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Panorama: Der Kult um einen anrüchigen Schuh

Es war schon immer etwas peinlicher, gepflegte Füße zu haben. In eine Apotheke zu gehen und vor allen Leuten laut zu bestellen: "Ich hätte gerne Hühneraugen-Salbe", das kriegt nicht jeder ohne Erröten hin.

Von Andreas Oswald

Es war schon immer etwas peinlicher, gepflegte Füße zu haben. In eine Apotheke zu gehen und vor allen Leuten laut zu bestellen: "Ich hätte gerne Hühneraugen-Salbe", das kriegt nicht jeder ohne Erröten hin. Das ist fast so schlimm wie: "Ich hätte gerne Pillen gegen Haarausfall", oder "Ich hätte gerne Hämorrhoiden-Gel".

Hersteller solcher Produkte haben es nicht einfach, ihre Kunden zum Kauf zu animieren. Nur die schiere Not treibt die Gepeinigten zum Angstkauf. Als Anfang des 20. Jahrhunderts ein gewisser Dr. Scholl in den USA durch die Lande zog, um vor Haustüren den Leuten Hühneraugenpflaster anzudrehen, knallten sie ihm die Türe vor der Nase zu. Nicht wenige empfanden das fußfreundliche Angebot als Anmaßung, sahen gar einen perversen Fetischisten vor sich, der mal gerne bei ihnen riechen möchte.

Wenn von großen Industriepionieren die Rede ist, werden meist Ford, Dow, Watt oder Krupp genannt. Sie alle hatten eine Mission, heißt es, der sie gegen alle Widerstände ihrer Zeit die Treue hielten und sich schließlich durchsetzten. Dabei ist das gar nichts. Niemand weiß zu würdigen, was William M. Scholl - seit 1904 Dr. Scholl - geleistet hat. Der hatte eine wirkliche Mission. Den Leuten nahezu Unverkäufliches zu verkaufen: Salben, damit Füße nicht mehr schlecht riechen. Schuhe, damit sich die Füße wohlfühlen. Pflaster gegen Hühneraugen, damit der Schuh nicht mehr drückt.

Sagenhaft hässlich

Aber wer sollte Dr. Scholls Gesundheitsschuhe tragen? Diese sagenhaft hässlichen Dinger? Allenfalls Fußkranke. Und wer wollte schon von seiner Umwelt an den Schuhen als fußkrank erkannt und womöglich auch noch so bezeichnet werden?

Dr. Scholl ließ nicht locker. Er wusste, die Menschen brauchen seine Produkte. Noch heute haben Erklärungen der Firma Dr. Scholl gegenüber der Presse einen gewissen Hautgoût. "Scholl hat ein gutes Ansehen", hieß es beschwörend anlässlich des 75. Jubiläums, oder: als Anbieter "von Nischenprodukten werde man vom Handel oft nicht ernst genommen".

Der heimliche Verkaufserfolg ist ein Rätsel. Viele Leute denken, sie hätten Fußkäse und schämen sich. Das Problem ist aber nicht der Fußkäse selbst, sondern die Gefühle, die damit verbunden sind. Deshalb riecht ein Dr.-Scholl-Fußdeo nicht wirklich gut, sondern ein bisschen nach Medizin, damit derjenige, der es anwendet, durch den eigentümlichen Geruch sein Problem verkündet, statt es zu beseitigen. Genau das wollen die Leute aber offenbar. So wie Leute, die dauernd von Diäten reden und damit verkünden, dass sie dick und hässlich sind, statt einfach den Mund zu halten.

Ein Mann, dessen Füße ganz normal nach Fußkäse riechen, wird von seiner Geliebten als das eingeordnet, was er ist: ein ganz normaler Mann. Genauso wie der vorige. Und der davor. Benutzt ein Mann dagegen Dr.-Scholl-Fußdeo, denkt die Frau: "Iiih, ist der Typ krank?"

Berühmt ist Dr. Scholl nicht nur für seine Fußpflaster, -Deos, -Gels aus Hirschtalg und Tinkturen gegen Fußpilz. Berühmt ist Dr. Scholl vor allem für die Erfindung des Gesundheitsschuhs. Der Mann war ursprünglich Schuhverkäufer gewesen, wusste, wo den Kunden der Schuh drückt und roch nebenbei ihre Füße. Dann studierte er Medizin, immer das Wohl der Menschheit vor Augen.

Doch der wahre Durchbruch kam nach seinem Tod 1968. Sein Neffe gleichen Vor- und Nachnamens übernahm die Geschäfte und schaffte, was niemand für möglich gehalten hätte. Die Hippies erklärten die Gesundheitssandalen und Clogs zum Kult. Wer hip sein wollte, trug die klackernden Holzsohlen mit dem Lederriemen. Aus der Firma wurde ein großer Konzern, der seinerseits von einem Konzern geschluckt wurde, der wiederum geschluckt wurde. Mit immer neuen Marketing-Strategien gelang es, wundersame Kaufzyklen zu kreieren. Mit den Hippies ging es irgendwann bergab, zeitweise musste die Schuhproduktion ganz eingestellt werden. Bis plötzlich Models klackernd mit dem hässlichen Schuhwerk über den Laufsteg stolzierten. Und in den 90er Jahren gelang, was niemand für möglich hielt: die Italiener, ausgerechnet die, fingen an, die Holzlatschen zu tragen.

In diesem Sommer sollen sie wieder ein Renner werden. Teure Edelmarken haben das Konzept kopiert. Dabei darf man nicht vergessen: William Scholl - "der Zweite", müsste man eigentlich hinzufügen: - war es, der es schaffte, die Gesundheitsschuhe zu einem Modehit zu machen.

Er starb, wie seine Frau am Wochenende bekannt gab, am 15. März auf der britischen Isle of Man an einer Lungenentzündung.

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