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Panorama: Der Beat von Sarajevo: Nacht in der bosnischen Hauptstadt

Gleich hinter dem Flughafen ist die Stadt gespalten. Die Grenze ist eine weiße Tafel und steht mitten in einem Wohnviertel.

Gleich hinter dem Flughafen ist die Stadt gespalten. Die Grenze ist eine weiße Tafel und steht mitten in einem Wohnviertel. "Willkommen in Serbisch-Sarajevo" steht darauf, in kyrillisch und englisch. Vor allem Taxis fahren daran vorbei, Busse kommen kaum in die tristen Dörfer im serbischen Zipfel der bosnischen Hauptstadt. Dafür flitzen umso mehr braun-grüne SFOR-Jeeps mit spanischen, französischen oder türkischen Wimpeln die schmale Straße entlang.

Dragana Skakavac freut sich jedes Mal, wenn die Soldaten mit Sonnenbrillen und Videokameras vor ihrer Holzbude halten. "Ganz schön langweilig hier", findet sie. "Ohne die Soldaten könnte man es hier kaum aushalten." Bei Dragana kaufen sie CDs von Ricky Martin und Abba, Computer-Spiele und Porno-Videos. Alle schwarz in Belgrad gebrannt. Die Dutzenden bunten Shops auf der kleinen Zufahrtsstraße zur SFOR-Kaserne ersetzen das Stadtzentrum. Es ist ein trister Treffpunkt für die serbischen Jugendlichen. Nur am Wochenende versucht die Dorf-Disco, gegen die Stille im Zipfel aufzubegehren, den das Dayton-Abkommen den Serben zugestand.

Jenseits der kleinen Hügel, in der multi-ethnischen Olympiastadt, boomt das Nachtleben. In der "Zetra Hall" neben dem Olympiastadion ist im April DJ Bobo aufgetreten, und gleich neben dem verkohlten Skelett des einstigen Regierungsgebäudes, schräg gegenüber dem Holiday Inn, wummern abends die Bässe der Open-Air-Disco "Stage", die sich zwischen Mauerresten und Autowracks etabliert hat. Ein paar Straßenzüge weiter quillt allabendlich die Fußgängerzone über, mehr noch als vor dem Krieg. Dort tragen Jungs ihre kopierten Armani-Klamotten zur Schau, und Mädchen flanieren in Miniröcken hin und her. Ihre dünnen Absätze verhakeln sich in den mittelalterlichen Steinquadern im osmanischen Teil der Altstadt. Auf dem glatten Pflaster vor den renovierten Fassaden aus der österreichisch-ungarischen Zeit wird ihr Schritt wieder schneller, und sie stöckeln flink über die blutroten "Rosen von Sarajevo". Granaten schlugen die Narben ins Pflaster, die später angemalt wurden. Mit der Farbe schleift sich langsam auch die Erinnerung an die Belagerung der Stadt ab.

"Ich hätte nach dem Krieg bei Verwandten in New York bleiben können," ruft Amina Ovcina durch die lärmende Musik einer Bar. "Aber die Stadt ist so voller Leben. Da bin ich zurückgekommen." Jeden Abend trifft sie sich hier mit Freunden, sie sitzt da, das Gesicht mit Glitzerpuder bestäubt, plaudert und stochert in ihrem Eisbecher herum. Amina ist Kroatin. Vor ein paar Tagen hat ihre beste Freundin aus Vorkriegszeiten an die Tür geklopft, eine Serbin. "Ich war völlig sprachlos." Die 20-Jährige holt tief Luft. "Jetzt wohnt ihre Familie wieder bei uns im Haus. Aber ich werde ihr nie verzeihen, dass sie weggezogen sind. Sie wussten, dass der Krieg beginnt und haben nichts gesagt." Heute weiß sie: "Vollkommene Gerechtigkeit gibt es nicht." Sie spricht nicht gerne über Politik, lieber über ihren Freund. Er ist Schweizer, einer von den vielen, die hier über den Frieden wachen.

Im serbischen Zipfel der Stadt sitzt Dragana gelangweilt vor ihrem CD-Shop in der brennenden Sonne. "Nachts gehen wir nie nach Sarajevo." Sie rümpft die Nase und zündet sich eine Winston-Zigarette an, made in Kosovo. "Wir bleiben lieber unter uns." Ihre Freundin Maja Stankovic wirft ein: "Die denken ganz anders als wir. Und wenn wir Serben mal Alkohol trinken, sind wir nicht mehr zu halten ..." Maja muss lachen und legt, ganz selbstverständlich, eine CD mit kroatischer Popmusik ein. Die Mädchen beginnen zu tanzen. Freunde kommen hinzu und begrüßen sie mit drei Küsschen auf die Wangen. "Das ist alte Tradition von uns. Die Kroaten küssen nur zwei Mal", erklärt Maja.

In Sarajevo, im Café Gogo, fläzt sich der kroatische Journalist Zdravko Ljubas in einen der weichen Sessel. Der Park neben dem Café ist heute ein riesiger Friedhof. Zdravko Ljubas ist 26 Jahre alt, er ist der Stadt treu geblieben, auch wenn er im Krieg seine Großmutter verloren hat, auch wenn seine Mutter manchmal Gras kochen musste, weil es nichts anderes gab. "Ich habe kein Mitleid mit den Serben oder anderen, die jetzt in der öden Provinz leben und weinen, weil sie zurück wollen", sagt er. "Sie hätten auch hier ausharren können." Sein bester Freund ist Serbe, und der ist auch geblieben. Und überhaupt: "Im Nachtleben fragt dich hier niemand, welcher Nationalität du bist." Natürlich, man erkennt die Serben. Am Mineralwasser, das sie ins Fitness-Studio mitbringen - "oder daran, dass sie wieder mal eine Straße nicht finden oder verkehrt in eine Einbahnstraße einbiegen."

Tomo Reza ist Serbe, er kennt jeden Winkel in Sarajevo, aber er hat andere Erfahrungen gemacht als Zdravko. "Sarajevo!" - wenn er davon spricht, gerät er ins Schwärmen. "Ich war schon vor Dayton in der Stadt. Alle haben mich für verrückt gehalten", brüstet er sich. Jetzt sitzt er in der Hauptstraße von Pale in einem der wenigen Cafés. Aus den Lautsprechern klappern die Kastagnetten der Gipsy-Kings. "Wäre hier nicht die Uni, könnte man es in Pale nicht aushalten", stöhnt er und nippt an seinem Dosenbier. Im Krieg hat er Sarajevo verlassen und sich mit seinen Eltern auf das Wochenendhaus in das Bergdorf Jakorina zurückgezogen, aber abends fährt Tomo immer noch oft nach Sarajevo zum Tanzen. Nur darf er dann nicht erzählen, wo er herkommt. "Wenn du den Mädels erzählst, dass du aus Pale bist, hast du es sofort verdorben", meint Tomo, "du bist immer der hässliche Serbe."

Carsten Wieland

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