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Panorama: Durchs wilde Belutschistan

Ein 26-jähriger Berliner radelte mit Freunden in der Wüste im Süden Irans – dort, wo jetzt zwei Deutsche entführt wurden. Ein Erlebnisbericht

Warum gibt es immer wieder kleine Gruppen, die mit dem Rad durch die steinige Wüste im Grenzgebiet zwischen Iran, Afghanistan und Pakistan fahren? Hier in Sistan-Belutschistan kontrollieren Banditen und Drogenschmuggler das Gebiet. Der folgende Text stammt von einem 26 Jahre alten Berliner Jurastudenten, der im September des letzten Jahres mit zwei Freunden auf Rädern durch Sistan-Belutschistan fuhr. Ihnen passierte nichts. Doch letzte Woche wurden hier zwei deutsche Radler von Banditen entführt. Die Drogenschmuggler verlangen fünf Millionen Dollar Lösegeld. Das Auswärtige Amt warnt vor Reisen dorthin (die Red.).

Die Blätter des Deckenventilators ziehen rauschend ihre Kreise und versuchen die Abendhitze ein wenig zu reduzieren. Im Walkman ertönen die Doors. Wie in den Anfangsszenen aus Coppolas „Apocalypse Now“. Meine beiden Freunde Christian und Sebastian und ich befinden uns in einem Backpackerhotel in Bam, Irans legendärer Wüstenstadt am Rande der Dasht-e-Lut-Wüste, am Anfang Belutschistans. Es war heiß in den letzten Wochen, 40 Grad im Schatten und mehr. Das Wasser in den Trinkflaschen und das in meinem zusätzlich montierten 10-Liter-Kanister war auf Teewassertemperatur gestiegen und schmeckte meist etwas faulig. Einige Dichtungen versagten, das Kettenöl haftete nicht mehr, und unsere teuren MarathonXR-Mäntel hatten die Konsistenz von Kaugummis. Die Strecken waren anstrengend. Eine gleichbleibende steinige Steppenlandschaft. Während Sebastian unterwegs meistens Ohrstöpsel benutzte, um das nervige Hupen der vorbeifahrenden Autos zu überhören, setzte ich Walkmankopfhörer auf und verfiel im gleichbleibenden Trittrhythmus in eine Art Trancezustand. Die alten Doorssongs klangen immer wieder neu.

Insgesamt hatten wir nach 1700 Kilometern von Iran genug gesehen und waren gespannt auf Pakistan. Alles sprach dagegen, die letzten 400 Kilometer bis zur Grenze mit dem Fahrrad zurückzulegen: Eine Fahrkarte für einen modernen klimatisierten Bus von Bam aus kostet weniger als das hiesige Berliner BVG-Ticket. Die Strecke würde mitten durch die Wüste gehen und hitzemäßig alles Bisherige „in den Schatten" stellen. Unterwegs gibt es kaum Dörfer oder Stops, an denen man Wasser bekommen kann.

Belutschistan ist ein gefährliches Pflaster. Die hiesigen Belutschen verdienen ihr Geld in der Region fast ausschließlich durch Schmuggel. Hauptsächlich werden Drogen geschmuggelt, aber auch Kleidung und Rohstoffe. Die Waren kommen meistens aus Afghanistan oder Pakistan. Die Behörden haben den Kampf gegen den Schmuggel längst aufgegeben oder verdienen sogar daran. Seit dem 11. September sind hier vermehrt afghanische Flüchtlinge unterwegs. Der Lonely-Planet-Reiseführer rät von Individualreisen dringend ab, außer mit einer „bewaffneten Eskorte“.

Hier hat niemand etwas verloren

Trotzdem wollten wir die Strecke mit dem Rad zurücklegen. Wir haben Spaß am Radfahren, Spaß an schwierigen Strecken, Spaß daran, mitten durch die Wüste zu fahren, die Hitze zu spüren und die Sonne und die Stille.

Als wir am nächsten Tag in Bam aufbrechen, schlägt mir ein heißer Fön entgegen. Unsere Haut ist nach einiger Zeit mit einer leichten Salzkruste überzogen. Langsam kämpfen wir uns vorwärts und stellen erstaunt fest, dass sich am Himmel Wolken bilden. Eine absolute Seltenheit in der Region. Die Sonne verschwindet hinter dichten grauen Wolken. Plötzlich spüre ich die ersten dicken Tropfen im Gesicht. Regen in der Wüste. Die dicken Tropfen schlagen auf den aufgeheizten Asphalt und verdampfen zischend. Eine neblige Dunstwolke bildet sich entlang der Straße. Das Naturschauspiel beginnt: Dunkle Wolken ziehen sich in Sekunden über uns zusammen, die Umgebung wird in kurzen Abständen durch Blitze aufgehellt.

Dann setzt der Regen aus. Plötzlich rast eine Wand aus hellbraunem Sand auf uns zu. Sie fegt mich mit unheimlicher Wucht vom Rad an den Straßenrand. Am Boden liegend, rolle ich mich zur Kugel zusammen und halte mir die Hände vor Gesicht und Mund. Der Sandsturm brüllt mit einer ohrenbetäubenden Lautstärke, der Sand dringt überall ein, in Ohren, Nase und Mund.

