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Panorama: Der Sandsack, begehrt wie nie

Millionen Säcke sind schon verbaut, Millionen werden gebraucht. Die Helfer sind sicher: Sand gibt es genug

Von Matthias Eggert

Wie eine überdimensionale Presswurst liegt er in der Sonne und tut nichts. Eingebettet zwischen Seinesgleichen trotzt er stoisch dem Wasser und lässt sich loben dafür, dass er Deiche dicht hält und Städte vor der Flut beschützt. Ja, fast wie ein Fels in der Brandung stellt sich der Sandsack gegen die Wassermassen. Rund 16 Millionen Sandsäcke liegen inzwischen entlang der Flussläufe in den Hochwassergebieten oder dort, wo das Wasser noch erwartet wird. Sie reichen nicht aus. „Es sieht schlecht aus. Wir sind leer“, heißt es am Dienstagmittag aus dem Logistikzentrum Eins am Flughafen Leipzig-Halle. „Wir haben noch Vorräte, aber die sind schon verplant,“ sagt Hans-Jörg Wattenbach, Leiter des zweiten Logistikzentrums in Hagenow in Mecklenburg-Vorpommern. Die Einheit „Taktische Sandsackreserve Deutschland“ der Nürnberger Feuerwehr hat die beiden Logistikzentren am vergangenen Wochenende aufgebaut. Von hier aus werden alle Sandsäcke verteilt.

„Wir haben im Moment mehr Anfragen als Kapazitäten“, sagt Wattenbach müde. Seit 60 Stunden hat er nicht mehr geschlafen. Sandsäcke hier, Sandsäcke dort, Sandsäcke überall. Die Landkreise Lüchow-Dannenberg und Harburg in Niedersachsen haben Säcke angefragt. Sie müssen warten. Elbaufwärts liegt der Landkreis Ludwigslust, der hat Priorität. Das Wasser kommt hier eher vorbei. Für Dienstagabend wird eine Frachtmaschine erwartet, die 500 000 Säcke nach Hagenow liefern soll. Außerdem rollen laut Wattenbach halbstündlich Sattelzüge auf das Gelände, die Säcke liefern. Sie werden sofort in die Region Ludwigslust weitergeleitet. In Leipzig sollen Dienstagnachmittag 1,2 Millionen Säcke aus Mailand ankommen. Knapp eine Million sind schon verplant für die Regionen um Stendal, Magdeburg und Wittenberg. „Drei bis vier Stunden nach der Landung werden wir die wohl ausgeliefert haben“, schätzt Karl-Heinz Schultheiß, stellvertretender Leiter einer Fünf-Mann-Einheit im Leipziger Logistikzentrum.

30 Leute vom Technischen Hilfsdienst und 100 Mann der Bundeswehr verladen die Säcke auf alles was fliegt und fährt. Die Bundeswehr setzt nach Angaben von Schultheiß Hubschrauber vom Typ „CH 53 Sikorsky“, Transall-Frachtmaschinen und Lastwägen ein. Insgesamt sollen in den nächsten Tagen noch etwa vier Millionen Säcke kommen, vor allem aus Belgien und Italien. „Die Krisenstäbe vor Ort haben Probleme abzuschätzen, wann sie wie viele Säcke brauchen. Deshalb ist es schwierig, die richtige Menge zu bestellen“, sagt Günter Bumiller, Leiter der Nürnberger Feuerwehr und Chef der Einheit „Taktische Sandsackreserve in Deutschland“. Wieviele Säcke es diese Woche noch werden, weiß er nicht.

In Deutschland gibt es keine Säcke mehr. Bumiller hat nach eigenen Angaben bereits für einen zweistelligen Millionenbetrag Säcke bestellt. Einige Hersteller haben die Nachfrage zum Anlass genommen, um an der Preisschraube zu drehen. „Wir zahlen im Moment bis zu 70 Cent“, sagt Bumiller. Vor einer Woche habe der Preis für einen Sack etwa 35 Cent betragen. Bumiller weiß von Berichten, dass Privatleute im Einzelhandel oder unter der Hand bis zu neun Euro pro Sack bezahlen mussten. „Das ist Wucher und eine Frechheit“, sagt er. Seit Montagabend untersteht seine Einsatzzentrale dem Innenminsisterium. Er schätzt, dass der Bund die Kosten für die Säcke übernehmen wird.

Inzwischen gibt es Sandsack-Diebe. In Prignitz hat die Polizei gegen drei Personen Strafanzeige gestellt, die sich als Helfer ausgegeben und dann Sandsäcke zu ihren Häusern transportiert haben. In Boizenburg im Landkreis Ludwigslust musste ein Mitarbeiter des hiesigen Krisenstabes am Sonntag die Polizei rufen, als Einwohner die Abfüllstation für Sandsäcke stürmen wollten. Es war das Gerücht verbreitet worden, dass 20 Sandsäcke pro Haushalt kostenlos verteilt würden. Im Kampf um den Sandsack geht es nicht um mehr Sand und Jute- oder Plastiksack. Es geht um die Existenz.

Ohne Sand ist der Sack nichts Wert. Von dem Füllmaterial gibt es aber genug, heißt es beim Technischen Hilfswerk. Bauunternehmen lieferten Sand aus den Kiesgruben in den Regionen. Möglichst trocken sollte er sein, weil er dann leicht zu transportieren ist. Ansonsten gilt: Sand ist gleich Sand. Egal ob grobkörnig oder fein geschliffen, Hauptsache Sand. Der nimmt das Wasser auf und schmiegt sich dicht an seinen Nachbarn. Das hält dicht, so gut es eben geht.

Der Sandsack taugt als Waffe gegen das Wasser – und als Symbol für den Kampf gegen die Flut. Wenn das Wasser wieder abgeflossen ist, wird der Sandsack wieder das sein, was er mal war: ein schlichter Sack, mit Sand gefüllt. Was aus den alten Säcken werden soll, weiß bisher niemand.

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