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© dpa

Brisanter Prozess: Recht auf Geschlecht

Seit heute klagt eine Krankenpflegerin vor dem Kölner Landgericht gegen einen Chirurgen, der ihr intakte Eierstöcke und Gebärmutter entfernte und sie damit unfreiwillig zum Zwitter machte. Ihre Forderung: 100.000 Euro Schmerzensgeld.

KÖLN - Sie hat das Gesicht eines Mannes und sie spricht wie ein Mann, doch sie fühlt sich eher wie eine Frau. "Ich habe mich mein Leben lang gefragt: Was bin ich eigentlich für ein merkwürdiges Wesen - innerlich war ich immer auf der Flucht", sagt Christiane V., die offiziell Thomas heißt. Die Medizin bezeichnet sie als intersexuell.

Mit ihrem Prozess lenkt die 48-jährige Klägerin den Blick auf das noch weitgehend unbeachtete Schicksal vieler anderer Zwitter. Unterschiedlichen Schätzungen zufolge leben bis zu 100.000 intersexuelle Menschen in Deutschland. Nach Angaben von Selbsthilfegruppen werden fast alle Betroffenen mit uneindeutigen Genitalien schon im Babyalter operiert, haben aber später oft Identitätsprobleme, leiden unter psychischen und physischen Problemen. Für zwischengeschlechtlich Geborene könne es der völlig falsche Weg sein, eine eindeutige Geschlechtsidentität zugewiesen zu bekommen, sagt die Sprecherin des Vereins Intersexuelle Menschen.

Ein Recht auf das richtige Geschlecht

Christiane kämpft seit Monaten darum, im Personenstandsregister als weiblich eingetragen zu werden - in ihrem Pass steht Thomas V. "Die Behörden stellen sich quer und behandeln mich wie einen Transsexuellen", kritisiert die Krankenpflegerin am Rande des Prozesses. Bei ihrer Geburt wurde sie als männlich identifiziert, weil die Klinik damals eine vergrößerte Klitoris fälschlicherweise für einen Penis gehalten hatte. Damit begann ihre Tragödie. "Ich habe schon als Kind gespürt, dass ich ein Mädchen bin", sagt Christiane. Sie glaubt, dass es vielen Intersexuellen ähnlich geht. Aber sie wurde als Junge großgezogen, bekam Hormonpräparate, litt unter mehreren Krankheiten und hörte viel zu früh auf zu wachsen. Bis heute schmerzen ihre Knochen. "Bei mir sind so viele fatale Fehler gemacht worden und falsche Diagnosen gestellt worden, es ist eine einzige Katastrophe."

Gegen den Willen zum Mann gemacht


Der größte Fehler sei aber gewesen, dass ihr der Chirurg im Alter von 18 Jahren ohne Aufklärung intakte Gebärmutter und Eierstöcke entfernt habe. Weitere Eingriffe habe sie später über sich ergehen lassen, um aus ihrem Genital einen normalen Penis zu machen, was nicht gelungen sei. Biologisch sieht sich Christiane unumkehrbar und gegen ihren Willen zum Mann gemacht. Der Anwalt des Arztes weist alle Vorwürfe zurück. Das Kölner Landgericht steht vor einem ungewöhnlichen und völlig beispiellosen Fall. "Soll ich Sie als Herr oder Frau anreden?", fragt der Vorsitzende Richter Dietmar Reiprich zuallererst.

Wenig Hoffnung auf Sieg

Weil Akten fehlen und der lang zurückliegende Fall kaum rekonstruierbar erscheint, macht er der Klägerin zunächst wenig Hoffnung auf einen Sieg. "Wir müssen das juristisch bewerten - das menschliche ist eine ganz andere Sache." Die Klägerin will - unabhängig vom Prozessausgang - Menschen mit ähnlichem Schicksal Mut machen. "Ich bin seit 30 Jahren isoliert, einsam und habe nicht gewusst, was ich überhaupt bin und in welche Schublade ich passe." Es sei wichtig, sich aktiv mit seinem Schicksal auseinanderzusetzen. "Ich hoffe, dass andere Betroffene meinem Beispiel folgen." (cp/dpa)

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