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Panorama: Das klingt wie früher

In tristen Zeiten werden viele Menschen nostalgisch – und wählen Klingeltöne alter Telefone

Sie klingeln wieder: alte Telefontöne aus längst vergangenen Tagen. Jetzt, wo die Variationen digitaler Klangwelten schier grenzenlos erscheinen, steht der Sound „altes Telefon“ wieder ganz oben auf der Liste der beliebtesten Klingeltöne. „Die Nachfrage ist extrem hoch“, bestätigt Tilo Bonow, Pressesprecher des Klingeltonanbieters Jamba!. „Der Trend ist sehr stark spürbar, das zeigen unsere Statistiken.“ Mehrere Tausend Mal im Monat werden allein bei Jamba! nostalgische Töne auf Multimedia-Handys geladen. Auch Jane Riegel vom Anbieter zed bestätigt die Beliebtheit des Tons „Telefon“, wie bei dieser Firma der alte Klingelton heißt. Im Netz gibt es Seiten, von denen sich Geräusche von Wählscheiben, Morsegeräten und Gebrauchsgegenständen aus Großmutters Zeiten wie handbetriebene Kaffeemühlen oder Nähmaschinen herunterladen lassen.

In dem Trend, alte Telefongeräusche mit moderner Mobilfunktechnik zu kombinieren sieht Bonow eine Reaktion auf die zunehmende Digitalisierung der Kommunikation. Die Vielfalt der Klingeltöne ist inzwischen grenzenlos: Die Nutzer haben die Wahl zwischen homophonen und polyphonen Melodien, Polizeisirenen, Bellen, Blubbern, Klassik, Gewehrsalven, Hymnen – nun heißt es „back to the roots“, wie Bonow sagt. „Die Leute finden, dass so ein richtig schönes Telefonrasseln mal wieder etwas Feines ist.“

Der Retrotrend

Auch Stephan Grünewald vom Rheingold-Institut für qualitative Markt- und Medienanalysen in Köln hat den Retrotrend untersucht. „Es gibt einen anhaltenden Trend zum Nostalgischen. Bei vielen Menschen hat sich eine bestimmte Ziel- und Visionslosigkeit entwickelt“, sagte er der Agentur ddp. „Dieses Stimmungsvakuum lässt den Wunsch nach alten Leitbildern entstehen.“ In den 70ern und 80ern wollten viele noch die Welt verändern, in den 90ern regierte die Spaßgesellschaft und nun sei der Blick rückwärts gewandt. In dieser Grundstimmung wachse das Bedürfnis nach alten Bildern und eben auch nach Tönen. „Es sind Versuche, einen alten Aufbruchsgeist wieder zu beleben, ein Weckruf an vergangene Seligkeiten.“ Schon als das piepende Tastentelefon ab 1975 das Surren und Klacken der Wählscheibe zu verdrängen begann, mochten sich viele nicht vom alten Geräusch trennen. 1979 musste eine Serie Wählscheibentelefone noch einmal neu aufgelegt werden.

So weit zurück will inzwischen aber niemand mehr. Das vertraute Schrillen mögen so manche wieder vermissen – das dazugehörige Gerät nicht. Beim Internetauktionshaus Ebay erzielen Wählscheibentelefone meist nur einstellige Beträge. Viele finden gar keine Bieter. Auch Grünewald gibt zu bedenken: „Es ist nur der zweite Aufguss, der nicht lange vorhält. Deswegen wechseln die Retrotrends entsprechend schnell.“ In Wirklichkeit fehle „ein zündendes Moment. In der Bevölkerung ist eine viel größere Bereitschaft für etwas wirklich Neues vorhanden.“

Christine Wetzel

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