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Panorama: Das geht uns alle an

Welche Fotos dürfen Medien noch zeigen? Wie zwei Rechtsanwälte das umstrittene „Caroline-Urteil“ sehen

Was für eine schöne, heile Medienwelt für ein Model wie Claudia Schiffer. Tritt das so genannte „Caroline-Urteil“ in Kraft, könnte Claudia Schiffer künftig sicher sein, dass die Medien sie nur noch auf dem Laufsteg zeigen. Aber: Verdient sie in ihrem Beruf nicht gerade deshalb so viel Geld, weil es ihr gelungen ist, dass sich die Öffentlichkeit auch für sie als Privatperson interessiert? Sie wirkt auf Menschen glaubwürdig. Deshalb macht sie jetzt auch Werbung. Auf dem aktuellen Quelle-Katalog posiert sie mit ihrem Sohn Caspar. Wagt es jedoch jemand, ein Foto von ihr zu veröffentlichen, auf dem das Kind zudem kaum zu erkennen ist, lässt sie das vom Gericht verbieten. Einen Widerspruch will ihr Anwalt Matthias Prinz darin nicht erkennen. „Wenn sich ein Fotomodell, das davon lebt, für Fotos bezahlt zu werden, die Entscheidung vorbehält, in welchen Medien sie gerne mit ihren Fotos erscheinen möchte, ist das doch das Normalste der Welt. Ein Fußballspieler entscheidet ja auch, in welchem Verein er spielt.“

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat mit dem „Caroline-Urteil“ entschieden: Privates über Prominente dürfte künftig nur noch geschrieben werden, wenn der Prominente dem zustimmt. Verleger und Journalisten wollen das verhindern. Sie fordern die Bundesregierung daher auf, Rechtsmittel gegen das Urteil einzulegen. Am heutigen Mittwoch wird sich das Bundeskabinett mit dem Thema befassen. Ob die Regierung dann schon entscheiden wird, ob und wie sie reagiert, ist offen.

Seit dem „Caroline-Urteil“ wird viel geredet über Menschenrechte und Pressefreiheit. Zwei gewichtige Begriffe, wenn es darum geht, dass ein Prominenter privat von Fotografen in Ruhe gelassen werden möchte, und Medien zur Unterhaltung ihrer Leser harmlose Klatschgeschichten über das Privatleben prominenter Menschen verbreiten. Es geht um mehr, sagen die Verleger. Sie glauben, das Urteil degradiere Journalisten zu Hofberichterstattern, die Presse könne ihre Wächterfunktion nicht mehr ausüben, auch der investigative Journalismus von Nachrichten- und Wirtschaftsmagazinen sei behindert.

Welche Folgen hätte das Urteil tatsächlich? Worüber dürfte die Presse noch schreiben, worüber nicht? Der Tagesspiegel hat zwei Anwälten mehrere Fälle und Fotos vorgelegt. Die Anwälte vertreten gegensätzliche Parteien. Matthias Prinz hat für Prinzessin Caroline von Monaco das Urteil in Straßburg erstritten. Dirk Platte ist Justiziar beim Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ).

Die Verleger behaupten, künftig dürfte nicht mehr über einen Fall wie jenen berichtet werden, als sich der frühere Bundesbankpräsident von der Dresdner Bank private Adlon-Aufenthalte bezahlen ließ. Auch über die dienstlich erworbenen, aber privat genutzten Bonusmeilen eines Politikers dürfte nichts mehr geschrieben werden. „Stimmt nicht“, sagt Prinz. Er kann sich „keinen Fall seriöser investigativer Berichterstattung vorstellen, die durch das Urteil verhindert würde“. Tatsächlich steht in dem Urteil, dass für Politiker eine Ausnahme zu machen sei. Hier bestünde ein „Informationsrecht der Öffentlichkeit“. „Unter bestimmten Umständen“ könne sich dieses auch „auf Aspekte des Privatlebens erstrecken. Platte stört sich daran, dass diese „Umstände“ nicht näher definiert werden und folgert daraus: „Wir würden uns zumindest auf rechtlich unsicherem Terrain bewegen“. Ebenso wenig einzusehen ist, wieso diese Ausnahmeregelung nur für Politiker gemacht wird, nicht aber auch für andere Amtsträger aus Wirtschaft, Sport und Gesellschaft.

Ein anderer Fall: Wäre es zum Beispiel erlaubt, „Tagesthemen“-Sprecher Ulrich Wickert beim Joggen um die Alster zu zeigen? Bisher war dies so, sagt Platte, denn die Alster ist ein öffentlicher, einsehbarer Ort. Wickert könnte sich schlecht darauf berufen, dass er sich an einen abgeschiedenen Ort zurückgezogen habe, wo er davon ausgehen könnte, unbeobachtet zu bleiben. Prinz dagegen sagt, so ein Foto dürfe nicht ohne Wickerts Einverständnis veröffentlicht, es dürfe auch nicht darüber berichtet werden. Es sei Privatsache. Im „Caroline-Urteil“ steht aber auch, über private Tätigkeiten von Prominenten in der Öffentlichkeit dürfe berichtet werden, wenn es gesellschaftlich oder politisch relevant ist, also einen Beitrag zur öffentlichen Debatte leistet. Ist es relevant zu wissen, wie sportlich und fit Wickert ist? Ist eine öffentliche Debatte über die Bedeutung des Joggens für die Gesundheit bereits ein Kriterium, das es erlaubt, den joggenden Wickert zu zeigen? Platte sagt, nach dem „Caroline-Urteil“ wäre es Aufgabe der Gerichte zu entscheiden, ab wann eine Debatte öffentlich ist und ab wann ein Bericht die Öffentlichkeit zu interessieren hat. Ein ähnliches Beispiel wären die Fotos der schwangeren Heidi Klum. Sie wurden auf offener Straße aufgenommen, laut Platte daher rechtlich unbedenklich. Künftig wäre das ein Problem. Klum dürfte nur in ihrer Funktion als Model gezeigt werden. Nun könnte man über die beruflichen Probleme von Models nach einer Schwangerschaft schreiben. Würden Bericht und Foto damit einen Beitrag zur gesellschaftlichen Debatte leisten, wie es das „Caroline-Urteil“ vorschreibt? Platte hebt unsicher die Schultern. „Das Gericht könnte behaupten, der Text sei nur ein Vorwand, um mit dem Foto voyeuristische Bedürfnisse zu befriedigen.“ Selbst wenn es ein Gericht anerkennen würde: „Das Urteil zwingt uns aufgrund schwammiger Formulierungen sowie fehlender Differenzierungen und Interpretationshilfen zu Klimmzügen, um eine öffentliche Debatte nachzuweisen. Die Entscheidung darüber wäre den Gerichten überlassen. Auch hier bewegen sich Journalisten also auf rechtlich unsicherem Gebiet.“

Caroline von Monaco hat erreicht, dass auf EU-Ebene geurteilt wurde, dass die deutschen Gerichte die Privatsphäre von Personen des öffentlichen Lebens bisher nicht ausreichend geschützt haben. Platte sagt: „Im Zweifel für die Pressefreiheit.“ Prinz dagegen sagt: „Es geht darum, im Einzelfall zwischen dem Gut des Privatlebens und dem Gut der Pressefreiheit abzuwägen. Das war schon vor Straßburg so.“

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