer der Wilden in der Kunstszene, leidet an einer tückischen todbringenden Muskellähmung, die inzwischen das Endstadium erreicht hat. Am Mittwoch ist er von der 12. Großen Strafkammer des Düsseldorfer Landgerichts zu elf Monaten Haft verurteilt worden. Weil er Kokain in nicht geringen Mengen besaß. Weil er dieses in einem rosafarbenen Versace-Ascher von Prostituierten präsentiert bekam. Und nicht verhinderte, dass die Damen sich auch selbst mit Koks versorgten.

Man habe nicht anders gekonnt, rechtfertigte sich der Ankläger in seinem Schlussplädoyer. Die Kokainmenge, die bei Immendorff am 16. August 2003 gefunden wurde, hätte den „Schmerzwert von fünf Gramm überschritten“. Womit die Angelegenheit zu einem Verbrechen wurde, das vor einer Strafkammer angeklagt werden musste, sagte der Staatsanwalt. Richter Jochen Schuster sah das nicht ganz so. Man hätte vor einem Schöffengericht die Sache „ ohne Publikum“ abhandeln können. Doch von Anfang an stand fest, dass sich die Medien „wegen der nicht alltäglichen Materie“ auf die Sache stürzen würden. Womit er die Partys Immendorffs meinte, die als Orgien Niederschlag in der Boulevardpresse fanden. An jenem 16. August stürmten sechs Polizisten und drei Staatsanwälte eine solche Party in einer Suite des Düsseldorfer Parkhotels. „Geschmacklos, bloßstellend, lüstern und kampagnenartig“ nannte Schuster die Presseberichterstattung darüber.

Viel Spaß hatten die eigens bestellten neun Damen nicht. Immendorf selbst lag auf seinem Bett oder lief hin und her. Er habe die Partys veranstaltet, weil er nochmal „irgendwie leben“ wollte, sagte ein Sachverständiger. „Er wollte noch einmal Gas geben und seine Depressionen in den Griff bekommen.“ Zu einem Zeitpunkt, zu dem er dem Tod schon nahe war, seine Malerhand nur noch steif herunterhing. Während seine über 30 Jahre jüngere Frau, eine ehemalige Schülerin, soeben das erste gemeinsame Kind bekam. Inzwischen dreht Immendorff der Welt längst den Rücken zu. Demonstrativ, so wie am Mittwoch im Gerichtssaal.

Ingrid Müller-Münch[Düsseldorf]

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