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Panorama: Die US-Luftwaffe kam zu spät

Im US Bundesstaat Florida ist knapp vier Monate nach den Terroranschlägen von New York und Washington erneut ein Flugzeug in ein Hochhaus geprallt. In Tampa steuerte ein 15-jähriger Pilotenschüler am Samstagnachmittag (Ortszeit) eine gestohlene Sportmaschine in den Wolkenkratzer der Bank of America und starb.

Im US Bundesstaat Florida ist knapp vier Monate nach den Terroranschlägen von New York und Washington erneut ein Flugzeug in ein Hochhaus geprallt. In Tampa steuerte ein 15-jähriger Pilotenschüler am Samstagnachmittag (Ortszeit) eine gestohlene Sportmaschine in den Wolkenkratzer der Bank of America und starb.

Zuvor hatte er die streng gesicherte Kommandozentrale der amerikanischen Afghanistan-Einsätze überfliegen können. Weil die Treibstofftanks intakt blieben und sich wegen des Wochenendes keine Mitarbeiter in den Büros aufhielten, blieb eine größere Katastrophe aus. Weitere Menschen kamen nicht zu Schaden. Ein terroristischer Hintergrund wird nach ersten Ermittlungen der Sicherheitsbehörden ausgeschlossen.

Charles B. war von seiner Mutter und seiner Großmutter zur National Aviation Academy am Clearwater International Airport im benachbarten St. Petersburg gefahren worden. Dort nahm der 15jährige bereits seit zwei Jahren Flugstunden. In den USA kann man bereits in diesem Alter unter Begleitung eines Fluglehrers starten und ab 16 die Lizenz für Alleinflüge erhalten.

Kein terroristischer Hintergrund

Während der Außeninspektion der einmotorigen Cessna 172 mit seinem Fluglehrer war der Jugendliche gegen 17 Uhr Ortszeit plötzlich in die Maschine gesprungen und ohne Erlaubnis allein gestartet. Der Ausbilder verständigte sofort die Fluglotsen im Kontrollturm. Sämtliche Starts und Landungen an den Verkehrsflughäfen St. Petersburg und Tampa wurden gestoppt. Die amerikanische Küstenwache alarmierte die Besatzung eines Hubschraubers, der sich gerade auf einem Routineflug über der Bucht von Tampa befand und die Verfolgung des Sportflugzeuges aufnahm.

Dem 15jährigen gelang es indessen, mit der Cessna ungehindert in das Sperrgebiet der MacDill-Luftwaffenbasis einzufliegen. Dort befindet sich das Central Command (USCENTCOM) der US-Streitkräfte, von dem aus die Truppeneinsätze in Afghanistan geleitet werden. Als Charles B. auf keine Funksprüche reagierte, befahl das nordamerikanische Luftverteidigungskommando vorsorglich den Start zweier Abfangjäger von der rund 300 Kilometer entfernt bei Miami gelegenen Luftwaffenbasis Homestead.

Die F-15-Piloten sollten den Flug der Cessna notfalls gewaltsam stoppen, erhielten aber keinen Schießbefehl. Im Parallelflug versuchte die Helicopterbesatzung indessen vergeblich, den Jugendlichen durch Handzeichen zur Landung auf einem Flugplatz südlich der Stadt aufzufordern. Minuten später - die Abfangjäger befanden sich noch auf dem Flug nach Tampa - prallte die Cessna mit rund 170 Stundenkilometern zwischen dem 28. und 29. Stockwerk in das 42geschossige Hochhaus Bank of America Plaza am East Kennedy Boulevard im Zentrum der Stadt. Dort befinden sich die Räume der Anwaltskanzlei Shumaker, Loop and Kendrich.

Wie durch ein Wunder blieben die gut 200 Liter fassenden Treibstofftanks der Cessna beim Aufprall unversehrt, es kam zu keiner Explosion mit so verheerenden Folgen wie am World Trade Center und dem Pentagon. Den kurz darauf eintreffenden Einsatzkräften von Polizei und Feuerwehr bot sich dennoch ein Bild, das erschreckend an die Ereignisse des 11. September erinnerte. Der Bug der Cessna mit dem Propeller hatte sich in ein Fenster der 28. Etage gebohrt und das Büro des Rechtsanwaltes Kevin H. Graham zerstört, der seinen Schreibtisch nur eine Stunde zuvor verlassen hatte. Auch das Nachbarzimmer wurde verwüstet.

