zum Hauptinhalt
Wie steht's um uns Deutsche in Europa? Helmut Schümann umrundet unser Land mit dem Rucksack auf dem Rücken.

© privat

Deutschland drumherum (16): Kälte ist ein guter Schrittmacher

Auf dem Weg von Tschechien nach Österreich trifft unser Kolumnist Helmut Schümann auf schöne Landschaften, einen großzügigen Fährmann und viel Einsamkeit. Das Grenzgebiet, das ehemals Sperrzone war, hat einen ganz eigenen Charme.

Es ließ sich gut gehen an diesem Morgen, es war kalt. Kälte ist ein guter Schrittmacher. Von Horni Plana in Tschechien nach Ulrichsberg in Österreich, eine überschaubare Strecke, etwas mehr als 20 Kilometer, allerdings etwas wellig.

Warum überhaupt Gehen, warum umrunde ich Deutschland weitgehend zu Fuß? Weil mir alles andere zu schnell ist, weil ich mir einbilde, dass man mehr erfährt und spürt, wenn man sich langsam nähert. Und, zugegeben, weil am Abend nach geschafften Kilometern das Gefühl ziemlich erhaben ist. Und weil ich den Menschen rechts und links des Weges eher begegne, als wenn ich mit dem Rad vorbei fahre.

Menschen? Welche Menschen? Den letzten, den ich auf diesem Wegstück für lange Zeit sah, war der Fährmann, der mich über den Lipno-Stausee setzte. Ich hatte kein Kleingeld mehr in der Tasche, die kleinste Einheit war ein Hundert-Kronen-Schein, das sind etwas weniger als vier Euro. Die Überfahrt sollte 15 Kronen kosten, er konnte nicht wechseln, er zuckte mit den Schultern, ich fuhr umsonst.

Das Café auf der anderen Seite in Blizsi Lhota, in dem ich mir nach der Kälte auf dem Wasser einen wärmenden Kaffee erhoffte, hatte noch geschlossen. Also, ich meine, es waren fünf Grad an diesem Morgen.

Ich lief los. Kleine Landstraße, mehr ein Fahrradweg. Man stapft halt so vor sich hin. Zu sehen gibt es: Gegend. Nur Gegend, kein Haus weit und breit, irgendwo rechter Hand ist Deutschland, irgendwo vorne Österreich. Nach einer halben Stunde, Rückblick auf den See, das Café hat jetzt sicherlich auf. Links neben mir, rechts neben mir ist keins, vorne auch nicht. Die Kälte aber spüre ich nicht mehr, immerhin ist es trocken, ab und an kommt sogar die Sonne raus.

Weiter, immer weiter, würde Oliver Kahn jetzt sagen. Ich sage nichts, ich fluche, als nach einer Stunde der Regen einsetzt. Erst schüchtern, dann doch so stark, dass ich die Regenhaut über den Rucksack ziehen muss. Menschen? Keine Menschen. Wandern in der Kälte und im Regen kann einsam machen.

Kühe gibt es. Jede Menge, große Herden, aber die brauchen keine Ansprache, die kommen mit sich selber klar, die traben nur plötzlich auf mich zu, bleiben dann kurz vor dem Zaun stehen und glotzen. Einsame Wanderer in der Kälte sind wohl auch für tschechische Kühe nicht alltäglich. Auch wenn es jetzt mal aufgehört hat zu regnen.

Weiter, immer weiter. Wenn es nichts zu sehen gibt außer Gegend, sehr schöne Gegend, gibt es möglicherweise Menschen, die anfangen Schritte zu zählen. Das ist etwas grenzdebil. Ich bin so ein Mensch. Was ich davon habe, weiß ich nicht. Wenn ich tausend Schritte gegangen bin, bin ich tausend Schritte weiter, mehr nicht, kein Haus, kein Mensch, nur Gegend. Raduz Parma, der Chirurg und Radfahrer hatte mir erzählt, dass dieses Gebiet früher Sperrzone war. Früher?

Aus der Wolke nach den Kühen fällt jetzt Hagel. Eine Tanne bietet kurzzeitig Schutz. Schnee wäre jetzt schön, denke ich, Schnee fehlt noch, Schneefall würde das Glück des Wanderers perfekt machen.

Dann plötzlich, irgendwo weit vorne, ein Zeichen menschlichen Lebens. Ein Schild, von dem ich zunächst nur die Rückseite sehe, aber irgendjemand muss dieses Schild aufgestellt haben. Schilder wachsen nicht von alleine, es gibt also Menschen. Zumindest gab es sie einmal.

Das Schild ist die Grenze. Ein Schritt noch, dann bin ich raus aus Tschechien. Hundert Meter weiter steht das nächste Schild, wahrscheinlich war hier irgendwann einmal ein Menschenauflauf von Schilderaufstellern. Ein Schritt noch, dann bin ich in Österreich. Ich habe keine Ahnung, wo ich in den hundert Metern zwischen den Schildern war.

Und ein paar Schritte weiter, linker Hand: ein Haus, gepflegt, Rasen davor, eine kleine Hütte daneben mit einem Brunnen davor. Menschen aber gibt es auch in Österreich nicht.

An der Hütte mache ich Rast, ab und an kommt die Sonne raus, ab und an verschwindet sie, dann leert sich wieder eine Wolke, ich sitze überdacht und schichte meine Geldbörse um. Zloty und Kronen werde ich nicht mehr brauchen, ich bin jetzt im Euroland, das ist Teuroland. Den Unterschied lerne ich in Ulrichsberg, wo es auch wieder Menschen gibt. Am Vorabend habe ich für das letzte Bier auf tschechischem Boden 21 Kronen bezahlt, also 80 Cent. Nach all den Strapazen dieser überschaubaren Wegstrecke, nach all dem Regen, Hagel, Sonnenschein und der Kälte, denke ich, habe ich mir ein Bier verdient. In Ulrichsberg kostet es 3,10 Euro.

Ach so, noch etwas für heute: auf dem Weg zur Donau verkündet der Wetterbericht Schnee.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false