Der Sandsturm verwandelt sich in einen Hagelsturm. Ich rolle mich neben meinem liegenden Rad zur Kugel. So schnell wie das Unwetter kam, so abrupt hört es auf. Ich stelle mich mit auf die Straße und führe ein paar Travolta-Tanzschritte vor und schlage ein paar Purzelbäume – nasser und dreckiger hätte ich eh nicht werden können.

Der Fahrer eines Tanklasters taucht auf und hält auf der anderen Straßenseite, weil er seinen Augen nicht traut: drei junge Männer aus Deutschland auf Fahrrädern. Hier, in einer Gegend, in der sich kaum jemand freiwillig aufhält, und wenn, dann nur, um möglichst schnell hindurchzufahren. Der Laster fährt weiter. Wir schwingen uns auf die Räder. Als wir durch Belutschen-Dörfer fahren, bewerfen uns Kinder mit Steinen. Die Bewohner blicken abweisend. Es ist ein völlig anderes Gefühl als in allen anderen Ländern und Gebieten, die wir auf unserer langen Reise mit dem Rad durchquerten, ob es Iran war, Pakistan, Nepal, Indien, Laos, Kambodscha, wo man nahezu überall mit den Menschen in Kontakt kommen kann.

Hier in Belutschistan hat kein Fremder etwas verloren. Die Belutschen sind bewaffnet und arbeiten mit niemandem zusammen. Sogar bewaffnete Taliban-Krieger, die aus Afghanistan geflüchtet sind, halten sich lieber jenseits der pakistanischen Grenze auf. Nachts schlafen wir nur in Polizeiposten, um nicht überfallen zu werden. In der Dämmerung treffen wir auf die letzte Tankstelle vor dem Niemandsland. Kurze Beratschlagung. Auf der letzten langen Strecke zum Grenzübergang gibt es kein Wasser. Nur Steinwüste. Unser Wasser würde nicht reichen. Wir wären unterwegs darauf angewiesen, dass ein Lastwagen vorbeifährt, dessen Fahrer uns Wasser abgibt. Wir sprechen einen Truckfahrer an und er erklärt sich bereit, uns für umgerechnet 4 Dollar mitzunehmen. Die Räder werden umständlich in der Dunkelheit verstaut, ich bestehe darauf, auf der offenen Ladefläche zu bleiben, während Sebastian und Christian vorne in die Fahrerkabine steigen. Es geht los. Auf der Ladefläche richte ich mich zwischen Rädern, Taschen und Transportgut ein und betrachte den Sternenhimmel. Morrison singt „Riders on the Storm“ als Einschlafmelodie. Abruptes Bremsen und Scheinwerferlicht reißen mich aus dem Schlaf. Zahedan, der letzte große Ort vor der pakistanischen Grenze, ist erreicht. Vor der örtlichen Polizeistation halten wir an und laden, umringt von dämlich grinsenden Beamten, unsere Sachen aus. Der Truckfahrer fordert von uns zusätzlich Geld. Sebastian und Christian erzählen mir, dass sie den ständig am Steuer einschlafenden Fahrer mit Schlägen und durch Anbrüllen wach halten mussten. Keinen Pfennig mehr hat er sich verdient! Wir schieben unsere Räder hinter die Polizeistation. Es stinkt widerlich nach Kot, doch wir sind zu müde und verdreckt, als dass uns solche Details noch am Schlaf hindern könnten. Am Morgen starten wir auf den Rädern für die 100 verbleibenden Kilometer bis zur Grenze. Unterwegs rammt ein Belutsche in einem Kleinwagen Christians Rad von hinten, so dass er einen ordentlichen Satz nach vorne macht. Es kommt zum Streit, Christian springt wutentbrannt brüllend auf die Motorhaube und will dem Auto die Scheibenwischer abbrechen. Es gelingt uns, die Gemüter zu beruhigen. Am frühen Nachmittag erreichen wir den letzten Militärposten vor dem iranisch-pakistanischen Niemandsland.

Die Männer, die uns an einer Schranke stoppen, sehen bedrohlich aus. Kaum einer trägt eine Uniform. Eine wilde Mischung aus Grenzern und Schmugglern und mit allem bewaffnet. Ein grimmiger Rauschebart fängt an, mit einer Kalaschnikow in die Luft zu schießen. Ich zögere, als ein weiterer Belutsche mit Vollbart, Turban und einem Axtstiel unterm Arm auf mich zutritt und die Pässe verlangt, während ein Zweiter mich misstrauisch mustert und mit einem Messer gegen meinen Wasserkanister klopft. Hier gilt die alte Devise: Immer lächeln. Zwei Stunden später sitzen wir Milchtee trinkend im Büro des pakistanischen Grenzpostens.

Am Abend leiert die alte Doorskassette „The End“. Am Ende ging alles gut. Bei uns.

Tobias Friedemann

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