Das Heck ragte meterlang aus der Fassade. Eine Tragfläche hatte sich in einen Lagerraum im 29. Stock gebohrt, die andere war auf die Straße gestürzt, ohne Passanten zu verletzten. "Wir müssen Gott danken, dass es nicht schlimmer gekommen ist", sagte Tampas Bürgermeister Dick Greco. Die Unglücksstelle wurde weiträumig abgeriegelt. Einsturzgefahr für das Hochhaus besteht nicht. Dort war gerade ein Essen für 175 Personen vorbereitet worden, das am Abend im noblen Tampa Club im obersten Stockwerk stattfinden sollte.

Präsident George Bush war während eines Besuches in Portland (US-Bundesstaat Oregon) sofort von dem Vorfall unterrichtet worden. Als völlig rätselhaft gelten bisher die Hintergründe der Tat des 15jährigen, der in seinem Heimatort Palm Harbour die neunte Stufe der East Lake High School besuchte. Charles B. hatte in den letzten Tagen einen niedergeschlagenen Eindruck gemacht. Nach Augenzeugenberichten hat er keinen erkennbaren Versuch unternommen, den Aufprall auf das Hochhaus zu vermeiden. Tampas Polizeichef Benny Holder lehnte Spekulationen darüber, ob der Jugendliche die Cessna absichtlich in den Wolkenkratzer gesteuert hat, ab. Der Pilotenschüler habe jedoch "gewusst, wie man die Maschine fliegt".

Ein Terrorist hätte leichtes Spiel gehabt

Der erneute Flug einer Maschine in ein Hochhaus hat in den Vereinigten Staaten für eine neue Diskussion über die nach den Anschlägen des 11. September getroffenen Schutzmassnahmen geführt. Besonders bestürzt äußerten sich Sicherheitsexperten über die Tatsache, dass ein Teenager mit einer gestohlenen Cessna ungehindert ausgerechnet in den Luftraum eines der brisantesten möglichen Terroristenziele eindringen konnte, das US Central Command, von dem aus die Aktivitäten der amerikanischen Streitkräfte in Afghanistan koordiniert werden. Am Boden ist die auf der an drei Seiten vom Meer umschlossenen Luftwaffenbasis MacDill beheimatete Kommandozentrale hermetisch abgeriegelt, aus der Luft dagegen offensichtlich leicht verwundbar. Mit Grauen denken Militärs jetzt daran, was geschehen wäre, wenn ein Terrorist die Cessna mit Sprengstoff beladen und gezielt auf das Gebäude der Einsatzleitung gesteuert hätte, die auch schon die amerikanischen Offensive gegen den Irak steuerte. "Wir sind schon wieder so weit, dass wir warten, bis etwas passiert und erst dann wieder zurück in Alarmstellung gehen", kritisierte gegenüber der "Tampa Tribune" Larry Johnson, ein ehemaliger Anti-Terror-Experte des US Außenministeriums. Doch auch andernorts in Amerika scheint man es trotz der Ereignisse vom 11. September mit der Sicherheit nicht immer so genau zu nehmen. Immer wieder gelingt es in den USA Flugreisenden, Waffen an Bord von Flugzeugen zu schmuggeln. Noch Ende Dezember konnte ein Manager aus Florida mit einer nach eigenen Angaben im Aktenkoffer "vergessenen" Pistole ungehindert von Tampa nach Memphis zu fliegen. Erst bei der Kontrolle vor dem Rückflug wurde die Waffe entdeckt. Untersuchungen ergaben erschreckende Differenzen zwischen den Sicherheitsmassnahmen an den einzelnen Flughäfen. Erst jetzt hat die Bundesluftfahrtbehörde Richtlinien für das Kontrollpersonal erlassen, bisher werden die Passagiere von Leuten überprüft, deren Einkommen oft am Existenzminimum liegt.

Rainer W. During

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